Interview: „Josefin Feiler“ zu ihrer Glanzrolle in „Dora“

Josefin Feiler zu ihrer derzeitigen Glanzrolle Dora

OF: Liebe Frau Feiler, im März und April dieses Jahres haben Sie an der Staatsoper Stuttgart mit enormem Erfolg die Dora in Bernhard Langs gleichnamiger neuer Oper gesungen. Die Aufführungen waren ein regelrechter Paukenschlag für die Stuttgarter Staatsoper. Da hat man einmal mehr gemerkt, wie aufregend zeitgenössische Oper sein kann. Um die Dora soll es auch in diesem Interview gehen. Zuerst einmal die Frage: Wer ist diese Dora überhaupt?

F: Dora ist eine junge, intelligente, rastlose Frau, die sich ihres begrenzten Umfeldes sowie ihrer daraus resultierenden Handlungsfähigkeit bewusst ist, aber keinerlei Motivation mehr verspürt, sich in irgendeiner Art und Weise von diesem Zustand zu emanzipieren. Sie wechselt zwischen Abgestumpftheit und Gefühlsentladungen hin und her. Eigenverantwortung empfindet sie nicht. Das macht sie zu einer vielschichtigen Figur.

© Martin Sigmund

OF: Wie ist Doras Verhältnis zu ihrer Familie und zu ihrer Umwelt?

F: Sie pflegt einen toxischen, teilweise verachtenden und äußerst altklugen Umgang mit ihrem Umfeld, was auch einer großen Egozentrik entspringt. Abschottung, wenig Dialogbereitschaft und übermäßige Selbstprojektion machen sie schwer erreichbar.

OF: Ihres von Langeweile geprägten Lebens überdrüssig beschwört Dora zu guter Letzt den Teufel herauf. Warum erkennt sie ihn nicht, als er schließlich leibhaftig vor ihr steht?

F: Womöglich hat sie eher eine mystische und fremdartige Figur erwartet. Sie hält ihn zuerst für einen aus der Zeit gefallenen Bürokraten – uninteressant, wie eben alle anderen Menschen, welche ihr begegnen.

OF: Wie unterscheidet sich Doras Daseinsentwurf von demjenigen des Teufels?

F: Dora betrachtet das Leben in seiner Sinn- und Ausweglosigkeit als eine redundante Zeitverschwendung und kann sich schlecht von dieser Auffassung lösen. Sie erwartet dennoch eine Rettung oder einen Lebenswandel durch sich ändernde äußere Umstände. Der Teufel, welcher die Menschen seit Jahrhunderten mit zynischer Neugier betrachtet, ist entrüstet, dass der Glaube an Gott und somit auch an ihn durch den Säkularisierungsprozess immer stärker abnimmt. Dadurch ist er gezwungen, seine Strippen auf eine andere Weise zu ziehen. Dennoch schätze ich, dass sich sein Ziel, Menschen durch Manipulation ins Unglück zu stürzen, kaum gewandelt hat.

OF: Warum erwartet sich Dora gerade von dem Teufel Hilfe in ihrer trostlosen Lage?

F: Doraglaubt per se gar nicht an den Teufel und hat ihn eher aus Langeweile heraus, beinahe versehentlich heraufbeschworen, ohne wirklich davon auszugehen, dass ihre Rituale jemals zu einem Ausgang führen könnten.

OF: Es gibt in dem Werk Anspielungen, dass Dora gottverlassen ist und noch nie einen Pfarrer gehört hat. Wie verhält sich das: Kann Dora an den Teufel glauben, wenn sie gleichzeitig eine Atheistin ist?

F: Eigentlich nicht. Bis zum fünften Akt kommt es Dora nicht ernsthaft in den Sinn, es mit Mephisto persönlich zu tun zu haben.

OF: Dora sagt einmal, sie sehne sich nach Endlichkeit. Sehnt sie sich vielleicht nach dem Tod?

F: Ich gehe davon aus, dass sie mehr als einmal in ihrem Leben Suizid in Erwägung gezogen hat.

OF: Wie ist Doras Verhältnis zu Berthold? Liebt sie ihn?

F: Nein, keineswegs. Dora ist einerseits fasziniert davon, dass es eine Person wagt, sich wegen ihr etwas anzutun, andererseits verspricht sie sich von der Pflege Bertholds eine Art Lebenssinn.

OF: Was hat es mit dem Sondern auf sich, das im letzten Akt ins Spiel gebracht wird?

F: Das Sondern steht meiner Ansicht nach für den ersehnten, optimalen Lebensweg. Dadurch, dass es einen solchen gar nicht gibt, wird das Wort zum Ende der Oper hin zunehmend dekonstruiert.

