Pforzheim: „Aida“, Giuseppe Verdi

© Martin Sigmund

Am Theater Pforzheim ist seit kurzem eine neue Aida zu sehen und zu hören. Regisseur Markus Hertel und seine Ausstatterin Sibylle Meyer wollten offenbar das Publikum nicht verstören und siedelten die Handlung in einem mehr konventionellen Rahmen mit abstrakten Zutaten an. Insgesamt haben wir es hier mit einem neutral gehaltenen Bühnenbild zu tun, das einige wenige ägyptische Zutaten aufweist. Geprägt wird der Raum von einer Pyramide. Diese lässt sich öffnen und mit Hilfe von Statisten in die unterschiedlichsten Stellungen bringen. So entstehen immer neue Außen- und Innenräume, die zusätzlich noch von zwei Treppenmodulen geprägt werden. Das Regieteam siedelt das Ganze in keiner konkret zu bestimmenden Zeit an. Die gefälligen Kostüme verweisen vielmehr auf verschiedene Epochen. Die Historie wird dabei als Zitat mitberücksichtigt. So trägt Amneris ein antikes Kostüm, während Aida in einem neutralen, zeitlosen Kostüm erscheint. Radamès tritt in einem modernen Kampfanzug auf, den er im vierten Akt mit moderner ziviler Kleidung vertauscht. In eine neutrale Richtung weisen die Uniformen der ägyptischen Soldaten.

In diesem Ambiente setzt Hertel auf eine eindringliche Auslotung der Dreiecksbeziehung zwischen Aida, Radamès und Amneris, ohne dabei das Politische aus den Augen zu verlieren. Und dieser Aspekt macht das eigentlich Aufregende an seiner Inszenierung aus. Die Priesterschaft ist eine stark politisch orientierte Clique. Sie hat die eigentliche Macht im Staat. Der Pharao hat hier nicht mehr viel zu sagen und ist lediglich eine Marionette, die den Wünschen des Oberpriesters gefügig ist. Dass Ramphis hier die Entscheidungen trifft, wird bereits ganz am Anfang deutlich, wenn die ägyptischen Soldaten ihre Befehle von ihm gegenzeichnen lassen. Der Pharao ist zwar relativ schwach, aber dennoch hat er es faustdick hinter den Ohren. Er ist sehr auf Propaganda bedacht, was der Regisseur in der Szene mit dem Boten geschickt zum Ausdruck bringt. Hier muss man sich zuerst darüber im Klaren sein, dass nicht Äthiopien, sondern Ägypten der Aggressor ist. Die Kämpfe finden bereits statt. Um das Volk über die fragwürdige Rolle Ägyptens in diesem Spiel zu täuschen, präsentiert der Pharao den Menschen einen schwer verwundeten Krieger von der Front, der den Äthiopiern die Schuld an dem Krieg zuweist, die Lage bewusst falsch schildert und daraufhin das Zeitliche segnet. Das ist auch ganz im Interesse von Ramphis, den der Regisseur obendrein als Ziehvater von Radamès versteht. Eine irgendwie geartete Entwicklung von Pharao und Oberpriester findet allerdings nicht statt. Sie sind in ihren veralteten Ideen und Intentionen gleichsam festgefahren und auch nicht willens, irgendetwas zu ändern. Dieser von der Regie gekonnt vorgeführte politische Aspekt der Produktion ist durchaus moderner Natur in einem äußerlich, wie oben bereits erwähnt, eher konventionellen Rahmen.

