Hannover: „Die Englische Katze“

Premiere am 26. November 2016

Musiktheater vom Feinsten

ulia Sitkovetsky / Ensemble

So möchte man lebendiges, spannendes Musiktheater haben, wie es gestern in der Staatsoper Hannover zu erleben war: Glaubwürdig und witzig gespielt, ohne des satirischen Hintergrund zu übertreiben sowie auf hohem Niveau gesungen und musiziert – und das ausgerechnet bei einem Werk der klassischen Moderne!

Hans Werner Henzes 1983 uraufgeführte Oper ist verhältnismäßig selten zu erleben; nach 1984 gibt es sie in Hannover nun zum zweiten Mal. Die „Geschichte für Sänger und Instrumentalisten“ geht zurück auf eine 1841 erschienene Tierfabel von Honoré de Balzac. Auf der Grundlage dieser gesellschaftskritischen Satire verfasste der englische Dramatiker Edward Bond auf Henzes Wunsch ein Libretto, das über die ins Viktorianische England transferierte Vorlage weit hinaus geht; außerdem ließ er die ursprünglich gütlich endende Geschichte für die Hauptfiguren tödlich ausgehen. Dennoch bietet die Oper letztlich eine optimistische Zukunftsperspektive.

Zum Inhalt: Die nie auftretende Mrs. Halifax legt auch bei ihren Haustieren großen Wert auf eine gottgefällige Lebensweise, so scheinen die Katzen in ihrem Haus bereits geläutert. Dort tagt die „Königliche Gesellschaft für den Schutz der Ratten“, kurz K. G. S. R., die sich für rein vegetarische Ernährung einsetzt und für wohltätige Zwecke sammelt. Sie hält sich als Zeichen ihrer moralischen Gesinnung sogar die kleine Waisenmaus Louise, die für die Interessen der Gesellschaft zu werben weiß. Und weil es neben den Finanzen auch um soziales Prestige geht, soll der biedere, alternde Kater Lord Puff, der Ambitionen auf die Präsidentschaft der K. G. S. R. hegt, mit der schüchternen Minette, einer keuschen jungen Katze vom Land, verehelicht werden. Diese zeigt sich zunächst ihrem zukünftigen Gatten sehr ergeben, erliegt aber zunehmend den Reizen des streunenden Katers Tom – sehr zur Freude von Lord Puffs Neffen Arnold, der angesichts seiner Spielschulden die Hochzeit vereiteln will, um in den Genuss des Erbes zu kommen. Trotzdem kann er die Hochzeit nicht verhindern, weil Lord Puff an erotischen Angelegenheiten nicht besonders interessiert ist und sich gegenüber Minettes unschuldigem Flirt außerordentlich nachsichtig zeigt. Dennoch kommt es nach einer weiteren heimlichen Begegnung von Tom und Minette auf gesellschaftlichen Druck zu einem grotesken Scheidungsverfahren, in dessen Verlauf Tom vom Staatsanwalt als der verschollen geglaubte Erbe eines steinreichen Lords erkannt wird. Damit wäre eigentlich alles im Lot, wenn nicht Mrs. Halifax entschieden hätte, Minette wegen ihres moralisch zweifelhaften Treibens zu ertränken. Tom tröstet sich zwar mit Minettes Schwester Babette, doch da die K. G. S. R. scharf auf sein Erbe ist, wird auch er von der ehrenwerten Gesellschaft kurzerhand ermordet. „Vereint“ im Tode singen Tom und Minette ihr Abschlussduett. Den Triumph trägt Maus Louise davon: Sie hat genug von der intriganten Gesellschaft und beschließt, ein natürliches Leben zu führen.