© Martin Sigmund

OF: Was, denken Sie, wird die Zukunft von Dora sein? Bleibt sie bei Berthold?

F: Das bleibt für mich unklar. Als völlig abwegig sehe ich es nicht.

OF: War es für Sie leicht, die Dora zu singen? Wo liegen die Vorzüge und die Schwierigkeiten der Partie?

F: Vorzüge waren für mich die vielen Möglichkeiten, spielerisch mit dem Text umzugehen. Mir gefällt die Expressivität der Partie, z. B. die vielen großen Intervallsprünge, die Syllabik und die Rhythmik. Es ist natürlich schwer, fünf Akte fast ausschließlich durchzusingen, den Fokus zu wahren und seine Kondition einzuteilen.

OF: Was haben Sie gesagt, als Sie erfahren haben, dass Sie die Dora singen sollen? Standen Sie dieser Tatsache positiv oder kritisch gegenüber?

F: Ich habe mich sehr gefreut. Ich fand es von Anfang an sehr spannend und habe es als große Chance betrachtet.

OF: Wie gestaltete sich der Prozess des Dora-Studiums bei Ihnen? Fiel es Ihnen leicht, die Rolle zu lernen? Wie lange haben Sie dazu gebraucht?

F: Ich habe ca. acht Monate benötigt, alles auswendig zu lernen. Der Prozess des Aneignens macht mir in den meisten Fällen sehr viel Spaß. Ich lese zuerst mehrmals das Libretto und mache Notizen. Für den musikalischen Teil wird jeder Takt rhythmisch eingeteilt und es werden besondere Intervallsprünge notiert. Daraufhin wird geübt und wiederholt, bis es schließlich in Kopf und Körper ist.

OF: Standen Sie beim Rollenstudium in Kontakt mit dem Komponisten Bernhard Lang? Hat er Ihnen vielleicht wertvolle Ratschläge für das Lernen der Dora geben können?

F: Ich hatte während der Proben die Möglichkeit, Bernhard Lang zu treffen, und er stand sämtlichen Fragen äußerst flexibel gegenüber. Er hat es außerdem geschafft, mir durch eine sehr offene und freundliche Art jegliche Nervosität zu nehmen.

OF: Hervorragend gelungen ist die Inszenierung von Elisabeth Stöppler. Wie war die Zusammenarbeit mit dieser großartigen Regisseurin?

F: Frau Stöppler ist mir mit sehr viel Respekt und Feinsinn begegnet und war sehr darauf bedacht, mit den Kollegen und mir auf Augenhöhe zu arbeiten. Ihr gelang es, die wesentlichen Persönlichkeitsaspekte meiner Rolle hervorzuholen. Sie gab mir das Selbstvertrauen und den Mut, mit voller Authentizität zu agieren. Sie war immer wahnsinnig rücksichtsvoll, wenn mir so manche Probe etwas an die Substanz gegangen ist. Es ist wirklich ein großes Glück gewesen, sie als Regisseurin zu haben, welche diesen Stoff auf solch eine kluge und dichte Art inszeniert hat.

© Martin Sigmund

OF: Welcher Aspekt der Regiearbeit von Frau Stöppler gefällt Ihnen am besten?

F: Das könnte ich nicht beantworten, es gibt zu viele positive Aspekte.

OF: Dora trägt in dieser Produktion fast über drei Akte hinweg ein grünes Kleid. Als Berthold dieses am Ende des dritten Aktes besingt, zieht sie es aus und legt es in der Folge dann nicht mehr an. Warum tut sie das?

F: Eine Regiefrage! Ich sehe es als eine Entblätterung und Einleitung in das Alptraum-Szenario des vierten Aktes, welches meiner Auffassung nach in den Kern von Doras Psyche dringt.

OF: Zum Schluss wäre zu konstatieren, dass Sie mit der Dora eine absolute Glanzrolle für sich gefunden haben. Diese ist indes hoch schwierig. Wie ist es: Markiert die Dora für Sie einen Fachwechsel? Wollen Sie in Zukunft verstärkt ins dramatische Fach gehen und vielleicht auch einmal die großen Wagner-Partien singen? Welche Rollenwünsche haben Sie für die nächsten Jahre?

F: Vielen Dank für das Kompliment. Ich würde nicht sagen, dass die Partie einen Fachwechsel markiert. Das ist eher ein schleichender Übergang. Momentan möchte ich gerne im lyrischen Fach singen, jedoch später auch gerne ins dramatischere Rollenfach eintauchen. Strauss und Wagner spielen dann sicherlich eine größere Rolle.

OF: Herzlichen Dank für das Interview.

Ludwig Steinbach, 6. Oktober 2024