Graz: „Geschenke der Nacht“, Johann Joseph Fux

STYRIARTE 2020

Dem seit 30 Jahren erprobten und stets vorwärtsblickenden Styriarte-Intendanten Mathis Huber ist es gelungen, die Corona-Situation effektvoll und klug zu Neuem zu nutzen! Er beklagte in Corona-Zeiten nie die staatlichen Pandemie-Regelungen, sondern arbeitete konsequent und optimistisch mit seinem Team an einer Umarbeitung des ursprünglich vorgesehenen Programms. Dieser Mut wurde belohnt: seit 1.Juli ist es zulässig, für 250 Personen in geschlossenen Veranstaltungsräumen zu spielen. Und sofort an diesem ersten Tag eröffnete die Styriarte mit einem wahrhaft zeitgemäßen Barock-Spektakel, das nicht nur die Entdeckungsreise durch die Meisterwerke des großen steirischen Barockkomponisten Johann Joseph Fux fortsetzte, sondern uns gleich auch noch die Uraufführung einer „Minioper“ bescherte, die in wahrer Rekordzeit entstanden und einstudiert war. So konnte man also wesentliche Teile der geplanten Fux-Oper erleben, die ein Auftragswerk des kaiserlichen Hofes war und nur ein einziges Mal im August 1709 aufgeführt wurde – und das verschränkt mit einem mehr als 300 Jahre später geschriebenen Auftragswerk, das bei der diesjährigen Eröffnung wohl auch nur dieses einziges Mal erklungen sein wird, ist diese Minioper doch untrennbar mit dem Auftreten der politischen Prominenz verbunden. Die Repräsentationsbedürfnisse der Habsburger-Zeit wurden so effektvoll mit unserer heutigen Zeit gespiegelt.

Mathis Huber war es gelungen, dass erstmals seit 30 Jahren der österreichische Bundespräsident nach Graz kam, um die Styriarte zu eröffnen. Das bewirkte natürlich, dass auch die weitere politische Prominenz von Stadt Graz, Land Steiermark und der Bundesregierung kam und zur Eröffnung das Wort ergriff.

Die Reden der fünf männlichen Exponenten (Intendant Mathis Huber, Grazer Kultur-Stadtrat Günther Riegler, Landeshauptmann Hermann Schützenhofer, Vizekanzler sowie Kunstminister Werner Kogler sowie Bundespräsident Alexander van der Bellen) wurden dramaturgischer Bestandteil des Kompositionsauftrags an die junge Komponistin Flora Geißelbrecht, die über den Text des Styriarte-Dramaturgen Thomas Höft Die Musen des Parnass für sechs Frauenstimmen a-cappella-Musik komponiert hatte. Da waren plötzlich die männlichen Honoratioren von acht jungen Frauen umrahmt (2 Soprane, 2 Mezzos, 2 Altistinnen, einer Dirigentin und eben der Komponistin – schon das ein sehr reizvolles Szenarium! Den Bundespräsidenten in einer Opern-Sprechrolle, das gibt’s nur bei der styriarte – ….wie wichtig es ist, dass heute nicht nur die „Männer quatschen“ – alles nachzuhören in einem Gespräch mit Komponistin und Librettisten.

Nun – die Redner hatten sich geduldig und charmant den Anweisungen und Einwürfen der vom Parnass (hoch oben im Publikum) auf die Bühne herabgestiegenen Musen gefügt. Ein Meister im geistvollen Plaudern – verbunden mit klugen Worten zur Bedeutung der Kunst – ist der vom Publikum herzlich akklamierte Bundespräsident Alexander van der Bellen.

Die zentrale Botschaft des Bundespräsidenten:

Wir sind zwar noch weit entfernt von einem Festivalbetrieb, wie wir ihn kannten, aber das schmälert die Freude nicht. In den letzten Wochen wurden wir sehr oft daran erinnert, dass Kunst und Kultur wesentlich sind. Kunst bedarf keiner Rechtfertigung – das ist eines ihrer Wesensmerkmale. Kunst ist. Das alleine macht sie so faszinierend, so einzigartig.

Die Musik von Flora Geißelbrecht bewegt sich durchaus effektvoll zwischen dem Madrigalstil von Palestrina bzw. Fux und der gegenwärtigen Hip-Hop-Szene mit stereotyp sich wiederholenden Gradus-ad-parnassum-Rufen. Warum es nur 6 – und nicht die von Hesiod überlieferten – 9 Musen Apollos waren, erschloss sich mir nicht. Wahrscheinlich waren es wie bei Auftragswerken aller Zeiten wohl ganz pragmatische Gründe, weil eben in der Kürze der Zeit nur 6 qualifizierte Sängerinnen aufgetrieben werden konnten. Man könnte auch spekulieren, dass Palestrina, der sich in dem berühmten in Dialogform verfassten Kontrapunktlehrbuch Gradus ad Parnassum den Fragen von Fux stellt, überwiegend sechsstimmige Madrigale geschrieben hat….

