Mailand: „Hoffmanns Erzählungen“, Jacques Offenbach

Als im Vorjahr die Saison 2022/23 vorgestellt wurde, war noch nicht klar, welcher der zahlreichen Ausgaben dieser von Offenbach nicht vollendeten Oper man sich bedienen würde. Letztlich wurde es nach dem Willen des Dirigenten die gute alte Fassung Choudens (von der es auch wieder fünf Varianten gibt, was den Weg freimacht für allerlei Kreuzungen), ohne die aufschlussreichen Ausgaben von Fritz Oeser bzw. Michael Kaye heranzuziehen. Allerdings verlor diese Entscheidung insofern ihre Problematik, als mit Frédéric Chaslin ein Mann am Pult stand, der vermutlich jedwede Ausgabe zu einem Klangbrei gemacht hätte, wie er aus dem merklich lustlosen Spiel des Orchesters  des Hauses an das peinlich berührte Ohr des Hörers drang. Diesem Dirigat fehlte jegliche Eleganz, jedes französische Flair, jede auch nur winzige Prise Charme. Das erstreckte sich auch auf die Leistung des Chors, der – einstudiert von Alberto Malazzi – eine sichere Gesangsleistung erbrachte, dem aber der ironische Esprit fehlte (mir fiel dazu die Stelle ein, in der in Gounods „Roméo et Juliette“ der Chor Juliettes Amme mit frivoler Leichtigkeit verspottet – hier nichts davon gleich zu Beginn im Prolog in Luthers Keller).

(c) Teatro alla Scala

Leider kann auch die Regie von Davide Livermore nicht als gelungen bezeichnet werden. Ständig wuselten zusätzliche, Verwirrung stiftende Personen umher. Eigentlich hätte das Ambiente einfach ausfallen müssen, weil der Staat der Scala weitere finanzielle Mittel gekürzt hat (eine Ballettproduktion musste gestrichen werden), und in der Tat gab es immer wieder vereinfachende Vorhänge im Hintergrund (Bühne: Giò Forma), wo die Compagnia Controluce ihre Schattenspiele sehen ließ (Beleuchtung: Antonio Castro). Trotz eines positiven ästhetischen Eindrucks wurde die Handlung damit nicht klarer. Auch ein guter Einfall, der Olympia sich gegen ihr Puppenschicksal auflehnen lässt, wurde vom An- und Ablegen verschiedener Plastikteile zerstört, und wieder regierte die Konfusion. Auch war nicht ersichtlich, warum Andrés/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio als Frau mit geflochtenem Haarkranz auftreten musste. Vielleicht der vielzitierten Diversität geschuldet? Passabler der Antonia-Akt mit umgestürztem Klavier (aus der vorjährigen „Ariadne“-Inszenierung?). Völlig konfus dann wieder der Giulietta-Akt, wo Livermore Stoffbahnen über das erstaunte Parkettpublikum flattern ließ, worunter die Konzentration des Hörers auf die Barkarole litt, ja leiden musste. Die vier Bösewichte werden von einem zigarrenrauchenden, auch mal die Harfe spielenden Kleinwüchsigen begleitet. Doch genug der Absurditäten, denn immerhin konnte man sich an zum Teil ausgezeichneten Leistungen der Sänger erfreuen.

(c) Teatro alla Scala

In der Titelrolle passte Vittorio Grigolo bestens zu der zerfahrenen Figur des Hoffmann, denn sein in anderen Werken immer wieder störendes „zuviel“, entsprach dem Poeten, der es nicht schafft, seine romantischen Vorstellungen des Weiblichen in einer einzigen Figur zu konzentrieren. Dazu war er in bester stimmlicher Verfassung, sang ohne seine häufigen Manierismen und bot – mehr einzigartig als selten, wie man im Italienischen sagt – eine perfekte Aussprache des Französischen. Nach ihm muss Marina Viotti als Nicklausse/Muse genannt werden, eine bühnenbeherrschende Persönlichkeit mit schönem Mezzo und perfektem Stil. Auch ihren Auftritt als Crooner, zu dem sie von der Regie verurteilt war, brachte sie mit scheinbarer Leichtigkeit hinter sich. Als Gegenspieler Hoffmanns in Gestalt der vier Bösewichte erwies sich Luca Pisaroni (anstelle des ursprünglich angekündigten Ildar Abdrazakov) als exzellenter Schauspieler, dessen trockenem Organ aber jegliche Dämonie fehlte. Federica Guida (Olympia) sang korrekt, aber nicht außergewöhnlich brillant, was vielleicht auch auf die technische Schwierigkeit zurückzuführen ist, um die ihre Szene bereichert wurde. Erfreulich zu hören war Eleonora Buratto als Antonia mit vollem lyrischem Sopran. Etwas mehr szenische Beteiligung hätte der Charakterisierung der Figur gut getan. Blass blieb Francesca Di Sauro als Giulietta, aber in den regielichen Wirrnissen dieses Akts war es sicher nicht leicht, in relativ kurzer Zeit eine überzeugend Figur auf die Bühne zu stellen. Von den vier Dienerfiguren war schon die Rede: François Piolino interpretierte sie mit Hingabe. Von den weiteren Mitwirkenden (Yann Beuron/Spalanzani, Nestor Galván/Nathanaël, Hugo Laporte/Hermann, Schlémil, Alberto Rota/Eine Stimme und Greta Doveri/Stella, aus der Accademia,hinterließ nur Alfonso Antoniozzi als Luther/Crespel einen nachdrücklichen stimmlichen wie szenischen Eindruck.

Ein Abend, der um Vieles mitreißender hätte ausfallen dürfen.

Eva Pleus 31. März 2023


Hoffmanns Erzählungen

Jacques Offenbach

Mailand

Premiere 21. März 2023

Regie: Davide Livermore

Dirigat: Frédéric Chaslin

Orchester des Hauses