Pforzheim: „Idomeneo“, Wolfgang Amadeus Mozart

© Sabine Haymann

In Jahre 1981 war Mozarts Oper Idomeneo das letzte Mal am Theater Pforzheim zu erleben gewesen. Damals noch in deutscher Sprache. Jetzt endlich hat sich die Theaterleitung dazu entschieden, das Werk nach über vierzig Jahren endlich wieder auf den Spielplan zu setzen. Und jetzt Gott sei Dank in der italienischen Originalsprache. Das war eine gute Entscheidung, denn die Inszenierung, das Dirigat und die gesanglichen Leistungen sprachen für sich. Die musikalische Ausbeute ist recht befriedigend. Man hört einiges, was an spätere Meisterwerke Mozarts erinnert, betont Stück-Dramaturg Carlo Mertens auf S. 12 des Programmheftes. Mozart hielt den Idomeneo, der eine gekonnte Kombination von der tragèdie lyrique und der opera seria darstellt, für eine seiner besten Kompositionen. Das lässt sich an der gelungenen Pforzheimer Neuproduktion durchaus nachvollziehen.

In Puncto Inszenierung leisteten der Regisseur Urs Häberli und sein Ausstatter Marcel Zaba gute Arbeit. Sie haben das Werk trefflich durchdacht und mit Hilfe einer flüssigen Personenregie auch ansprechend auf die Bühne gebracht. Jeglichen konventionellen Klischees hat das Regieteam eine strikte Absage erteilt und Mozarts Oper vielmehr behutsam modernisiert. Dabei hat es sich von der Erscheinungsform der Insel Kreta, auf der die Handlung spielt, inspirieren lassen. Die in ästhetischen, dunklen Blau-Grau-Tönen schimmernde Bühne wird von archaischen Tempelsäulen und einem goldenen Thron eingenommen. Ständig präsent ist ferner ein Stierkopf, ein Zeichen ungezügelter Männlichkeit. Immer wieder erschließt sich dem Blick das Meer rund um die Küste Kretas. Die durchinszenierte Ouvertüre zeigt Idomeneo, wie er sich nach Troia einschifft und von seinem kleinen Sohn Idamante Abschied nimmt. Dass es in den Troianischen Krieg geht, belegt eine Feuersbrunst am Horizont. Das kleine Spielzeugpferd, das Idomeneo seinem Sohn schenkt, weist auf das Troianische Pferd und damit auf das Ende des Krieges hin. Dann erfolgt auf der Bühne ein Zeitsprung von zehn Jahren, der in die Gegenwart führt.

© Sabine Haymann

Hier dreht sich alles um Macht. Für Häberli stellt das ganze Geschehen eine Parabel auf Macht und Machterhalt dar. Die Abwesenheit des Königs hat in Kreta ein tiefes politisches Loch hinterlassen. Idamante ist nicht wirklich geeignet, die Herrschaft zu übernehmen. Ilia und Elettra müssen ihn immer wieder auf seine Verantwortung hinweisen, indes ohne dabei sonderlichen Erfolg zu haben. Idamantes Liebe zu Illia lässt ihn auch mit den übrigen gefangenen Troianern sympathisieren, die Säcke über dem Kopf tragen. So wirken sie wie Insassen des US-Gefangenenlagers Guantanamo. Und die Kreter, die zuvor heil aus dem Sturm herausgekommen sind, wirken in ihren zerschlissenen Kleidern auch so, als hätten sie soeben erst eine postapokalyptische Katastrophe überstanden. Ein traditionelles Ungeheuer gibt es bei Häberli nicht. Idomeneo persönlich stellt das Untier dar. In diesem Ambiente verzichtet der Regisseur ganz auf die Götter. Eine übergeordnete religiöse Macht spielt bei ihm keine Rolle. Insbesondere das abschließende Deus ex machina hält Häberli nicht mehr für zeitgemäß. Demgemäß hat er das Orakel kurzerhand gestrichen. An dessen Stelle tritt die Macht der Liebe. Sie ist es, die schlussendlich alles zum Guten wendet. Für ein großes Fragezeichen sorgt indes die in dieser Inszenierung politisch rege Priesterschaft, die das Volk von einem großen Holzpult aus aktiviert. Hier haben wir es mit einem ausgemachten orthodoxen Klerus zu tun, der sich am Ende auf die Seite von Elektra schlägt. Während Idamante und Illia zum neuen Königspaar erhoben werden, erhält die mykenische Prinzessin von dem Priester des Neptun ebenfalls eine imposante Königskrone. Diese auf dem Haupt nähert sie sich dem frischgebackenen Paar. Der Kampf zwischen Elektra und Illia wird weitergehen. Ein glückliches Ende liegt hier nicht wirklich vor.

Am Pult wies Michael Pichler der trefflich disponierten Badischen Philharmonie Pforzheim behände den Weg durch Mozarts Partitur. Sein musikalischer Zugriff war recht markanter und sogar ein wenig forscher Natur, entbehrte aber dennoch nicht einer gewissen Klarheit und Transparenz der Tongebung.

© Sabine Haymann

Fast durchweg zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. Hier wurde wieder einmal spürbar, über was für tolle Sänger das kleine Theater Pforzheim doch verfügt. Santiago Bürgi sang den Idomeneo vorbildlich im Körper, nuancenreich sowie recht differenziert. Auch schauspielerisch vermochte er zu gefallen. In die Rolle seines Sohnes Idamante brachte Cecilia Pastawski einen trefflich fokussierten, tiefgründig und gefühlvoll klingenden Mezzosopran mit. Wunderbar lyrischen Wohllaut verbreitete Elisandra Meliàn als Illia. In ihren Rachegelüsten schon schauspielerisch ausgezeichnet war die Elettra von Stamatia Gerothanasi. Gesanglich überzeugte sie ebenfalls mit bestens fundierter, wandelbarer und flexibler Sopranstimme. Insbesondere die dramatische Rachearie zum Schluss gelang ihr vortrefflich. Das war die beste Leistung des Nachmittags! Ein kraftvoll singender Priester des Neptun war Dirk Konnerth. Gegenüber allen seinen Kollegen fiel der den Arbace sehr dünn und gänzlich ohne die erforderliche Körperstütze seines Tenors singende Dustin Drosdziok erheblich ab. Er bildete den einzigen Schwachpunkt in einem sonst vorzüglichen Sängerensemble.

Fazit: Eine Aufführung, deren Besuch zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 17. Juni 2024


Idomeneo
Wolfgang Amadeus Mozart

Theater Pforzheim

Premiere: 24. Februar 2024
Besuchte Aufführung: 16. Juni 2024

Inszenierung: Urs Häberli
Musikalische Leitung: Michael Pichler
Badische Philharmonie Pforzheim