Wie auch immer: die Mini-Oper war gebührend grell und gleichzeitig ernst und heiter mit einem optimistischen Ausblick erfüllte ihren Zweck bestens. Gleichzeitig erfüllte das Auftragswerk einen in diesen Zeiten ganz wichtigen Aspekt: sechs bestens qualifizierte Sängerinnen und eine ebenso kompetente junge Dirigentin hatten wieder die lang vermissten Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten!

Aber das Eröffnungsspektakel beschränkte sich musikalisch nicht auf diese Uraufführung, sondern brachte auch Musik von Johann Joseph Fux mit dem styriarte Festspiel-Orchester unter seinem Mentor Alfredo Bernardini und das prächtig-musikantische Ensemble Spafudla, das in schwungvollem Elan Johann Joseph Fux mit heutiger alpenländischer Volksmusik verbindet. Dieser Eröffnungsfestakt war damit wahrlich ein Gesamtkunstwerk im barocken Sinne, das alte und neue Musik, Sprache und Aktion miteinander sehr schön verband. Das Publikum spendete begeisterten Beifall.

Diese knapp einstündige Eröffnung ging nahtlos in die „Corona-Neufassung“ der Oper von Johann Joseph Fux – Gli Ossequi della Notte – Die Geschenke der Nacht über. Diese Oper hatte Fux über kaiserlichen Auftrag für den Namenstag der Kaiserin Amalie Wilhelmine geschrieben. Aus diesem Anlass wurde sie im August 1709 ein einziges Mal im Garten der kaiserlichen Favorita in Wien aufgeführt. Seither ruhte sie in den Archiven. Im Programmheft, das in dankenswerter Weise wie immer bei der styriarte online verfügbar ist, heißt es dazu:

An der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die „Arbeitsstelle der Fux-Gesamtausgabe“ Aufführungsmaterialien für „Gli Ossequi della Notte“ erarbeitet, die anschließend in der Online-Reihe „Fux concertato“ als open access publiziert werden. Das Stimmenmaterial für die Aufführung wird der styriarte dankenswerterweise kostenlos zur Verfügung gestellt.

Man erlebte 11 Nummern und erfreute sich an der ungeheuer farbigen und kontrastreichen Klangsprache von Fux. Alfredo Bernardini spielte Oboe und leitete das animiert spielende styriarte Festspiel-Orchester stehend von seinem Pult aus. Die Rezitative und Arien der beiden Hauptfiguren La Notte und Il Sonno interpretierten die junge Sopranistin Maria Ladurner und der in Graz schon aus den letzten beiden Jahren bekannte Tenor Valerio Contaldo. Die Sopranistin verfügt über eine klar-timbrierte zarte Stimme, die am Beginn einer vielversprechenden Karriere steht, wenn sie sich auch bei vollem Orchesterklang im Finale nicht recht durchsetzen konnte, die aber mit sympathischer Ausstrahlung für sich einnahm. Der Tenor überzeugte in den lyrischen Passagen – etwa im wunderschönen Caro mio ben – sowohl durch souveräne stilsichere Phrasierung als auch mit virilem Timbre.

Die Fux-Oper wurde durchaus stilgerecht in dieser Fassung durch zwei nächtliche Instrumentalkonzerte ergänzt. Nach dem ersten Teil der Opernszenen erklang das köstliche Concerto in d, Le dolcezze e l’amarezze della notte von Fux mit drastischen Klangbildern in einem Gesang des Nachtwächters, einem „gestampften“ Menuett und einem „schnarchenden“ Kontrabass. Und dann baute man noch Vivaldis Concerto La Notte ein, in dem Marcello Gatti auf der Querflöte brillierte und sich mit dem Fagottisten Ivan Calestani die musikalischen Pointen zuwarf.

Dieses etwa einstündige Programm spielte man am 1. und 2. Juli jeweils dreimal hintereinander – um 18 Uhr, um 19h30 und um 21 Uhr. Bei jeder Vorstellung durften 250 Personen in den rund 1000 Plätze fassenden Saal. Damit hatte man zwar nicht die bei der styriarte in den vergangenen Jahren übliche Auslastung erreicht – aber immerhin: es war eine kluge und praktikable Lösung, die den derzeit geltenden Platzbeschränkungen Rechnung trägt und dennoch einen großen Publikumskreis ansprechen kann. Hoch erfreut erlebte man nach langer Pause wieder Live-Musik und Live-Aktion!

Hermann Becke, 2.7. 2020

Szenenfotos: Styriarte, © Nikola Milatovic

Hinweis:

Die gesamte Eröffnungsveranstaltung kann hier als Livestream nacherlebt werden.