Es hätte theoretisch auch ein Flop werden können, das Projekt von Intendant Aron Stiehl, in dem kleinen Haus in der Kärntner Landeshauptstadt nach sehr, sehr langer Zeit zum ersten Mal wieder Wagners Bühnenfestspiel zur Aufführung zu bringen. Eine gewisse Motivation lag dabei darin, das Publikum ein Stück weit herauszufordern, weiterzuentwickeln, wie er mir anlässlich eines Interviews verraten hat, das wir vor der „Walküre“, mit der die Tetralogie vor zwei Jahren hier eröffnet wurde, geführt haben. Und tatsächlich berichteten damals die Medien von einer fast sportlichen Stimmung unter den Zuschauern, die sich an die Expedition „wagten“, wie würde es einem damit gehen: ein so langes Werk, eine angeblich so „schwere“ Musik …
Unterdessen ist der Zyklus bei der „Götterdämmerung“ angekommen, und man bemerkt durchaus, dass das Auditorium heute weiß, was auf es zukommt, und der Monumentalität des Werks in bestimmter Weise auf Augenhöhe begegnet. Die kluge Inszenierung hat sich dem gemäß auch weiterentwickelt (das ist vielleicht das einzig bedauernswerte, dass das Geflecht von optischen Zitaten etc. durch die Jahresfrist, die zwischen den einzelnen „Abenden“ liegt, schon ziemliche Anforderungen an das Erinnerungsvermögen des Publikums stellt, sodass man sich eigentlich wünschen würde, zumindest einen Durchgang der Tetralogie in der sonst gewohnten Zeitspanne einer guten Woche erleben zu können – was natürlich aufgrund der begrenzten Möglichkeiten des Hauses nicht realisierbar ist): die Natur, in der „Walküre“ vom ersten Akt an schon angeschlagen, ist inzwischen – mit Ausnahme einer einzelnen Ranke, die an Brünnhildens Felsen blüht, und einem winzigen Blümchen, das Siegfried seiner geliebten Frau vor dem Aufbruch zu neuen Taten noch überreicht – gänzlich ausgelöscht und einer grauen „Betonwüste gewichen, in der sich das Geschehen abspielt, das auch durch die Kostüme farblich von Grautönen dominiert wird. Versatzstücke aus den vorigen Abenden finden sich als Gerümpel am Ufer des stark verschmutzten Rheins, in dem die Rheintöchter, Ölflecken an den Kleidern, sich die strähnigen Haare ausfrisierend, auf Siegfried warten (Bühne und Kostüme: Okarina Peter, Timo Dentler).
Man merkt es (ohne das Stiehl je den Zeigefinger in unangenehm belehrender Art heben würde): der Weltenbrand ist hier ganz aktuell kein bloßes Symbol, der Hass, die Gier haben nicht nur die Menschen, sondern den Kosmos zerstört. Und so ist auch die Seilbahn, mit der in der Walküre noch Menschen- und Götterwelt verbunden waren, nur mehr eine Industrieruine, irreparabel, die Menschen sind auf sich allein gestellt … Starke Bilder, die unmittelbar ansprechen, in eine Zeit gesetzt, die sowohl Elemente des Heutigen wie des längst Vergangenen vereint, Hagens Speer steht neben Gunters Pistole, Zeitlosigkeit und Allzeitigkeit, wie es dem Modus des Mythos entspricht.
