Graz: Vielfalt des vokalen Glanzes

26. und 27. Juni: Helmut-List-Halle, 30. Juni: Palais Attems

STYRIARTE 2019

Die Fülle der Styriarte-Veranstaltungen – in Ausnahmefällen gibt es sogar bis zu vier pro Tag – lässt es nicht zu, über jede einzelne gesondert zu berichten. Daher bietet der Opernfreund Sammelberichte. Das diesjährige Festival-Motto Verwandelt verbindet thematisch das gesamte Programm. Und wenn man beim Verfassen des Berichts chronologisch vorgeht, dann ergeben sich – über das sehr allgemein gehaltene Motto hinaus – Gemeinsamkeiten, die die Zusammenfassung rechtfertigen. Diesmal wird über drei Abende berichtet: zuerst Greensleeves, dann Transzendent und zuletzt Mozart im Salon. Das Verbindende bei diesen drei Abenden war zweifellos der Gesang – und zwar in ganz unterschiedlichen Ausformungen.

Das erste hier besprochene Konzert bestritten the superlative vocal sextet The King’s Singers. Sie hatten 2018 ihr 50-jähriges Bestehen gefeiert und sie waren im Rahmen ihrer weltweiten Jubiläumstournee im vergangenen November auch in Graz. So hat man dieses großartige Ensemble daher noch sehr gut in Erinnerung. Was fällt einem im Vergleich auf:

Man erlebte diesmal ein völlig anderes Programm und im Ensemble gab es zwei neue Mitglieder. Es lohnt sich übrigens, die Lebensläufe der sechs Herren zu lesen – sie finden sich hier auf deren Homepage. Da stellt man fest, dass Countertenor Edward Button und der Bariton Nickh Ashby erst seit Jänner 2019 Ensemblemitglieder sind und ist beeindruckt, dass das Klangbild genauso ausgewogen und perfekt ist, wie man es von den vielen CD-Aufnahmen und vom letzten Auftritt vor einem guten halben Jahr in Erinnerung hat. So kann ich nur begeistert wiederholen, was ich damals geschrieben hatte:

Es ist den King’s Singers gelungen, eine völlig homogene Klangpyramide zu bilden, bei der sich die hohen Stimmen auf ein kräftiges Fundament der Baritone und des Basses stützen. Nie entsteht im Klang eine Lücke oder gar ein störender Registerbruch.

Im ersten Teil beeindruckten die Renaissance-Stücke von William Byrd – z.B. die ausgedehnte und berührende Amen-Phrase der Motette für die englische Königin. Bei den Choral Dances von Benjamin Britten wiederum bewiesen die King’s Singers, dass sie die meisterhafte Stimm-und Klangbalance auch dann beherrschen, wenn die Besetzung einzelner Teile kleiner ist – etwa im Countertenor-Duett Country Girls. Das David-Stück von Thomas Tomkins ließ an das großartige Fili, mi absalon seines berühmten deutschen Zeitgenossen Heinrich Schütz denken.

Der 2.Teil eröffnete mit dem titelgebenden „Schlager“ Greensleeves in einem Arrangement von Bob Chilcott. Alle nun folgenden Traditionals waren extra für die King’s Singers arrangiert – sie nutzen speziell die raffinierten Harmonierückungen virtuos. Und am Ende folgten die beliebten Arrangements aktueller Songs in „close harmony“ samt Beatles-Zugaben. Das Publikum in der vollen Konzerthalle war begeistert – man hatte wahrhaft exquisiten a-capella-Gesang erlebt.

Am Tag darauf gab es dann unter dem Titel Transzendent etwas ganz anderes. Da war Musik aus den meditativen Übungen der Sufi-Bruderschaften verbunden mit ekstatischer Musik des 19. und 20. Jahrhunderts von Georges I. Gurdjieff und Eric Satie. Und auch da gab es ganz wesentliche Gesangsbeiträge:

Teil des großartigen Ensembles Sarband unter der Leitung von Vladimir Ivanoff waren die auf mittelalterliche Musik spezialisierte Harfenistin und Sopranistin Miriam Andersén und der syrische Sänger Rebal Alkhodari.

Da erlebte man nun völlig andere Vokalwelten. Der schlanke, instrumental geführte Sopran und der aus dem Orientalischen kommende helle Klang des Sängers – am ehesten unserem europäischen Countertenor verwandt – vermittelten eindrucksvoll eine geheimnisvolle Klangwelt – etwa eine Vokalimprovisation über Worte des mittelalterlichen muslimischen Mystikers Rumi oder eine griechische Hymne aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert (nachzuhören hier mit Miriam Andersén) – und dazwischen die meditativen Drehtänze der beiden türkischen Derwische. Für mich war an diesem Abend besonders eindrucksvoll, wie ungeheuer diszipliniert die über tausend Besucher auf das 85-minütige Programm (ohne Pause) reagierte – da gab es kein Hüsteln, keinerlei Unruhe, sondern nur konzentrierte Stille. Am Ende gab es stürmischen Beifall – aber natürlich keine Zugaben. Das hätte zu dem durchkomponierten Programm auch überhaupt nicht gepasst.

