7. Juli und 11. Juli: Helmut-List-Halle
Was haben türkisch-syrische Musik für tanzende Derwische und Händel/Telemann mit ihren Wassermusiken Gemeinsames??
Wenn man zwei Styriarte-Konzerte mit diesen konträren Programmen besucht und dann darüber berichtet, entdeckt man überrascht so manches, was verbindet!
Ensemble Sarband und tanzende Derwische (7. Juli)
Auf der Homepage des seit über 30 Jahren bestehenden Ensembles liest man: „Sarband bedeutet Verbindung. In der nahöstlichen Musiktheorie steht dieser Begriff für die improvisierte Verbindung zwischen Teilen einer musikalischen Suite. Das Ensemble Sarband lädt Hörer wie auch Musiker mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen dazu ein, «zusammen zu finden», «verbunden» mit musikalischen Erfahrungen, die zuvor vielleicht als fremd wahrgenommen wurden.“
Diesmal brachte das Ensemble ein Programm nach Graz, in dem Musik und Tanz religiöser Ausdruck sind. Die Tänze der „Wirbelnden Derwische“ aus der Türkei und aus Syrien wurden mit Instrumentalmusik und Gesängen begleitet, vor allem nach Texten des muslimischen Mystikers Rumi aus dem 13.Jhdt. Der Großteil der Musik, die an diesem Abend erklang, stammte aus dem 17. Jahrhundert. Im Programmheft heißt es dazu:
Nehmen wir nur eine musikalische Hauptfigur unseres Programms:
Alî Ufkî, der eigentlich Wojciech Bobowski hieß und an den osmanischen Hof entführt wurde, wo er eine unglaubliche Karriere machte. War der nun Pole oder Türke? War er Muslim oder Christ? Im Endeffekt beides. Und mehr als das. Er hat alles aus seinem Leben geschöpft, was man schöpfen kann und unvergleichliche Kunst hinterlassen. Und das macht
ihn so beispielhaft.
Der Abend begann mit der Rezitation einer Koransure und es war ganz erstaunlich, mit welcher Konzentration das über 1000-köpfige Publikum das ohne Pause ablaufende Programm von etwa 80 Minuten aufnahm. Am Ende wurden Musiker und Tänzer mit großem Beifall bedacht.
Dank der Hinweise im Programmheft konnte man auch sehr schön den Unterschied im Tanzstil zwischen den türkischen und syrischen Derwischen erkennen: „Die türkischen Mevlevi betonten – als Teil einer asiatischen Kultur – mehr die stille innere Versenkung. Die arabischen
Bruderschaften – bei uns ein Mavlavya-Derwisch aus Syrien
– konzentrierten sich zunehmend auf die nach außen gekehrte Ekstase, das göttliche Theater, denn die arabische Welt ist auch ein Teil Afrikas.“
Bei den türkischen Derwischen sah man deutlich diese innere Versenkung – etwa wie beim Drehtanz die rechte Handfläche nach oben zeigt, um den Segen Gottes zu empfangen, und wie die linke Handfläche nach unten weist, um den Segen in dieser Welt zu verteilen. Beim syrisch-arabischen Derwisch stand das Theatralische im Vordergrund. Einen kleinen Eindruck bekommt man, wenn man sich das kurze Video ansieht, das der Veranstalter von der Zugabe zur Verfügung stellte.
Nach der konsequent durchgehaltenen Konzentration haben sich dann letztlich doch die westlichen Konzertgewohnheiten durchgesetzt – eine Zugabe musste sein, auch wenn sie nicht zum streng rituellen Ablauf des religiösen musikalisch-tänzerischen Programms passte. Sie war aber eben die Verbindung zwischen zwei Welten, die dem Ensemble ein grundsätzliches Anliegen ist. Und in diesem Sinne mag man auch akzeptieren, dass sich nach dem Ende der Zugabe das Podium öffnete und der Styriarte-Intendant das Publikum auf die Hinterbühne einlud – zur „Tanz-Party im Ballroom zum Mittanzen nach Belieben“ (so der Wortlaut im Programm)
Wie auch immer: es war ein großartiger und bewegender Abend, der uns Mitteleuropäern ein Fenster zu einer anderen Welt öffnete, die aber auch ein Teil von uns ist (oder sein sollte!) – ganz im Sinne des Goethe-Wortes: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen."
