Hannover: „Tosca“

Wiederaufnahme am 02.10.2016

Aufstand und Unterdrückung

Lieber Opernfreund-Freund,

gestern hatte am Staatstheater Hannover die Tosca-Produktion des ungarischen Regisseurinnen-Gespanns Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka aus dem Jahr 2014 ihre Wiederaufnahme und da mich deren Lesart von Ponchiellis „La Gioconda“ am Musiktheater im Revier in der vergangenen Spielzeit so überzeugt hat, habe ich das lange Wochenende für einen Ausflug ins Niedersächsische genutzt, um mir den Puccini-Krimi anzuschauen, den die beiden rund eineinhalb Jahre vor der Gelsenkirchener Arbeit in Szene gesetzt haben – und bin auf erstaunliche Parallelen gestoßen. Auch in der „Tosca“ wird die Liebesgeschichte zur Nebensache, auch in Niedersachsen geht es um eine Gewaltherrschaft und auch hier fungieren Batterien von Briefkästen als Transferort für Dokumente von Untergrundbewegungen in einem Unrechtsstaat, in dem eine Militärdiktatur herrscht. Selbst die Bühnenaufbauten ähneln sich, ein dem Publikum diagonal zugewandter Kubus fungiert als Machtzentrale der skrupellosen Militärs. Das kann man auch bei der „Tosca“ so machen, auch wenn Puccinis Musik vielmehr zum Liebesdrama tendiert als Ponchiellis „Gioconda“ und deshalb die totale Abkehr von der Geschichte um den Maler und die Sängerin nicht ganz nachzuvollziehen ist. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die beiden bei der nächsten Beschäftigung mit dem Thema „Aufstand und Unterdrückung“ szenisch doch noch die eine oder andere neue Idee aus dem Hut zaubern und nicht wieder auf Briefkästen und Kubus zurückgreifen.

Trotzdem: Die Hannoveraner „Tosca“ ist in sich schlüssig gemacht, ist bewusst zeitlos in einem Unrechtsstaats angesiedelt und zitiert Nazi- und NVA-Uniformen ebenso wie Alltagskleidung aus den 1940er Jahren, zeigt aus heutiger Sicht fast prähistorisch zu nennende Telekommunikationsgeräte ebenso wie eine Jahrzehnte später erfundene Tonbandmaschine. Der erste Akt spielt in der Gruft einer Kirche, in der neben Rosa Luxemburg und Gandhi auch Voltaire, Sophie Scholl und Nelson Mandela ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Die Unterdrückung der Bevölkerung wird hier schon baulich durch den engen Bühnenraum gezeigt – Freiheit fühlt sich anders an. Die Akte zwei und drei spielen in und vor dem eingangs geschilderten zweistöckigen Bau, in dem im Obergeschoss Scarpias Büro samt Kommunikationszentrum liegt, während darunter die politischen Gefangenen gefoltert und ermordet werden. Die Schreckensherrschaft ist allgegenwärtig und wird auch zum Teil brutal offen gezeigt – und das Ganze funktioniert mit Puccinis vielleicht klanggewaltigster Partitur sehr gut. Großes Manko der Produktion ist aber sicher die einfallslose Personenführung. Stets und ständig wird das Publikum statt des Gegenübers angesungen, die Protagonisten kommen hier nicht über oft allzu opernhafte Gesten hinaus und müssen deshalb vor allem stimmlich überzeugen – und das tun sie!

Karine Babajanyan ist eine glänzende Tosca, überzeugt als eifersüchtige Furie ebenso wie als leidenschaftliche Kämpferin und nervenstrapazierte Diva. Sie verfügt über einen kräftigen und farbenreichen Sopran, von dem ich mir lediglich in den intimen Momenten ein wenig mehr Zurückhaltung gewünscht hätte – aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Ihr zu Seite steht erstmals auf der Hannoveraner Bühne der portugiesische Tenor Paulo Ferreira , dessen überzeugender und kraftvoller Tenor voller Schmelz ihn zum idealen Cavaradossi macht. Angefangen vom eindrucksvollen „La vita mi costasse“ über ebensolche „Vittoria“-Rufe, von einer tollen Auftrittsarie bis zu einem schlicht perfekt zu nennenden „E lucevan le stelle“ bleiben da keine Wünsche offen. Als Scarpia zu erleben ist Ensemblemitglied Brian Davis . Er formt vom ersten Ton an einen mächtigen wie skrupellosen Parteichef, verliert aber im zweiten Akte leider ein wenig das Bedrohliche in seiner ansonsten ausdrucksstarken Stimme und hat darüber hinaus mehr als einmal mit dem Text zu kämpfen. Das ist schade, liefert er doch ansonsten eine wirklich überzeugende Vorstellung. Edward Mouts Spoletta lässt wahrlich aufhorchen, mit so viel Verve stürzt sich der Amerikaner in die Rolle von Scarpias Handlanger. Daniel Eggert überzeugt als spitzelnder Mesner ebenso wie als gewaltgeiler Sciarrone, Jan Szurgot komplettiert die Sängerriege als Schliesser. Die eigentliche Rolle des Schäfers wird von den beiden Regisseurinnen durch die Marchesa Attavanti ersetzt, die ihren toten Bruder Angelotti (überzeugend: Michael Dries ) beweint.

Karine Minasyan meistert die kurze Partie mehr als souverän und ist auch darstellerisch voll auf der Höhe.

Mark Rohde am Pult entfacht ein echtes Puccini-Feuerwerk, genießt die Wucht der Partitur und schafft dennoch ein sängerfreundliches Dirigat – das ist natürlich auch dem glänzend disponierten Niedersächsischen Staatsorchester Hannover zu verdanken, bei dem die Partitur dermaßen bombenfest sitzt, dass es auch nicht ansatzweise irgendwo wackelt. Chor, Extra- und Kinderchor, von Dan Ratiu einstudiert, haben nicht nur stimmlich, sondern auch szenisch einiges zu leisten und überzeugen da wie dort.

Am Ende gibt’s vom Publikum im fast ausverkauften Opernhaus nicht enden wollenden Beifall und von mir ein großes Lob für eine nicht alltägliche „Tosca“ mit ebenso nicht alltäglicher, überzeugender musikalischer Leistung aller Beteiligten.

Ihr Jochen Rüth 03.10.2016

Die Fotos von Thomas M. Jauk zeigen die Besetzung der Spielzeit 2014/15.