Zürich, Ballett: „Autographs“, Crystal Pite, Wayne McGregor, William Frosythe

In diesem dreiteiligen Ballettabend zeigt das Ballett Zürich auf bestechende Art drei unterschiedliche choreografische Handschriften anhand von „Signature“ – Arbeiten dreier herausragender Choreografen. Alle diese drei Stücke sind bereits früher in anderen Kombinationen vom Ballett Zürich getanzt worden und wurden nun für diese Serie neu einstudiert – natürlich auch mit der von der Ballettdirektorin Cathy Marston neu zusammengesetzten Compagnie. Um es vorwegzunehmen: Es war grossartig.

Eröffnet wird der Abend mit Emergence, dieser schon rein optisch überwältigenden Erfolgschoreografie von Crystal Pite im fantastischen Bühnenbild von Jay Gower Taylor, diesem Insektennest inklusive Schlupfröhre, das mit dem Lichtdesign von Alan Brodie ganz fantastisch ausgeleuchtet worden war. Wie sich die Tänzerinnen und Tänzer langsam entpuppen, zu Insekten werden, wie aus Individualität mittels Schwarmintelligenz ein Ganzes, eine glasklare Synchronizität entsteht, das ist jedes Mal, wenn man diese Choreografie sieht, ein Ereignis. Zusammen mit der Musik von Owen Belton, deren innerer Puls einen Herzschlag darstellt, aus welchem leben erst entsteht, und die präzis ausgeführte insektenartige Körpersprache der hervorragenden Compagnie des Balletts Zürich und des Junior Balletts (insgesamt 36 Tänzer), einstudiert von Eric Beauchesne und der ehemaligen Ersten Solistin des Balletts Zürich: Giulia Tonelli) entsteht ein grandioses Gesamtkunstwerk aus Körper, Bild, Licht, Musik und choreografischer Architektur. Man kann sich daran nicht sattsehen. 

Meine erste Begegnung mit Infra vor gut eineinhalb Jahren habe ich nicht in allerbester Erinnerung. Aber bereits damals hatte ich geschrieben, dass man sich das Stück ein zweites Mal ansehen sollte, um es wirklich ergründen zu können. Diese Gelegenheit zu nutzen hat sich nun ergeben – und mehr als gelohnt. Wenn man es schafft, den Blick von den LED – Männchen und – Weibchen zu lösen, kann man sich in eine virtuos choreografierte, solistische Tanzsprache vertiefen und am Ende eine echt berührende Erfahrung machen, mitleiden mit dem Individuum, das in der teilnahmslosen Masse quasi untergeht. Das Ende mit dem eindringlichen Pas de deux, der einen fantastischen choreografischen Kreis schließt, ist überaus berührend. Die Bühne versinkt ins Dunkel, das Gewusel der unbeteiligten, anonymen Masse der Großstadtmenschen ist weg, die individuelle Liebe bleibt. Die an Minimal Music (in der Art von Philipp Glass) gemahnende Musik von Max Richter kommt nun komplett ab Band (in der letzten Saison wurde die elektronische Musik noch mit einem live spielenden Streichquintett mit Klavier gespielt). Die zwölf Tänzer Greta Calzuola, Jorge Garcia Pérez, Marià Huguet, Irmina Kopaczynska, Brandon Lawrence, Sujung Lim, Nancy Osbaldeston, Nehanda Péguillan, McKhayla Pettingill, Lucas Valente, Joesl Woellner und Charles-Louis Yoshiyama tanzen die sechs parallel ablaufenden, vertrackten und rasanten Pas de deux in ihren Licht – Rechtecken mit bestechender Souveränität. 

Gut 20 Jahre vor den beiden Choreografien von Pite und McGregor war William Forsythes „Klassiker“ entstanden – und trotzdem wirkte diese älteste der drei Choreografien in ihrer totalen Abstraktion durch den Verzicht auf Handlung oder Spuren davon, in ihrer Konzentration auf die Körperlichkeit, der Dekonstruktion und erneuten Zusammensetzung der Bewegungen zur knallhart peitschenden Musik von Thom Willem als „modernstes“, innovativstes der drei Werke. Die Atemlosigkeit, mit welcher das alles abläuft, die unterschiedlichen, wechselnden Konstellationen der Tänzerinnen und Tänzer untereinander, die manchmal beinahe improvisatorisch (was sie natürlich nicht ist) wirkende Tanzsprache, die Kraft in den zerhackten Variationen, das alles wurde von Nancy Osbaldeston, Sujung Lim, Karen Azatyan, Daniela Gómez Pérez, Coroline Perry, KcKhayla Pettingill, Shelby Williams, Wei Chen und Joel Woellner mit stupender Virtuosität umgesetzt. Ein Werk, das in seiner vertrackten Komplexität in seinen Bann zieht. Und über allem schwebt die goldene Doppelkirsche, somewhat elevated – und rätselhaft.

Kaspar Sannemann 26. April 2025


Autographs
3 Ballette, einstudiert von Eric Beauchesne:
Crystal Pite: Emergence
Wayne McGregor: Infra
William Frosythe: In the middle, somewaht elevated

Opernhaus Zürich

19. April 2025

Ballett Zürich