Kassel: „Un re in ascolto“, Luciano Berio

„Ein König horcht“

Luciano Berios „Un Re In Ascolto“ ist eine faszinierende Oper über die Vermischung von Theater und Realität, bedarf aber eine der richtigen Vermittlung, um beim Publikum anzukommen. Bei der Kasseler Premiere bleiben die Zuschauer jedoch weitgehend ratlos, weil es keine Einführung in das Stück gibt, Regisseur Paul Esterhasy in seine Inszenierung ein paar unlösbare Rätsel einbaut und auch das dünne Programmheft keine Hilfestellung bietet.

In Berios „Azione Musicale“ auf ein Libretto des italienischen Schriftstellers Italo Calvino geht es um den Theaterdirektor Prospero, der von einer eigenen Form des Theaters träumt. Immer wieder gibt es Sängerinnen, die sich einem Vorsingen stellen, Diskussionen zwischen Prospero und einen Regisseur sowie schwärmerische Arien, in denen Prospero über das Theater und die Musik philosophiert. Dazwischen gibt es Anspielungen auf Shakespeares „Sturm“, denn Theaterzauberer Prospero hat noch einen Caliban-Sklaven, der hier Freitag heißt, und einen stummen Windgeist Ariel an seiner Seite.

Um sich auf dieses Stück einzulassen, muss man es als poetischen und phantasievollen Traum über das Theater begreifen, in dem es nicht unbedingt logisch zugeht. Die Texte Italo Calvinos sind wunderbar lyrisch und regen an, mal wieder den einen oder anderen Roman dieses großartigen Autos zu lesen. Empfohlen seien: „Der Baron auf den Bäumen“, „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ oder „Herr Palomar“.

Luciano Berios Musik glüht nur so vor Leidenschaft und Dirigent Alexander Hannemann koordiniert das Zusammenspiel zwischen den Sängern und dem Staatsorchester Kassel mit klarer Schlagtechnik. Dabei lässt er auch die Emotionen dieses Stückes nicht zu kurz kommen. Berio hat den Sängern viel Belcanto geschrieben und besonders die fünf Prospero-Arien sind wunderschöne Verbindungen von Poesie und Musik.

Ausstatter Mathis Neidhardt hat ein holzvertäfeltes Theaterfoyer entworfen, in dem Direktor Prospero seinen Träumen nachgeht. Prospero ist eine Künstlerklischeefigur, langmähnig, alkohol- und nikotinsüchtig schlürft er im Bademantel durch das Geschehen. Marc-Oliver Oetterli singt diese Rolle mit warm-strömendem Bariton und steigert sich schön in die Phantastereien dieser Figur hinein.

Der Sänger des Regisseurs Markus Francke, der seine Partie mit recht engem Tenor singt, darf vor der Vorstellung an die Rampe treten und behaupten, er sei der „Regisseur dieser Aufführung“ und er suche noch einen Freiwilligen aus dem Publikum, der nach einer kleiner Einweisung mitspielen dürfe. Es melden sich tatsächlich einige Freiwillige, „gewählt“ wird dann aber Schauspieler Gunnar Seidel, der auf der Bühne den Freitag verkörpert, der sich hier sogar mit Erde beschmieren muss und einige Tritte und Schläge abbekommt.

Paul Esterhasys Inszenierung wird diesem phantasievollen Theatertraum weitgehend gerecht, enthält aber auch Rätsel: Ein Kalenderblatt verrät, dass wir uns am 7. August 1984, also dem Tag der Uraufführung dieses Stückes, befinden. Sind wir uns also im Foyer des Kleinen Festspielhauses in Salzburg, wo „Un Re in Ascolto“ uraufgeführt wurde und soll Prospero Berio sein? Eine optische Übereinstimmung zwischen Marc-Oliver Oetterli und dem Komponisten gibt es nicht und das Foyer des Kleinen Festspielhauses dürfte an diesem Tag ordentlich hergerichtet sein als diese Bühne.

Warum gibt es hier Anspielungen auf die UdSSR? An der Wand hängt ein sowjetisches Propagandaplakat, mehrfach tritt ein Akkordeon spielender Rotarmist auf und schließlich kramt Prospero eine UdSSR-Fahne hervor, mit der er sich erhängt. Auch der Auftritt der großartig singenden Anna Nesyba als Frau mit Judenstern, die durch die Seitenwand bricht, bleibt rätselhaft.

Der Schlussbeifall wird bei dieser Premiere komplett versemmelt: Direkt nach Ende der Vorstellung bekommt Marc-Oliver Oetterli einen verdienten großen Solo-Applaus, danach treten die Sänger nur Gruppeneise auf, was einen differenzierten Beifall unmöglich macht. Währenddessen gibt es im Publikum tatsächlich Diskussionen, ob Schauspieler Gunnar Seidel, der den Freitag verkörpert hat, nicht vielleicht doch „ein normaler Zuschauer“ gewesen sei und ob man Markus Francke, den Sänger des Regisseurs, auch für die Regie ausbuhen müsse? Der echte Regisseur des Abends, Paul Esterhasy, lässt nämlich auf sich warten, kommt erst nach dem zweiten Solo-Beifall auf die Bühne: Da ist der Saal schon halbleer.

Rudolf Hermes 24.5.15

Produktionsbilder: Staatstheater Kassel