Die sorgfältige Personenführung ist sehr an der Musik ausgerichtet, was sich in mannigfaltiger Weise zeigt, am einprägsamsten vielleicht bei Siegfrieds Tod, wo Stiehl den Helden synchron zur Musik, die den Trauermarsch vorbereitet, sich noch zwei, drei Mal aufraffen lässt, bis er unter dem wuchtigen Todesmotiv zusammenbricht. Ebenso erwähnenswert, weil eigentlich nicht gewohnt, ist die Ironisierung, mit welcher der Regisseur die Gestalt Siegfrieds zeichnet, den Heldenmythos bricht: so bleibt von dem Recken, nachdem der Trank Hagens die Dimension der Liebe (zu Brünnhilde) in ihm ausgelöscht hat, nur ein machohafter Kraftlackel übrig, der, wie Männer halt so sind, einfach nichts kapiert und sich in der protzigen Entfaltung seiner physischen Vorzüge gefällt. Unsympathisch eigentlich, bis er das Gegenmittel erhält und schließlich wieder von echter menschlicher Wärme erfüllt wird. Köstlich, wie Gunter und Gutrune, nachdem sie den Naturburschen einmal in ordentliche, „salonfähige“ Kleider gesteckt haben, seine Waldklamotten „entsorgen“ und gleich noch mit Desinfektionsmittel gegen den üblen Geruch, den diese verbreiten, angehen usw.
Nur an ganz wenigen Stellen wird übers Ziel geschossen – wenn etwa die Route von Siegfrieds Rheinfahrt durch eine Projektion optisch verdeutlicht wird und in Klagenfurt (!) endet, ein Gag, der dann noch dazu auch nicht weiterentwickelt wird; oder wenn an Brünnhildes Felsen plötzlich ein Esstischchen steht, wie man sie derzeit häufiger in verschiedensten Inszenierungen antrifft, und Brünnhilde zunächst meint, sich bei Waltrautes Erzählung einfach gemütlich an den Mittagstisch setzen zu können. Doch solches bleibt zum Glück die Ausnahme.
Ansonsten erlebt man ungemein spannende Momente, z.B. im 3. Aufzug, wenn sich die Schlinge um Siegfried langsam zuzieht, und dann, an Siegfrieds Leiche, Szenen, die einem die Gänsehaut aufziehen lassen: im stummen Mienenspiel zwischen Hagen und Gunter – letzterer ist schon angesichts des Betrugsverdachts gegen seinen Blutsbruder am Ende des 2. Aufzugs sozusagen „eingegangen“ und versucht, sich zu erschießen etc. Die Figur des Alberich (der – wir erinnern uns an Stiehls „Siegfried“ – verstümmelt ist, weil er im Kampf um den Ring seine eine Hand eingebüßt hat) ist hier aufgewertet: eine vom Leben im liebelosen Hass grauenhaft entstellte Gestalt, ist er es, der, quasi als „Spielmacher“ der nun beginnenden Intrige, den Vorhang zum 2. Aufzug aufzieht, und am Ende steht er und sieht starr zu, wie sein Sohn im Streben nach dem Ring von den Rheintöchtern ertränkt wird, verfolgt vom Rand der Bühne aus die Apokalypse.
Diese ist, man muss es sagen, dem Regisseur in besonderer Weise gelungen. Nachdem man Hagens Untergang miterlebt hat, gibt der Brand den Blick auf Walhall frei, dasselbe Bild wie am Beginn des 2. Aufzugs der „Walküre“, aber jetzt nur mehr eine Ruine, zu deren Untergang eine noble Gesellschaft a la Seitenblicke aufmarschiert, die Sektgläser in der Hand, dem Feuer „erste Reihe fußfrei“ zusehend: das Walhall Motiv erklingt – sind es die Götter, die da ahnungslos in ihr eigenes Ende hinein feiern? Bis sich aus ihrer Schar ein junges Paar in ärmlichen Kleidern löst, der neue Adam und die neue Eva? – und zum Erlösungsmotiv in den Vordergrund schreitet, wo es Aug in Auge mit Alberich stehenbleibt.
Die musikalische Leitung des Abends lag in den Händen von Nicholas Milton, des Chefdirigenten des Kärntner Landessymphonieorchesters, das die herausfordernde Partitur packend, wenn auch nicht ganz unfallfrei (zumal in den Bläsergruppen) zum Klingen brachte. Muss man angesichts der aufgeführten Fassung für kleineres Orchester vor allem dort, wo man die ganz wuchtigen Orchesterwogen gewohnt ist, seine Erwartungen ein wenig umstellen, zeigen die Musiker in den berührenden lyrischen Passagen (wie z.B. bei Waltrautes Schilderung von Wotans Erinnern an Brünnhildes) ihre Vorzüge. Ein wenig störend wirkte die aus dem Hintergrund über alle Lautsprecher des Raumes eingespielte, etwas „schepprige“ Bühnenmusik.