Zeitgenössisch ist auch das Spiel Hertels mit Tschechow‘ schen Elementen. Die Rolle der Oberpriesterin wertet er dabei ungemein auf. Sie bleibt nicht, wie sonst meistens, unsichtbar, sondern erscheint körperlich auf der Bühne – und das nicht nur in der Tempelszene des ersten Aktes, sondern darüber hinaus auch noch beim Triumphmarsch und der Vorführung der äthiopischen Gefangenen im zweiten Akt sowie im dritten Akt, in dem sie sogar eine Passage des Frauenchores singen darf. Das war ein grandioser Einfall! Ein weiterer Höhepunkt der Produktion ist das Gericht der Priester im vierten Akt, in dem die Spannungskurve noch einmal stark ansteigt. Während im Hintergrund das Urteil über Radamès gesprochen wird, legt ein Priester im Vordergrund ein Schwert auf die Stufen, während ein zweiter ein großes weißes Tuch auf der Treppe ausbreitet. Radamès hat seinen Kriegerstatus verloren. So will es das Bild mit dem Schwert sagen. Und das weiße Tuch ist sicher ein Hinweis auf Radamès‘ Unschuld. Dennoch wird er von den Priestern zum Tode verdammt. Sein und auch Aidas Glück ist an der Politik gescheitert. Nur der Krieg hat ihr Verhalten bestimmt. Privates blieb außen vor. Im Schlussbild treffen sich die Liebenden zwischen den beiden Treppenmodulen. Sie bleiben am Ende unbeweglich voreinander stehen, während Amneris auf der Spitze des einen Moduls einen inneren, psychischen Kampf auslebt. Mit dieser Inszenierung kann man leben. Insbesondere konventionell eingestellten Gemütern wird sie Freude bereiten. Modern eingestellten Opernbesuchern kann insbesondere die Deutung der Priester und des Pharaos gefallen.

Mit einem fein zelebrierten, ebenmäßig dahinfliessenden Orchesterklang wartete Robin Davis am Pult auf. Leisen, lyrischen Stellen schenkte er ebenso viel Aufmerksamkeit wie ausufernden, lauten und dramatischen Passagen. Der Höhepunkt des Abends war der fulminant dirigierte Triumphmarsch. Die bestens disponierte Badische Philharmonie Pforzheim setzte die Intentionen des Dirigenten sehr versiert und intensiv um.

© Martin Sigmund

Auf einem für ein kleines Haus wie Pforzheim ungewohnt hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Hier haben sich manche der Sänger nachhaltig für größere Häuser empfohlen. Stamatia Gerothanasi war eine mit gut durchgebildetem sowie fein und elegant geführtem Sopran eine ideale Aida. Sie sang durchweg sehr ebenmäßig und mit gutem Legato und verfügte darüber hinaus in ihrer großen Arie im dritten Akt über herrliche Höhenpiani. Eine echte Glanzleistung erbrachte Felipe Rojas Velozo als Radamès. Er stellt wahrlich das Paradebeispiel eines vorzüglichen italienischen Heldentenors dar. Seine baritonal grundierte und hervorragend italienisch geschulte Stimme ist ungemein intensiv, kraftvoll und ausdrucksstark und wirkt sogar noch in der mühelos erreichten Höhe stark metallisch. Bravo! Einen hervorragenden, ebenfalls eine vorbildliche italienische Technik aufweisenden, farbenreichen, emotional angehauchten  und differenziert geführten Mezzosopran brachte Julia Rutigliano in die Partie der Amneris ein. Ein robust und kräftig singender Amonasro war Martin Berner. Sonores Bass-Material brachte Aleksandar Stefanoski für den Ramphis mit. Tadellos sang Lou Denès die Oberpriesterin. Eine ordentliche, wenngleich auch nicht außergewöhnliche Leistung ist dem Pharao von Markus Wessiack zu bescheinigen. Demgegenüber fiel der den Boten gänzlich ohne die erforderliche Körperstütze seines dünnen Tenors singende Leopold Bier deutlich ab. Zufriedenstellend waren Chor und Extrachor des Theaters Pforzheim.

Ludwig Steinbach, 28. Oktober 2024


Aida
Giuseppe Verdi

Stadttheater Pforzheim

Premiere: 11. Oktober 2024
Besuchte Aufführung: 26. Oktober 2024

Inszenierung: Markus Hertel
Musikalische Leitung: Robin Davis
Badische Philharmonie Pforzheim