Berlin: „Amor vien dal destino“

Premiere 23.4.2016

Hinreißende Barock-Oper

Inwieweit Donna Leon mit ihrem Kriminalroman „Himmlische Juwelen“ und Cecilia Bartoli mit ihrer CD „Mission“ mit verantwortlich dafür sind, dass nach über dreihundert Jahren, nachdem Steffanis Oper „Amor vien dal destino“ 1709 in Düsseldorf uraufgeführt wurde, nun ein Produktion des Werks an der Berliner Staatsoper im Schillertheater gezeigt wird, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Doch dass Buch und CD und vielleicht mehr noch die Konzerte der Bartoli mit Steffani-Arien das Interesse des Publikums wachgerufen haben, dürfte kaum bezweifelt werden.

Der 1654 in Oberitalien geborene Agostino Steffani, der wegen seiner schönen Knabenstimme an den bayerischen Hof berufen und dort ausgebildet wurde, war allerdings nicht, wie Donna Leon behauptet, ein Kastrat, denn dann hätte er nicht Priester werden können; neben seiner missionarischen Tätigkeit, er lebte auch längere Zeit am Hannoverschen Hof, wirkte er als Diplomat, sogar als Zwischenhändler zwischen Papst und Kaiser, korrespondierte mit Königin Sophie Charlotte in Preußen und schrieb sehr viel Musik, darunter allein 17 Opern. Eine davon, „Enrico Leone“, wurde erfolgreich von Herbert Wernicke inszeniert, „Amor vien dal destino“, ursprünglich „Il Turno“ und eigentlich für den Karneval von Hannover 1694 bestimmt, fiel dem Vergessen anheim. Das Libretto stammt von Ortensio Mauro, wenige Teile der Musik wahrscheinlich vom Düsseldorfer Kopisten Gregorio Piva. In der Originalmusik sind französische (Ouvertüre und Tänze) wie italienische und deutsche Einflüsse feststellbar. Bach und Händel kannten und schätzten den Komponisten, der 1728 verschied.

Die Oper schließt an die zahlreichen Werke an, die das Entkommen des Äneas aus Troja, sein Verweilen in Karthago bei der Königin Dido und seine Flucht von dort auf den Befehl der Götter hin, ein Reich in Italien zu gründen, schildern. Ihre Quelle ist die „Aeneis“ von Vergil, in der allerdings nur von einer Tochter des Latino die Rede ist, während bei Steffani von der Liebe zweier Schwestern zu Männern, die nicht für sie bestimmt sind, die sie dann aber doch bekommen, berichtet wird. Es sind die Töchter des Königs Latino, der Lavinia dem Turno bestimmt hat, die ihn nicht, dafür aber das Traumbild von Enea liebt, während Giuturna den Turno begehrt. Götter und Dienstboten mischen heftig bei den dabei entstehenden Verwirrungen und Konflikten mit, ehe alles zu einem glücklichen Ende kommt und jeder den zum Altar führt, in den er sich verliebt hat.

Der Komponist lebte in der Übergangszeit von der Spätrenaissance (Rezitative!) zum Barock, Regisseur Ingo Kerkhof siedelt die Geschichte nicht in der Antike, sondern zwischen Barock und Rokoko an, was die Kostüme vorwiegend in Weiß (Stephan von Wedel) und besonders die Frisuren andeuten, die zwischen Allonge-Perücken, gepuderten Amadeus-Ungetümen und Zopf à la Friedrich dem Großen variieren. Ironie, Witz und tiefere Bedeutung wechseln einander ab, und die Figuren und ihre Gefühle werden stets ernst genommen. Beim Betreten des Zuschauerraums sieht man eine fast leere Bühne (Dirk Becker) mit schwarzem Hintergrund, rotgoldenen Vorhängen zu beiden Seiten und einem breiten Steg über den Orchestergraben. Vor der Pause beginnt irgendwann der als Gärtner verkleidete Amor mit dem Pflanzen von Getreide, während der Pause des fast vier Stunden dauernden, aber nie zu lang erscheinenden Stücks muss er besonders fleißig gewesen sein, denn nun ist fast die gesamte Bühne mit einem wogenden Getreidefeld bedeckt, das viel Raum zum Sichverstecken, plötzlichen Auftauchen, sogar die Verrichtung von Bedürfnissen gibt. Aus dem einen Füchslein im Kornfeld wurde zudem eine ganze Fuchsfamilie. Während die Götterwelt sich kaum, nur durch jeweils eine goldene Maske für ihre Träger , von der der Menschen unterscheidet, auf alles Allegorische, das das Libretto noch vorsieht, verzichtet wird, sticht die drastische Komik, mit der das Dienerpaar miteinander umgeht, sehr vom hehren Liebesleben der hohen Herrschaften ab.

Unbedingt erwähnenswert sind auch die Solisten der Akademie für Alte Musik, die einige der Arien begleiten, so Shizuko Noiri die Auftrittsarie der Lavinia auf der Laute oder Xenia Löffler mit virtuos gespielter Oboe. Ehe es zur Einstudierung der Oper kam, muss René Jacobs, wie ein Interview im Programmheft verrät, ungeheuerliche Arbeit geleistet haben, um eine vollständige Partitur für das Unternehmen bereit zu stellen. Der Jubel, der ihn bereits nach der Pause empfing, bewies, dass das Publikum seine Arbeit als Dirigent wie als Musikologe zu würdigen weiß.

Vorzüglich ist auch das Sängerensemble. Marcos Fink gibt den besorgten Vater und König Latino zuerst etwas kurzatmig, aber mit schönen Farben seines Baritons und mit einer geradezu exemplarisch guten Diktion. Jeremy Ovenden lässt heldentenorale Töne für den weitgereisten und sich auf Liebesirrwegen befindlichen Enea hören. Weniger als Venus denn als zunächst verschmähte Giuturna kann Robin Johannsen mit klarer Mädchenstimme gefallen, die Doppelrolle führt dazu, dass Venus nicht erotisch oder gar mütterlich genug klingt und der arme Turno am Schluss ohne Gefährtin auf der Bühne lagert. Phantastisch sind die beiden dunklen Frauenstimmen, so der satte, samtige Alt von Katarina Bradić für die schmerzerfüllten Klänge der Lavinia und der leuchtende, ebenmäßige Mezzosopran von Olivia Vermeulen für den Turno. Tenor Mark Milhofer ist urkomisch als liebeshungrige Amme Nicea, Gyula Orendt gibt den ihr nachstellenden Corebo und auch dem Fausto farbige Baritontöne. Countertenor Rupert Enticknap singt Giove und Coralto mit Stilsicherheit, Amor ist der umtriebige Konstantin Bühler.

Liebhaber der Barockoper oder jeder, der bereit ist, es zu werden, sollten sich diesen gelungenen Abend nicht entgehen lassen.

Fotos Thomas M. Jauk

24.4.2016 Ingrid Wanja