Die Regisseurin schont niemanden, auch nicht das Publikum.

Wenn das Musiktheater an der Wien eine Oper namens „Ambleto“ ankündigt, denkt man automatisch an Shakespeare. Aber der Held ohne „H“ am Beginn und mit dem seltsamen „b“ im Namen, ist nicht Shakespeares Hamlet. Den Autor kannte man zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Italien noch gar nicht, als Apostolo Zeno und Pietro Pariati daran gingen, ein Libretto für Francesco Gasparini zu verfassen. Allerdings bedienten sie sich der gleichen Quelle wie Shakespare, nämlich der Gesta Danorum. Also ist die Verwandtschaft des Dänenprinzen mit jenem Shakespeares gegeben – allerdings mit gewaltigen Unterschieden.
Den italienischen Barockkomponisten Francesco Gasparini (1661-1727), der hauptsächlich in Rom und Venedig tätig war, kennen hierzulande wohl nur die allereifrigsten Barockfans. Der Vielschreiber, der an die 60 Opern verfasst haben soll, wurde von Bach sehr geschätzt, was für ihn spricht, stellt sich mit dem „Ambleto“ allerdings nicht so nachdrücklich vor, dass man ihn für eine Entdeckung halten würde, ohne die man künftig nicht leben kann. Vieles an dem Werk klingt einfach nach Barock – von der Stange, um es so auszudrücken.
Die Künstler, die sich im MusikTheater an der Wien seines Werks angenommen haben, hatten es allerdings nicht leicht, denn sie konnten (von einer späteren Londoner Aufführung nach der Uraufführung in Venedig) nur auf Arienmaterial zurück greifen. Keine Rezitative, keine stringente Dramaturgie, und auch keine Handlung, die man als „Hamlet“ wirklich wieder erkennen würde.

Man hat sich viel Mühe gegeben, die Geschichte mit sechs Protagonisten so sehr auf Shakespeare zurück zu führen, wie es angesichts der Tatsache, dass sich einfach eine Arie an die andere reiht, möglich war. Regisseurin Ilaria Lanzino bekam allerdings große Hilfe von dem Bühnenbild von Martin Hickmann, der ein ganzes Haus mit verschiedenen Stockwerken und Schauplätzen auf die Drehbühne stellte, worin sich sehr lebendig agieren ließ. Natürlich nicht am Königshof von Dänemark, sondern in einer wohlhabenden Familie von heute, wie auch die Kostüme von Vanessa Rust zeigen.
Hier geht es hoch dramatisch und blutig zu – schon in der allerersten Szene sieht man Ophelia blutüberströmt in der Badewanne, und sie stößt einen Schrei aus, der durch Mark und Bein geht und eine Tragödie erster Ordnung ankündigt. Und die wird es auch – mit ein paar Veränderungen zu Shakespeare (so ist Ophelia eine selbstbewusste, selbständige Frau und von Anfang an seine Geliebte), aber eines ist klar – dass die Mutter nach dem Tod des Vaters so schnell den Onkel geheiratet hat, erweckt in dem Sohn Hamlet Rachegefühle. Und am Ende sind fast alle tot – Ophelia ersticht Hamlet, der ihren Vater getötet hat,, während sie ihn liebend umarmt (und er es geschehen lässt), und wenn sie in der blutigen Badewanne ihre letzten Töne singt, gesellt sich auch noch Hamlet-Mutter Gertrude blutbeschmiert zu ihr… Die Regisseurin schont niemanden, auch nicht das Publikum.
Als Ersatz für fehlende Rezitative hat man hie und da erläuternde Sprechpassagen (auf Deutsch) aus dem Lautsprecher eingefügt, das Meiste (nicht alles) aus „Hamlet“. Und wo die Musik die „Action“ auf der Bühne nicht ausreichend begleiten kann, gibt es immer wieder Schrecken erzeugende Geräusche.
Wie gesagt bietet die Szene Dramatik, wo die Musik schematisch bleibt. Sie wird allerdings mit Ambition von dem Ensemble La Lira di Orfeo exekutiert, wobei Konzertmeisterin Elisa Citterio den Takt angibt. An sich steht Raffaele Pe für die „musikalische Leitung“ im Programmheft, aber das geht zumindest während der Vorstellungen nicht, da er auch die Titelrolle singt und damit beschäftigt ist. Allerdings hat der vielseitige Countertenor die Lira di Orfeo gegründet, und man kann sich vorstellen, dass er als Initiator hinter dem ganzen Abend steht.
Er ist mit einer für einen Counter relativ angenehmen Stimme ein gewissermaßen lyrischer Hamlet, während der Laertes des Maayan Licht (der zweite Countertenor des Abends) eher rabiat gestrickt ist – dem möchte man nicht im Dunkeln begegnen.

Die nachdrücklichsten Rollen haben die beiden Damen, deren Stimmen zwar scharf und einander ziemlich ähnlich klingen, die aber durch starke Persönlichkeitsleistungen beeindrucken – Erika Baikoff als Ophelia und Ana Maria Labin als Gertrude. Weniger zur Geltung kommen Miklós Sebestyén als Claudius und Nikolay Borchev als Polonius.
Man merkt dem Abend die unendliche Mühe an, die sich alle Beteiligten gegeben haben, um das unbekannte Stück auf die Bühne zu bringen. Entsprechend freundlich war die Publikumsreaktion auf den wild-blutigen, wenn auch nicht wirklich lohnenden Barock-Hamlet.
Renate Wagner, 9. Mail 2025
Ambeleto
Francesco Gasparini
Dramma per musica in drei Akten
MusikTheater an der Wien
Premiere: 6. Mai 2025
Regie: Ilaria Lanzino
Konzertmeisterin: Elisa Cittero
La Lira di Orfeo