Braunschweig: „Die Walküre“, Richard Wagner

Im spartenübergreifenden Projekt von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ war nach „Rheingold“ mit wenigen eingestreuten Schauspiel-Szenen und dem Tanztheater „Siegfried – eine Bewegung“ nun „Die Walküre“ an der Reihe, im Braunschweiger Konzept „Die Walküren“, ein Stück mit Musik für das Schauspiel-Ensemble. Die Autorin Caren Erdmuth Jeß hat für das Staatstheater ein Schauspiel mit Beteiligung von Musikern geschrieben. Die Regisseurin und Musikerin Alexandra Holtsch hat ebenfalls als Auftragswerk die „Theatermusik“ komponiert und dazu auch die Regie des Stückes übernommen.

© Joseph Ruben Heicks 

Nach Homepage–Ankündigungen des Staatstheaters drohen die Walküren, bei Wagner Sammlerinnen „ehrenvoll Gefallener“ für Wotans Schatten-Armee in Walhall, in einem der Chöre „Wir halten die Runen in Glut und schlagen und biegen sie, dass ihr euer Erbe nicht wiedererkennt“. Dennoch  erkannte man in Jeß‘ sogenannter Überschreibung der „Walküre“ deutlich Wagners „Erbe“, indem die Handlungsstränge sowie viele Motive und Stabreimverse aus Wagners Libretto beibehalten sind; allerdings ist der mythologische Stoff stark ins Groteske und Absurde übertragen worden. So betreibt eine dekadent gelangweilte Göttersippschaft hier die Zerstörung einer Welt, für die Wotan längst keinen Plan mehr hat. Jeß‘ Stück spielt in einer nicht einzuordnenden fernen Zukunft; da gibt es einen Wurm im Auge der Wälsungen-Zwillinge („der gleißende Wurm glänzt auch ihm aus dem Auge“), wuchern Waffen wie Brombeeren, wachsen psychoaktive Pilze, welkt die Weltesche. Hunding, bei Wagner der tyrannische Ehemann Sieglindes, ist in Jeß‘ Version ein uriger Imker, der aus Resten einer im Untergehen befindlichen Zivilisation fantastisches Spielzeug baut. Festgebannt in schwindelnder Höhe (auf dem die Bühne begrenzenden Vorhang wird erklärt: „Höhe über NN 12.357 m“), sehnen sich die Walküren, gemeinsame Nutzerinnen fossiler Zähne, aus denen sie Weltwissen beziehen, nach Erlösung und hoffen auf das inzestuös gezeugte Kind Siegfried. Ob es aber tatsächlich Erlösung brächte, bleibt offen. Am Schluss gibt es winzige Hoffnungsschimmer auf menschliche Erlösung, wenn Brünnhilde von einem Traum spricht, in dem Siegfried in der Nähe von Fafners Höhle geboren wird, wo es noch reichlich Pflanzen und Vogelgezwitscher gibt.

Diese Auseinandersetzung mit Wagners „Walküre“ hatte nun seine Uraufführung im Kleinen Haus des Staatstheaters mit sich jeweils höchst engagiert einsetzenden Schauspielerinnen und Schauspielern. Sabine Mader hatte mit Vorhängen, der mit Spielzeug behängten, aber laubarmen Esche und einem Telegrafenmast als Schwert Notung (auch so eine Absurdität!) die einfach, aber gut bespielbare Bühne gestaltet und die flippigen Kostüme entworfen.  

© Joseph Ruben Heicks 

Am Anfang reihte sich das ganze Ensemble am Bühnenrand auf, um nach dem „Walkürenritt“ aus dem Off mit den nicht leicht aufzunehmenden Texten zu beginnen, die es auch zwischen den Aufzügen der natürlich veränderten Handlung der „Walküre“ gab. Im Programmheft heißt es dazu, dass „Motive der Überwucherung, Vernichtung und des Menschen als einer Krankheit der Erde“ Jeß‘ Text durchziehen.