Und zuletzt gilt es über ein besonders gelungenes neues Konzert-Format der Styriarte zu berichten. Die ersten beiden heute rezensierten Konzerte fanden ja in der großen modernen Helmut-List-Halle mit über 1000 Plätzen statt – und das räumliche Kontrast-Programm war nun Mozart im Salon, im prächtigen barocken Palais Attems, dem bedeutendsten Adelspalais der Steiermark. Im Musiksalon dieses Palais, das 1703 erbaut wurde, finden gerade 70 Gäste Platz. Der heutige Gastgeber ist der Styriarte-Intendant Mathis Huber, der gescheit-launig und sich nicht – wie so manch andere Moderatoren – in den Vordergrund redend, in das wunderbar ausgewählte Programm einführte und dabei auch die beiden Interpretinnen zu Wort kommen ließ. Was Mozart in den Jahren 1786 bis 1788 für den Wiener Salon der Familie von Jacquin komponiert hat, ist Gegenstand des Mozart-Salons. Die beiden Interpretinnen waren auf dem gewohnt hohen Niveau der Styriarte. Die aus Graz stammende Eva Maria Pollerus – seit kurzem Ausbildungsdirektorin des Instituts für Historische Interpretationspraxis der Frankfurter Musikhochschule – spielte auf einem Hammerflügel nach Anton Walter (um 1780) von Robert Brown kleine Kostbarkeiten von Wolfgang Amadeus Mozart und begleitete die Mozart-Lieder. Sie tat dies überaus facettenreich und farbig, immer stringent klar und nie larmoyant.

Die sechs Mozart-Lieder vom Mai 1787 sang die junge ukrainische Sopranistin der Oper Graz Tetiana Miyus , deren erfreuliche Entwicklung ich seit ihrem Beginn im Operstudio verfolgen konnte. Diesmal hörte ich sie erstmals als Liedsängerin – sie bekannte im Gespräch, das sei ihr „neue Leidenschaft“. Nun – beim ersten Lied Sobald Damötas Chloën sieht hörte man noch ein wenig steife Soubrettenhaftigkeit, aber im Laufe des Abends gewann Miyus merklich an Profil als Liedgestalterin. Sie singt technisch absolut sicher und intonationssauber. Was ich schon bei ihren Opernpartien festgestellt hatte – etwa auch bei ihrer ersten Figaro-Susanna vor zwei Jahren -, fiel auch diesmal auf: Miyus kommt immer primär von der musikalischen Linie, vom runden, warmen Gesangston und nicht vom Text. Diesmal konnte man allerdings erfreut erleben, dass die Beschäftigung mit dem Lied – und wohl auch mit der transparenten Hammerklavier-Begleitung – Früchte trägt. Die Texte waren präzis artikuliert, da und dort wird noch nachzuschärfen sein – nun ist man jedenfalls auch auf ihre weitere Entwicklung als Liedsängerin gespannt. Da, wo Miyus eine kleine dramatische Szene gestalten kann – etwa im Lied der Trennung oder auch in Als Luise, die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte – überzeugte sie besonders. Aber auch die Abendempfindung – der hohe Prüfstein für jede Liedsängerin und für mich eines der schönsten Lieder überhaupt – gelang sehr schön. Ihre Interpretation ist natürlich völlig anders als die der elegant-kühl-distanzierten Dame Elisabeth Schwarzkopf (hier nachzuhören), aber Miyus überzeugte durchaus mit ungekünstelter und geradlinig-warmer Ehrlichkeit.

Dass das Publikum vor dem Konzert zu einem Glas Sekt und zu köstlichen Canapés eingeladen war und nach dem Konzert noch mit den Künstlerinnen ins Gespräch kommen konnte, verstärkte natürlich den Eindruck eines exquisiten Hauskonzertes. Die nächsten Salonkonzerte sind Joseph Haydns Klaviertrios gewidmet. Das neue Konzertformat ist allen Liebhabern subtiler Kammermusik sehr zu empfehlen – Näheres hier

Weitere Styriarte-Sammelberichte für den Opernfreund kann ich gerne ankündigen – das Festival endet ja erst am 21. Juli!

2. 7. 2019, Hermann Becke

Nochmals ein Hinweis auf die informativen Programmhefte, die alle online verfügbar sind:

Programmheft Greensleeves

Programmheft Transzendent (in diesem Fall mit besonders lesenswerten Beiträgen über eine uns wenig bekannte Musikwelt – wer kennt schon z.B. die spirituelle Welt des Eric Satie)

Programmheft Mozart im Salon