Hamburg: „Nabucco“

Premiere am 10.3.2019

Die Opernpräsentation von morgen?

Der Name des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov ging durch die Medien, weil er als Gegner Putins in Moskau unter Hausarrest stand (er wurde vor kurzem freigelassen, darf aber die Stadt nicht verlassen). Serebrennikov, der auch sein eigener Bühnen- und Kostümbildner ist, lässt seine Entwürfe und Regieeinfälle durch seine Anwälte ins Ausland bringen und von seinem Choreographen und Co-Regisseur Evgeny Kulagin und weiteren russischen Mitarbeitern umsetzen. Das sind schon einmal spezielle Voraussetzungen für seine Arbeit.

„ Nabucco“ ist für Serebrennikov keine auf historischen Elementen beruhende Bibelgeschichte, sondern ein höchst aktueller Stoff. Demgemäß fügt er den Namen der Protagonisten ein „Donoso“ hinzu, also Abigail Donoso usw. Zaccaria hat, ebenso wie Anna, den Familiennamen Badavi, Ismael heißt zusätzlich Sedecia. Im Programmheft werden in Steckbriefen nicht nur die Geburtsjahre, sondern auch die politischen Ideen der Figuren erläutert. So ist Nabucco ein Autokrat mit dem Motto „Assyria first“, Abigail verfolgt mit ihm eine minderheitenfeindliche Agenda, während Fenena an einer vorsichtigen Annäherung an die EU arbeitet. Als Chefunterhändler des Gelobten Landes setzt sich Zaccaria „für eine Welt ohne die Götzen der Nationalstaaten ein“, und Ismael ist sein engster Mitarbeiter.

So weit, so überzeugend. Wir sehen dann im 1. Akt eine UNO-Vollversammlung, in der Zaccaria u.a. mit brisanten Informationen über Fenena droht. Laufbänder in englischer Sprache beleuchten für uns die Situation, wobei auch andere schwerwiegende Fragen wie die Klimakrise nicht ausgespart werden. In den folgenden Szenen werden sie erklären, worum es geht, denn am in den Übertiteln gezeigten Originaltext, der zu den gezeigten Geschehnissen ja in Kontrast steht, wurde nichts geändert. Später, als Nabucco sich zum absoluten Herrscher (nicht zum Gott) ausruft, ereilt ihn ein Infarkt. Gut gemacht sind auch Abigails Szenen, in denen sie, nun allein an der Spitze der Regierung, bei ihrem Leibwächter (auch physischen) Trost sucht. Auch Zaccarias großer Auftritt wird zum politischen, direkt in die Maschine diktierten, Statement. Überzeugend auch Abigails Benehmen gegenüber ihrem Vater, der sich nicht zu erholen scheint. Bis dahin gilt, wenn man denn will, angesichts einer perfekten szenischen Umsetzung das Motto „Toll, man glaubt gar nicht, in der Oper zu sein“. Darauf werden wir noch zurück kommen.

Ab Nabuccos Gebet „Dio di Giuda“ funktioniert dann schlagartig gar nichts mehr, auch wenn Serebrennikov die plötzliche Heilung des Despoten abschwächt, indem er ihn einen neuerlichen Herzanfall erleiden lässt, sodass er im 4. Akt im Krankenbett am Tropf hängt. Ismaele, Fenena und Nabuccos Anhänger versammeln sich in einer Weise um ihn, als müssten sie von einem Sterbenden Abschied nehmen, desto unglaubwürdiger dann, wenn er schließlich aufsteht und den Chor zur Lobpreisung Jehovas anstimmt, ganz zu schweigen davon, was den Selbstmord der Abigail durch Vergiftung bewirkt haben soll. In dieser Szene füllt sich die Bühne mit Götzenbildern und Gläubigen verschiedener Religionen, wobei nicht klar wird, ob es sich um ein „Alle Religionen sind Opium für das Volk“ oder einen Aufruf zum friedlichen Zusammenleben aller Religionsgemeinschaften handelt. Wir sehen uns also wieder einmal einem an sich intelligenten Konzept gegenüber, das aber unmöglich konsequent zu Ende geführt werden kann. „Nabucco“ ist auch von der mageren Konsistenz des Librettos her ungeeignet, so schweres dramaturgisches Gewicht zu tragen.