Auf höchstem Niveau präsentierte sich die Sängerriege, angeführt von der Brünnhilde der britischen Sopranistin Katherine Broderick, die nicht nur über eine riesige, zugleich (für eine Dramatische) eher helle und sehr feminine Stimme und schier unerschöpfliche Kraftreserven verfügt: sie versteht es auch, mit dieser Stimme in ihren unterschiedlichsten Schattierungen die ganze emotionale Bandbreite der monumentalen Figur zum Klingen zu bringen. Nicht ganz auf gleicher Höhe ist ihr darstellerisches Potential, wo man sich z.B. in den dramatischen Szenen am Ende des 1. Aufzugs oder bei dem „heiligen Eid“ mehr „Action“ gewünscht hätte. Schauspielerisch (in der bereits geschilderten Weise) überaus präsent ist der Siegfried von James Kee, einem amerikanischen Sänger von heldischer Statur: auch er überzeugt mit einem zwar baritonal gefärbten, aber höhensicheren und ausdauernden Tenor. Quasi dem Klischee eines finnischen Basses entspricht Sami Luttinen als eiskalt schauriger Hagen mit (heute seltenem) rabenschwarzem Timbre. Auch er verfügt über so machtvolle vokale Mittel, dass es gar nicht notwendig wäre, in der Mannen-Szene dermaßen mit hörbarer Gewalt „draufzuhauen“.
Naturgemäß ein wenig im Schatten der drei Hauptfiguren stehen die Gibichungen-Geschwister, wobei Marian Pop, den man als präzisen Darsteller kennt, gerade zum Ende hin, wenn er mehr und mehr vom Täter zum Opfer der Intrige seines Halbbruders wird, den Verfall Gunters erschütternd zum Ausdruck bringt. Stimmlich fühlt er sich in den höheren Lagen der Partie hörbar wohler als in den tieferen Passagen. Clara Nadeshdin von der Staatsoper Unter den Linden hatte, nachdem sie bereits als zweite Norn mit ihrem schlanken, jugendlich-dramatischen Sopran aufgefallen war, als Gutrune die Entwicklung vom blonden Gift zur erschütternd Trauernden, selbst Betrogenen zu vollziehen und tat dies mit einer vokalen und dramatischen Intensität, wie man sie von dieser Figur eigentlich gar nicht gewohnt ist.
Stimmlich und darstellerisch blass blieb die Waltraute von Veronika Dünser, die auch die erste Norn verkörpert hat, markant in Gesang und Spiel gestaltete KS Stefan Heidemann den verbitterten Nibelungen. Als optisch grell gewandete Rheintöchter gefielen Christane Döcker, Sarah Gilford, Linsey Coppens.
Mit ihnen wird im nächsten Jahr das „Rheingold“ beginnen und, so das Konzept, der „Ring“ in Klagenfurt seinen Abschluss finden. Denn – so der Regisseur und „Vater“ des ungewohnten Zugangs – die Geschichte wiederholt sich, ist selbst der eigentliche „Ring“, der sich weiterdreht. Ob dies auf eine frohe oder düstere Botschaft hinausläuft? Man wird es sehen. Für diese Saison gibt es jedenfalls die „Götterdämmerung“ noch ein paar Mal in dieser wirklichen hörens- und sehenswerten Produktion zu erleben. Gänzlich ausverkauft war es nicht: also hinfahren, anschauen – es lohnt sich!
Valentino Hribernig-Körber 12. Oktober 2023
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)
Götterdämmerung
Richard Wagner
Stadttheater Klagenfurt
Richard Wagner
Stadttheater Klagenfurt
3. Oktober 2023 (5. Vorstellung)
Premiere 21. September 2023
Regie: Aaron Stiehl
Dirigat: Nikolas Milton
Kärntner Landessymphonieorchester