Gießen: „La Dame Blanche“

Premiere: 06.02.2016, besuchte Aufführung: 18.03.2016

Eine mehr als hinreißende Komödie

Lieber Opernfreund-Freund,

das Stadttheater Giessen hat sich seit einigen Jahren gewissermaßen als Trüffelschwein bei der Ausgrabung vergessener Opern etabliert und bringt mitunter jahrzehntelang unaufgeführte Werke von beachtlicher künstlerischer Qualität auf die Bühne. Zwar ist der in diesem Jahr gehobene Schatz „Die weiße Dame“ des Franzosen François-Adrien Boieldieu nicht ganz so rar wie die Juwelen der vergangenen Jahre wie beispielsweise „Linda di Chamounix“oder „Die Eroberung von Granada“, doch gelingt ein unterhaltsamer Opernabend mit schönen Melodien und vor allem einem umwerfend spielfreudigen Ensemble.

Boieldieus 1825 uraufgeführte Opéra comique war lange ein Renner auf europäischen Bühnen, ehe das Werk ab 1900 fast völlig von den Spielplänen verschwand. Erst 1996 fand die erste Aufführung in der Moderne statt und seither wird das Werk da und dort einmal auf die Bühne gebracht (wie jüngts am Staatstheater Oldenburg). Die Geschichte ist dermaßen konstruiert, dass es kaum möglich ist, eine kurze Zusammenfassung zu geben. Ich versuche es trotzdem: Der Offizier George Brown platzt in die Tauffeierlichkeiten beim schottischen Pächter Dikson und seiner Frau Jenny und erfährt, dass Dikson einst von der „weißen Dame“, die auf dem nahen Schloss von Avenel umhergeistern soll, Geld bekam, um seine Jenny zu freien, und dafür versprochen hat, der „weißen Dame“, wenn die Zeit gekommen ist, zu Diensten zu sein. Als ein Brief eintrifft, der just an dieses Versprechen erinnert, bekommt es der Pächter mit der Angst zu tun und George Brown macht sich an seiner Stelle auf den Weg ins Schloss. Dort hat der Gutsverwalter Gaveston das Anwesen bewusst herunter gewirtschaftet, um es in einer Auktion günstig in seinen Besitz zu bringen. Außerdem möchte er sein Mündel Anna heiraten, die sich aber vor kurzem in George Brown verliebt hat, der aber eigentlich der rechtmäßige Erbe des Schlosses ist, ohne dies zu wissen. Anna tritt als „weiße Dame“ auf und enthüllt Georges Identität. Am Ende siegt das Gute, der gierige Gaveston unterliegt und das Liebespaar sieht einer gemeinsamen Zukunft entgegen.

Die abstruse und nichts destoweniger komische Geschichte wurde von Boieldieu mit rossinihaftem Esprit musikalisch umgesetzt. Die Melodien sind gefällig und voller Schwung, doch bleiben sie – anders als bei den Ausgrabungen der Vorjahre – nicht wirklich haften. Am Ende des Abends verlässt man das Theater ohne Ohrwurm, aber ob der wunderbar spritzigen Komödie bestens gelaunt.

Das liegt zum einen an der hinreißenden Regiearbeit von Dominik Wilgenbus, der auch für die aktualisierte deutsche Übersetung verantwortlich zeichnet. Behutsam und ohne allzu platt zu werden, präsentiert er die wirre Geschichte mit Augenzwinkern und einem feinen Gespür für Timing und Humor. Dabei helfen ihm die knallbonbonfarbenen Kostüme von Lukas Noll, die schottisches Lokalkolorit vermitteln, ebenso wie das stimmungsvolle Licht von Thomas Hase, dem mitunter allerdings die Wechsel ein wenig grob gelingen. Wilgenbus vermag nicht immer, jede der unzähligen Wendungen unmittelbar zu verdeutlichen (da hätte vielleicht doch die französische Fassung mit deutschen Übertiteln geholfen), doch überzeugt das Konzept durch allerhand wirklich komische Einfälle.

Neben der gelungenen Regie sorgt vor allem die Sängerschar dafür, dass der Abend zum Erfolg wird. Ein solch eingespieltes Komödiantenteam habe ich lange nicht mehr gesehen, was umso verwunderlicher ist, da in Gießen diesmal mit allerhand Gästen gearbeitet wird. Zu denen gehört Ralf Simon, der den Dikson überzeugend und klar spielt und singt, ebenso wie Katharina Göres, die als Jenny mit silbrig schimmerndem Sopran und schier endlosem Atem verblüfft. Stefanie Schaefer als Amme Marguerite überzeugt mit warmem Mezzo und komödiantischen Talent ebenso wie der Rumäne Calin-Valentin Cozma, der mit profundem Bass den Friedensrichter Mac-Irton gibt. Clemens Kerschbaumers Tenor neigt zwar in der Mittellage bisweilen ein wenig zum Flattern, verfügt aber über ein schönes Timbre und eine sichere Höhe, so dass ihm der Offizier George ganz hervorragend gelingt.

Zu den Gästen gesellen sich Ensemblemitglied Tomi Wendt , der bedauerlicherweise wenig zu singen hat, als intriganter Gutsverwalter Gaveston aber dennoch brüllend komisch ist. Hauskoloratura

Naroa Intxausti gibt souverän die Titelfigur und begeistert mit ihrem beweglichen Sopran und starker Bühnenpräsenz.

Der Chor überzeugt mit ansteckender Spielfreude, ausgefeilter Choreografie und schönem Gesang. Dirigent Jan Hoffman selbst hat auch hier die musikalische Einstudierung übernommen und führt am Pult schmissig und voller Schwung durch den Abend. Das Stadttheater Gießen ist gut besucht, das Publikum freut sich an einer weiteren Ausgrabung und über eine gelungene Komödie, apllaudiert allen Beteiligten begeistert.

Auch wenn mich persönlich Boieldieus Kompoition nicht ganz so vom Stuhl gehauen hat wie die Raritäten der vergangenen Jahre, kann ich Ihnen einen Besuch doch nur empfehlen.

Ihr Jochen Rüth / 20.03.2016

Die Fotos stammen von Rolf K. Wegst.

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