Bevor es mit der Handlung richtig losging, erklang von den mit silbrigen Umhängen und gelben Strubbel-Perücken gekleideten Walküren (Julius Ferdinand Brauer, Naima Laube, Edith Lewandowski, Theodore Ottinger, Ana Yoffe) und der Wagner-Karikatur (Hubert Wild) ein zarter Summchor auf den Walkürenruf „Hojotoho“, immer wieder gemischt mit lautem, undefinierbarem Gekreische, was zwischen den Aufzügen wiederholt und zusätzlich auch choreographisch gestaltet wurde. Zum Anfang des ersten Aufzugs gab es wie im Original die Sturmmusik und später das Liebesmotiv der Zwillinge, souverän dargeboten von vier Instrumentalisten unter der sicheren Leitung von Burkhard Bauche (Klavier, Pauke), Jan Bauer (Cello), Annette Falk (Fagott, Kontrafagott) und Heinrich Auhage (Posaune). Im Übrigen war die sich hauptsächlich aus „Walküre“-Motiven speisende und mit elektronischen Geräuschen durchsetzte Musik erfreulicherweise nie aufdringlich. Die erste Begegnung Sieglindes (hier als aufmüpfig und charakterstark dargestellt von Saskia Taeger (mit langen blonden Zöpfen) mit dem zunächst nackten Siegmund (Valentin Fruntke) hatte vor allem dann einigen Witz, wenn Hunding als spleeniger Imker erschien, der sich zur Stärkung seiner Kampfkraft ganze Bienenvölker einverleibte (tolle Pantomime von Klaus Meininger, begleitet von aberwitzigen Tönen, eher Geräuschen der Instrumente).

© Joseph Ruben Heicks 

Besonders lustig begann der 2. Aufzug, als Wotan (Georg Mitterstieler) im Selbstfahrer-Rollstuhl an die Bühnenrampe fuhr und sich auf der Blockflöte versuchte. Dabei ließ er sich nur ungern von seiner Tochter Brünnhilde (Lina Witte) stören, die vom 1. Rang aus kräftige und für eine Schauspielerin erstaunlich durchgebildete, saubere „Hojotoho“-Rufe erklingen ließ. Eine der absurdesten Szenen des Abends war Wotans Flötenspiel, das – wie bei einem indischen Schlangenbeschwörer – Brünnhilde zu den tollsten Körperverrenkungen veranlasste. In der Folge wurde es zum Schluss hin immer verrückter, wenn Sieglinde besondere Pilze für alle Gelegenheiten in einer vorn auf der Bühne platzierten Wärmequelle fand, die später auch den Feuerring um Brünnhilde darstellte. Glänzend und im Ganzen urkomisch war Saskia Petzold als immer gelangweilte und hungrige Fricka. Zu dem Spaß mit Wagners „Walküre“ gehörte ganz wesentlich Hubert Wild mit seinen zwei Stimmen Bariton und Countertenor: Er sang mit absichtlich übertriebenem Opernpathos Sätze aus dem Dialog Wotan/Fricka, aus der Todesverkündigung Brünnhilde/Siegmund oder aus der Auseinandersetzung Brünnhilde/Wotan, dabei als Bariton die der Männer und als Counter die der Frauen. Eine witzige Solonummer hatte er, als er Wagners Leidenschaft für teure Kleidung bis hin zu seinem Seiden-Hausschuh karikierte.

Das überaus temporeich präsentierte Stück, das Wagners „Walküre“ vergnüglich auf die Schippe nimmt, aber auch überdeutlich kritisiert, wie die Menschheit mit ihrer Erde umgeht, war bei seiner Uraufführung durchweg kurzweilig. So sah das auch das  hellauf begeisterte Publikum, das sich bei allen Mitwirkenden, dem Regieteam  und der Autorin mit starkem, lang anhaltendem Beifall bedankte.

Gerhard Eckels, 17. März 2023


Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus

„Die Walküren“

Schauspiel von Caren Erdmuth Jeß

Besuchte Uraufführung am 16. März 2023  

Komposition und Regie: Alexandra Holtsch

Musikalische Leitung Orchester: Burkhard Bauche

Musikalische Leitung Chöre: Hubert Wild

Staatsorchester Braunschweig

Weitere Vorstellungen: 18., 24., 31. März, 1., 20., 28. April 2023 u.a.