Wiesbaden: „Tosca“, Giacomo Puccini

Lieber Opernfreund-Freund,

fünf Jahre, nachdem der letzte Vorhang für die Tosca von Sandra Leupold gefallen ist, die sich über 10 Jahre im Wiesbadener Spielplan hat halten können, präsentiert das Staatstheater nun eine neue, vergleichsweise düstere Version des Sardou-Stoffes. Dabei hat man in den Hauptrollen gleich drei Gäste verpflichtet – und man fragt sich im ersten Augenblick: warum das denn? Die Antwort geben die Sänger gestern selbst: weil sie in ihren Rollen schlicht perfekt sind.

© Maximilian Borchardt

Die präsentierte Liste der Produktionen des Puerto-Ricaners José Cortés umfasst Werke wie La Bohème und Die Fledermaus, verschweigt allerdings, dass die Arbeiten im Rahmen seines Masterstudiums entstanden sind, das er bis 2022 in Berlin absolviert hat. Nun darf es also die große Bühne sein, und der junge Regisseur legt den Fokus auf die verschiedenen Rollen von Tosca, zeigt sie im ersten Akt noch als sternenumkränzte Madonnenfigur, bevor sie im letzten Bild als desillusionierte Frau im verdreckten Hemdchen den Freitod wählt (Kostüme: Linda Rodenheber). Dazwischen helfen ihm in seiner düsteren Inszenierung Tosca-Clone, diesen Ansatz zu verfolgen, während auf der Hinterbühne Toscas Ahnungen und Befürchtungen Realität zu werden scheinen, etwa wie Mario und die Attavanti sich küssen oder wie Scarpia sich an ihr vergeht. Das ausgetüftelte, obskure Licht von Martin Siemann und Marcel Hahn schafft dazu bedrohliche Schattenbilder und lässt nie Hoffnung aufkommen. Bühnenbildner Manuel La Casta hat für die Kirche Sant’Andrea della Valle ein paar Säulen auf die Bühne gestellt, die sich dann und wann heben und senken dürfen, im zweiten Akt zu Skeletten verkommen, um im letzten Bild gänzlich am Boden zu liegen: Toscas Idealbild ist zerstört, ihr Traum ein Trümmerhaufen. Die Bewegungen der Protagonisten scheinen bei Cortés genau choreografiert, wirken aber dadurch gekünstelt, und so fehlt dieser Inszenierung, der durchaus starke Bilder gelingen, doch irgendwie das Echte.

© Maximilian Borchardt

Mit den Gastsolisten hat sich das Staatstheater Wiesbaden drei Idealinterpreten für ihre jeweiligen Rollen gesichert. Sinéad Campbell Wallace performt dermaßen ausdruckstark, dass man ihr die Nöte ihrer Figur in jeder Sekunde abnimmt. Die irische Sopranistin ist eine energiegeladene Tosca, die vom fast bedrohlichen Brustregister über eine ausdrucksstarke Mittellage bis zu betörenden Höhenpiani auf ganzer Linie überzeugt. Wann ich zuletzt bei einem Tenor eine dermaßen feine Pianokultur habe hören dürfen wie bei Otar Jorjikia, kann ich gar nicht sagen. Der Georgier bleibt aber auch den Spinto-Passagen seiner Rolle nichts schuldig, schmettert mit seinem höhensicheren Tenor eindrucksvolle Vittoria-Rufe ins Staatstheater; da ist es schade, dass seine Figur im Regieansatz ein wenig seelenlos bleibt. Der italienische Bariton Massimo Cavalletti ist ein Scarpia wie aus dem Bilderbuch, vereint düster-bedrohliche Farben mit voluminöser Kraft und läuft schon im Te Deum im Finale des ersten Aktes zu Höchstform auf, wenn er vor dem versammelten, von Albert Horne exzellent betreuten Chor stimmgewaltig seine Begierden formuliert. Dazu zeigt er mit eindrucksvollem Spiel eine vielschichtige Version des durchtriebenen Polizeichefs.

© Maximilian Borchardt

Im Graben schlägt der stellvertretende GMD, der aus Taiwan stammende Chin-Chao Lin, durchaus gemäßigte Tempi an – jedoch ohne zu schleppen oder der Musik die Ausdruckskraft zu nehmen. Im Gegenteil: Er lässt der Partitur Zeit zu wirken, setzt Generalpausen, um kurz darauf zusammen mit den Musikerinnen und Musikern des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden mit Wucht zu explodieren, und zeigt so die klanglichen Kontraste in Puccinis Tosca jenseits der virtuos musizierten Melodienbögen.  Das Publikum im ausverkauften Haus dankt das musikalische Erlebnis mit begeistertem Applaus, und auch ich empfehle Ihnen, lieber Opernfreund-Freund, diese Tosca – zumindest in dieser Besetzung.

Ihr
Jochen Rüth
23. März 2025


Tosca
Oper von Giacomo Puccini

Staatstheater Wiesbaden

Premiere: 15. März 2025
besuchte Vorstellung: 22. März 2025

Regie: José Cortés
Musikalische Leitung: Chin-Chao Lin
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

weitere Vorstellungen: 26. März, 10., 21. und 27. April, 27. Mai (im Rahmen der Maifestspiele) sowie 7. und 12. Juni 2025