Hamburg: „Don Pasquale“

Aufführung am 29.5.22 (Premiere)

Wieder einmal wurde eine im 19. Jahrhundert geschriebene Oper in die Gegenwart versetzt. Die Inszenierung in der Regie von David Bösch kam beim Publikum sehr gut an und hatte tatsächlich viele nette Einfälle, so beispielsweise die Projektion von Slogans und Schlagzeilen von Boulevardmedien ("Milliardärs-Traumhochzeit", "Blitzscheidungen – bei 5 Scheidungen eine gratis") und Ähnliches, ein paar davon auf Hamburgs bekanntesten Milliardär Klaus-Michael Kühne zugeschnitten (siehe auch mein P.S.).

Bösch sieht in Pasquale in erster Linie einen sehr reichen Junggesellen (sein erster Auftritt erfolgt aus einem Riesensafe voller Geldbündel, was unweigerlich an Dagobert Duck denken lässt). Als er sich auf Brautsuche macht, setzt er sich auf den Hometrainer, um seine mangelnde körperliche Fitness zu verbessern. Die Regie sieht ihn also als den berühmten "alten weißen Mann", der sich eine junge Frau "kaufen" möchte. Auf der Strecke bleibt dabei Pasquales Verlangen nach Liebe und Familie, wie er sie im Duett mit Malatesta besingt, als er seinen Wunsch nach "vielen Kinderlein" zum Ausdruck bringt. Das gesamte Ambiente (Bühne: Patrick Bannwart, Kostüme: Falko Herold) ist das einer Spassgesesellschaft, denn angesichts der zahllosen in Norinas Behausung herumhängenden Fähnchen ist die Armut der Dame, von welcher im Text die Rede ist, wohl auf kompulsives shopping zurückzuführen. Malatesta bewegt sich auf dem E-Roller vorwärts, und die Kommunikation erfolgt natürlich per (exzessiv genutztem) Handy. Dabei erhebt sich dann die Frage, wieso Ernesto trotz aller Wischerei und Schreiberei über die Intrige zu Lasten Don Pasquales nicht informiert ist…

Vieles in dieser Regie ist gelungen, denn die flott vorangetriebene Handlung entspricht den spritzigen Stellen in Donizettis Musik. Dabei kommen allerdings die nachdenklich-lyrischen Szenen zu kurz, denn bei Ernestos "Cercherò lontana terra" würde man sich anstatt der Selfies des jungen Paares einen Moment des Innehaltens wünschen, ebenso – und noch mehr – in der Szene nach Norinas Ohrfeige für Pasquale, die nicht klar genug macht, dass die junge Frau begriffen hat, eine Grenze überschritten zu haben. In den Bereich "schlechter Geschmack" gehören Pasquales rutschende Hosen während des Kennenlernens mit Norina, aber auch, dass diese während des Liebesduetts im 3. Akt ihr Höschen zu Ernesto schleudert, wie es weibliche Fans von Popsängern oder -bands zu tun pflegen. Nett die Schlussszene mit Pizza aus – na, von wo? – der Pizzeria "Morale", was dem moralisierenden Schlusstext entspricht.

Die Sicht auf den Protagonisten als eigentlich nicht sehr sympathische Figur wurde durch die Persönlichkeit von Ambrogio Maestri gemildert, dessen Ausstrahlung ein großes Quantum von Sympathie zu verdanken ist. Für Böschs Sicht der Dinge hätte es eines Protagonisten mit einem Hauch Zynismus bedurft, den Maestri glücklicherweise nicht besitzt. Stimmlich bewältigt sein Bariton die Rolle natürlich perfekt, mit Ausnahme zweier winziger besonders tief liegender Stellen (immerhin ist die Rolle für Bassbaritone geschrieben). Die tiefen Stimmen waren auch mit Kartal Karagedik als Malatesta bestens vertreten. Das Hamburger Ensemblemitglied sang so wendig wie es spielte und ließ bei seinem aberwitzig schnellen Duett mit Pasquale zu Beginn des 3. Aktes auch beachtliche Höhen hören. (Der letzte Teil des Duetts wurde vor dem Vorhang wiederholt, um Zeit für den Szenenwechsel zu haben: Ein besonders netter Regieeinfall stoppte die Geschwindigkeit des sillabato der beiden und ließ sie als Weltmeister darin hervorgehen).

Danielle de Niese, anstelle der vorgesehenen, hochschwangeren Rosa Feola, war szenisch eine ideale Besetzung für die hier als fashion victim dargestellte Norina, wendig in allen Szenen ab dem ersten Auftritt mit ihrer Arie in der Badewanne. Die Stimme ist von durchschnittlicher Qualität, wird aber sicher geführt, mit Ausnahme der brutal herausgeschleuderten Spitzentöne. In der dramaturgisch undankbaren, aber gesanglich fordernden Rolle des Ernesto ließ Levy Sekgapane einen weißen Rossinitenor hören, dem für Donizettis Romantik die Sinnlichkeit fehlte. Demgemäß gelangen ihm Koloratur und agilità am besten. Szenisch fügte er sich gut in das Konzept ein. Jóhann Kristinsson ergänzte schwungvoll als Notar.

Was der Regie an lyrischer Empathie fehlte, wurde klanglich vom Graben her ausgeglichen. Matteo Beltrami ließ das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit Ausgewogenheit zwischen Heiterkeit und elegischen Momenten musizieren, sodass die spritzigen Momente ganz zu ihrem Recht kamen und die romantischen bzw. nachdenklichen das Gewicht besaßen, das ihnen die Regie nicht zugestand.

Ein Riesenerfolg im vollen Haus, mit Applaussalven und langem Jubel.

Eva Pleus 5.6.22

P.S.: Das am Vorabend der Premiere von Klaus-Michael Kühne gemachte Angebot, der Stadt Hamburg eine neue Oper zu schenken, damit die alte abgerissen werden könne, machte die Inszenierung noch einen Deut aktueller. Neben allen anderen Fakten hat Kühne übrigens nicht bedacht, dass die Hamburger ihr Opernhaus lieben.