Besuchte Vorstellung am 04.05.2013
Dreimal bemühte die Leitung des Staatstheaters Lorenzo Fioroni, Richard Wagners Opernwerke auf der Bühne zu realisieren. Zweimal misslang dieses gründlich: Dem „Fliegenden Holländer“ und „Lohengrin“ stülpte er eine eigene „Story“ über, in der sich der Zuschauer zu Wagners Musik die passenden Bilder selbst denken musste. Auch die „Meistersinger“ gerieten vor drei Jahren zu einer Klamauk-Nummer.
Es gab einen Flyer zu „Tannhäuser“: Der rote Faden der realen Bühnenhandlung wurde richtig angedeutet, die inhaltlichen Prinzipien des Werkes genannt. Die Musik der magischen Klangbilder ließ hoffen. Auch die Ankündigung auf der Internet-Seite blieb dem roten Faden der Handlung treu, sie mochte einen Opernführer ersetzen. Gespanntheit auf die Musik wurde erzeugt. Ein Teil der Opern-Soiree allerdings galt einer Wagner-Parodie. Sollten da die „Weichen gestellt“ werden? Eine erste klare Ansage, dass Wagners Opernstoff eine „Mutation“ durch die Regie erlebt, ergeht beim Studium des Programmheftes. Nicht die „Handlung“, sondern die „Vorgänge“ werden formuliert. Das Regie-Team (m.E. eine Art „Murks-Brothers“) hat in Kassel längst als fester Bestandteil der Theater-Wirklichkeit Furore gemacht und breitet erneut seinen Regie-Theater-Brei par excellence aus. Das ist nichts als bloße Beliebigkeit, Verzicht auf Originalität! Wagner selbst spielt offensichtlich keine Rolle mehr. Lediglich die Musik muss herhalten.
Beispiele für die missglückte Regie: Der Hörselberg als Balkon-Vorbau, ohne jeglichen Bezug zu Erotik oder gar sinnlich-erotischer Liebe. Waldszene und Wartburghalle geraten zur Party-Kaschemme, mit Sauforgien, mal heller, mal dunkler beleuchtet. Die Protagonisten stolpern und fallen durch die Szene. Der „Einzug der Gäste“ als karnevalistischer Mummenschanz geht musikalisch durch Gekreisch, Gekicher und Gestolper fast unter. Es gehört zwar nicht zur Wartburg-Szene, aber was kommen muss, kommt auch: Tannhäuser liftet die Hosenträger und lässt die Hosen fallen. Wahrscheinlich will er erschrecken. Dafür greift er der „Party-Diva“ Elisabeth vehement in den Schritt (Was sein muss, muss wohl sein: Ein Hurra auf das Sudel-Theater!). Regie-Theater à la Fioroni eben.
Und der Schluss? Statt Szenengestaltung lässt er den Libretto-Text als Video-Projektion laufen! Er kneift vor der szenischen Herausforderung, die Regie-Theater- Masche (eines Peter Konwitschny) im Rücken.
(M)Eine Erklärung: Fioroni liefert uns eine Persiflage (!). Was sich textlich zu seinen Eigenwilligkeiten eignet, wird aufgegriffen. Wenn er die Text-Grundlage bewusst ignoriert oder überspielt, dann veralbert er uns als Zuschauer/Besucher, dazu allerdings auch die Theaterleitung. Meine Vermutung jedoch: Er treibt sein Spiel unbewusst. Er meint ernst, was er auf die Bühne bringt, glaubt an die eigene Seriosität. Das liegt m.E. daran, dass er die Wagnersche Textgrundlage gar nicht kennt (oder nicht verstanden hat)! Bei solchen Voraussetzungen verkommt dann auch Kunst unversehens zu Event, Happening, Klamauk. Die Kunst- und Künstlerszene ist (leider) voll von solchen Beispielen. Auch Regie-Theater „suhlt“ sich mittlerweile in solchen Entgleisungen. Den Anfängen zu wehren wurde versäumt.
Und die Musik? Zu Recht hat Christian Thielemann sich jüngst darüber beklagt, dass die Kommentare der Medien-Scribenten sich in den Wagner-Rezensionen zu großen Teilen mit der Regie und deren Konzept beschäftigen. Die musikalischen Aufwendungen bleiben eher auf der Strecke, obwohl keine (Wagner) –Oper ohne hohe musikalische Leistungen von Dirigent, Orchester, Solisten und Chor funktioniert, von den Einzelvorbereitungen angefangen bis zum klangvollen Zusammenspiel bei der Aufführung.
Zugestandenermaßen: Das Tohuwabohu der Bühnen-Gags und die teils makabre Personenführung und –gestaltung lenken heftig davon ab, sich der musikalischen Präsentation hinzugeben. Das wunderbare Septett am Ende des I. Aktes geht (leider) im szenischen Klamauk unter. Auch bei der musikalisch eigentlich berührenden, ja ergreifenden Klangwelt und Stimmung beim Finale des II. Aktes hatte man Mühe, die bemerkenswerte Klanggestaltung zu erkennen und ihr zu lauschen. Die Chöre, eigentlich Sternstunden der Wagnerschen Opernchor-Musik, leiden unter der Zerfledderung des Bühnengeschehens.
Neben den düpierten Besuchern sind die Säulen des Musik-Teams unter dem GMD trotz ihrer Leistungen die eigentlichen Verlierer des Inszenierungs-Desasters. Schade. Dem Kasseler Theater, dem man eine gewisse Wagner-Tradition zuzugestehen hat, ist erneut eine Gelegenheit zu großem Operngeschehen entgangen. Das Kasseler Theater und seine Besucher haben Besseres verdient.
Hans-Hermann Trost, 16.05.2013
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