In seinem (mehr als legitimen) Wunsch nach Befriedung unseres Planeten fügte Serebrennikov in den Umbaupausen außerdem den Auftritt syrischer Künstler ein: Hana Alkourbah (Gesang) und Abed Harsony (Gesang und das Instrument Oud). Da drei der insgesamt vier Auftritte im zweiten, dramaturgisch ohnehin schon zerfallenden, Teil des Werks stattfanden, machte sich verständlicherweise ein gewisser Unmut im Publikum Luft. Dazu wurden aufwühlende Bilder des berühmten russischen Kriegsreporters Sergey Ponomarev projiziert. Die Szene des Gefangenenchors, in der sich echte Flüchtlinge unter den Chor des Hauses mischten, um schließlich in der ersten Reihe zu stehen, wäre in ihrer Eindringlichkeit, der betroffenes Schweigen folgte, ausreichend (und von intensiverer Wirkung) gewesen.

In einem ersten Fazit möchte ich auf das Lob „Toll, man glaubt gar nicht, in der Oper zu sein“ zurückkommen. Meiner Ansicht nach erhebt sich nämlich die Frage, ob es sich wirklich um ein Kompliment handelt. Wenn wir „vergessen, in der Oper zu sein“ rückt in unserer Rezeption die Musik unvermeidlicherweise in die zweite Reihe oder wird bei nicht habituellen Opernbesuchern vielleicht gar nicht mehr wahrgenommen. Ist das der Weg, den unsere geliebte Kunstform nehmen wird? Wenn ich von der lautstarken Zustimmung eines zum Teil erfreulich jungen Publikums ausgehe, so ist dem so. Man könnte natürlich auch zynisch feststellen, „besser ein solcherart begeistertes Publikum als gar keines“.

Diesen Betrachtungen schließt sich eine weitere nahtlos an: Wollen wir die brennenden Probleme der heutigen Welt mit Hilfe der Oper beleuchten? Eigentlich entspricht diese Frage der vorhergehenden: Wenn es die einzige Möglichkeit ist, jüngere Menschen für Opern zu begeistern, mag es so sein, aber echte Oper und vor allem deren Musik haben sie nicht kennengelernt.

Zurück zu eben dieser Musik: Alle Interpreten folgten den Intentionen des Regisseurs und versuchten mit wechselndem Erfolg, dessen Konzept auch vokal umzusetzen. Der Grieche Dimitri Platanias in der Titelrolle verfügt über einen festen, solide klingenden Bariton, dem ein paar piani mehr nicht geschadet hätten. Als Zaccaria ließ der Russe Alexander Vinogradov einen ziemlich slawisch timbrierten Bass hören, der auch die gefürchtete Tessitura der Rolle recht gut bewältigte und am meisten gefeiert wurde. Die Ukrainerin Oksana Dyka warf sich mit Elan in die Rolle der Abigail, für die aber ihr tiefes Register zu wenig hergibt, während bei den Höhen eine Tendenz zum Schreien bestand. Als Fenena wirkte die Französin G é raldine Chauvet stimmlich recht unbedeutend. Als Ismaele zog sich der turkmenische Tenor Dovlet Nurgeldiyev passabel aus der Affäre. Solide der Rumäne Alin Anca als Oberpriester des Baal. Als Abdallo und Anna ergänzten der Südkoreaner Sungho Kim bzw. die Israeli

Na’ama Shulman, beide aus dem Opernstudio des Hamburger Hauses. (Also weder Deutsche, noch Italiener in der Besetzung, was mir ein weiterer Beweis dafür scheint, dass die Oper als solche in unseren Breiten immer mehr an Bedeutung verliert).

Ganz besonders zu preisen ist der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor, der sich über die Bühne verstreut befand (beispielsweise waren einige Choristen im 1. Akt als Dolmetscher in hochliegenden Kabinen von ihren Kollegen getrennt) und dennoch mit Stimmschönheit und Präzision imponierte. Bei seinem Hamburger Debüt sah sich Matteo Beltrami einer komplexen Produktion gegenüber, bei deren Entstehung im März er ja nicht dabei war. (Die ersten Vorstellungen wurden von Paolo Carignani geleitet). Es war beeindruckend, wie souverän es ihm gelang, die Musik nicht ins Hintertreffen gelangen zu lassen. Wobei ihn das Staatsorchester Hamburg jederzeit bestens unterstützte.

Am Schluss herrschten Jubel und Feierstimmung, die auch die syrischen Gäste mit einschlossen. Meine hier dargelegten Bedenken bleiben nicht weniger aufrecht.

Eva Pleus 14.4.19

Bilder: Brinkhoff/Mögenburg