Und damit ist der Übergang gefunden zu einem zweiten überaus bemerkenswerten Konzert der diesjährigen Styriarte:
Concentus Musicus Wien – Wassermusik von Händel und Telemann (11.Juli)
Das renommierte, vor über 60 Jahren von Nikolaus Harnoncourt gegründete Ensemble war seit Jahren ein wichtiger und unverzichtbarer Teil des Styriarte-Programms. Im Vorjahr waren ursprünglich 11 Konzerte mit dem Concentus vorgesehen, die dann nach dem Tode von Nikolaus Harnoncourt auf 7 reduziert wurden. Heuer sind es gar nur mehr zwei Konzerte – einmal „Bach pur“ und einmal in der List-Halle die „Wassermusik“, über die hier berichtet sei.
Ich gestehe, ich hatte mich auf dieses Konzert besonders gefreut – dies nicht zuletzt deshalb, weil es in der ursprünglichen Ankündigung zu den ganz wenigen Styriarte-Veranstaltungen zählte, die ohne Spracherläuterungen oder mediale Zutaten – ganz konzentriert auf die Musik – vorgesehen waren. Kurzfristig war es dann doch anders: man hatte den Schauspieler Michael Dangl gebeten, Texte (des Dramaturgen Thomas Höft) zu den Telemann-Werken zu lesen. Das war speziell bei der Wassermusik sehr hilfreich und ließ die Figuren Thetis, Neptun, Tritonus, Aeolus sowie die Najaden, denen die einzelnen Sätze gewidmet sind plastisch vor uns entstehen. Michael Dangl machte dies außerdem so großartig und ohne sich je ungebührlich in Szene zu setzen, dass mein ursprünglicher Vorbehalt geradezu wegschmolz. Michael Dangl hatte das Publikum schon im Foyer begrüßt und mit einer Kurzeinführung erfreut.
Auch über die musikalische Seite des Abends kann man nur schwärmen. Da wurde frisch-zupackend und mit gemeinsamer Musizierfreude aufgespielt. Man könnte meinen, dass die Händel‘schen und Telemann’schen Wassermusiken nicht unmittelbar zum Festival-Motto „Tanz des Lebens“ passen. Aber der Einwand geht ins Leere: Barockmusik ist immer aus dem Geiste des Tanzes geboren – und wenn man beispielsweise die beiden großartigen Kontrabassistinnen beobachten konnte, mit welch tänzerischer Freude sie das rhythmische Fundament bilden und gleichzeitig die Musik vorantreiben, dann sind auch die Wassermusiken Tanzmusik. Dieses Kompliment gilt natürlich für alle Gruppen des rund 30-köpfigen Ensembles, das zu zwei Drittel aus Damen besteht – nur die prächtig auftrumpfenden Naturhörner sind noch eine Männerdomäne.
Natürlich denken alle im Publikum – darunter auch seine anwesenden drei Brüder – an Nikolaus Harnoncourt. Er fehlt uns allen unendlich – aber er freut sich bestimmt über das unprätentiöse Dirigieren des jungen Stefan Gottfried, der nun den Concentus Musicus Wien gemeinsam mit dem Konzertmeister Erich Höbarth und der Geigerin Andrea Bischof kollegial leitet. Auch bei diesem Konzert jubelte das Publikum in der ausverkauften Halle und wurde mit der Wiederholung eines Telemann-Satzes belohnt.
Und um die Brücke zum ersten Konzert zu schlagen:
Der polnisch-osmanische Komponist Alî Ufkî, der Rumi-Texte vertonte und für die tanzenden Derwische seine Musik schrieb ist nur rund 70 Jahre älter als Telemann und Händel – zwei musikalische Welten, die Bestandteil unserer großen Weltmusik sind. Wie schön, dass man beides bei der Styriarte erleben kann!
12. 7. 2017, Hermann Becke
Eine Anmerkung:
Schade, dass es vom Concentus-Konzert keine besseren Fotos gibt – der Veranstalter konnte keine anbieten…..
Und ein erfreulicher Hinweis:
Es war zu erfahren, dass im nächsten Jahr der Concentus Musicus Wien wieder öfter Gast der Styriarte sein wird – auch die ungeheuer beliebten Kirchenkonzerte in Stainz sollen wieder stattfinden