Edward Mout / Mareike Morr / Carmen Fuggiss /S tella Motina / Ania Vegry / Sung-Keun Park /M artin Busen

In Hannover ließ die künftige Braunschweiger Generalintendantin Dagmar Schlingmann die satirische Fabel nicht von vermenschlichten Tieren spielen. Sie drehte die Perspektive sozusagen um, indem „das Animalische im Menschen…“ nicht „durch Masken, sondern durch ein spezielles Bewegungsrepertoire zum Ausdruck“ kam – so die Regisseurin im klugen, sehr informativen Programmheft (Dramaturgie: Klaus Angermann). Sie hatte das äußerst spielfreudige Ensemble erfolgreich dazu gebracht, fern von jedem Opernklischee zu agieren. Es tat dies in einem von Sabine Mader entworfenen Einheitsbühnenbild, einem schräg und verkantet auf die Drehbühne gestellten Dachzimmer, in das ein Baumstamm hereinragte und ein großer Leuchter statt an der Decke an einer der Seitenwände angebracht war – alles Zeichen für die irgendwie verkehrte Welt der Story. In Kleidung viktorianischer Zeit (Ellen Hofmann) bewegten sich die Sängerinnen und Sänger andeutungsweise wie Katzen, ohne dies zu übertreiben; lediglich die Frisuren erinnerten an Katzenohren.

Matthias Winckhler / Ania Vegry

Bei ungemein bewegungsreichem Spiel musste nun auch noch anständig gesungen werden, und das meisterte das weitgehend junge Ensemble durchgehend in ansprechender Manier: An erster Stelle ist Ania Vegry als Minette zu nennen, die mit technischer Akkuratesse die sängerisch höchst anspruchsvolle Partie gekonnt ausdeutete. Sie ließ staunen über sichere Höhen und fast akrobatisch anmutende Koloraturen, aber fand ebenso beeindruckend zu lyrischer Emphase kurz vor Minettes Tod und in dem zarten „Todes-Duett“ mit Tom. Dieser war bei dem schönstimmigen und darstellerisch auftrumpfenden Matthias Winckhler bestens aufgehoben. Wie gemacht für Minettes praktische Schwester Babette wirkte der ausdrucksstarke Mezzo von Hanna Larissa Naujoks. In passend mausgrauem Kittel wie ihre stummen Gefährten (Statisterie) trat als die „Alibi-Maus“ Louise Julia Sitkovetsky auf, die ebenfalls durch gute Stimmführung und glasklare Koloraturen beeindruckte. Sung-Keun Park gelang mit seinem flexiblen Tenor und witzigem Spiel eine glänzende Charakter-Studie des alternden, erotischen Abenteuern eher abgeneigten Lord Puff. Sein Neffe Arnold war bei Daniel Eggert mit profundem Bass in guten Händen. Die übrigen Ensemble-Mitglieder trugen teilweise in mehreren Rollen wesentlich zum großartigen Premierenerfolg bei, der agile, klarstimmige Edward Mout, die tragfähigen Bassbaritone Byung Kweon Jun und Martin Busen sowie die jeweils unterschiedlich typisierten „Damen der Gesellschaft“ Carmen Fuggiss, Stella Motina und Mareike Morr.

Von besonderer Klasse war am Premierenabend das Niedersächsische Staatsorchester Hannover, das in reduzierter Besetzung spielte, dafür aber mit teilweise im Orchestergraben ungewöhnlichem Instrumentarium, wie Orgel, Heckelphon, Zither und anderem mehr. Alle Beteiligten wurden von Hannovers 1.Kapellmeister Mark Rohde inspirierend, verlässlich und die jeweilige Stimmung wirkungsvoll herausarbeitend geleitet.

Den sich zu Ovationen steigernden, stürmischen Beifall des begeisterten Premierenpublikums unterbrach schließlich Generalintendant Michael Klügl für eine Preisverleihung: Der diesjährige Preis der deutschen Theaterverlage geht an die Staatsoper Hannover. Die Jury, zu der auch der Komponist Manfred Trojahn gehört, der die Laudatio hielt, hat ihre Entscheidung damit begründet, dass sich der Spielplan der Intendanz (seit 2006/07) „von Beginn an“ durch eine „intensive Pflege des modernen Repertoires“ ausgezeichnet habe, das „in exemplarischen Regieumsetzungen dargeboten“ werde. Als „besonderer Schwerpunkt“ wird außerdem die Arbeit der Jungen Oper gelobt, deren Werkaufträge ein neues Repertoire im Bereich der Jugendoper entstehen ließen, das sich mehr und mehr auch in Nachinszenierungen an anderen Häusern finde.

Gerhard Eckels
27. November 2016

Bilder: Thomas M. Jauk

Weitere Vorstellungen: 2.,21.12.2016+10.,20.,25.,27.1.+3.2.2017