Mailand: „Theodora“

(Einzige italienische) Aufführung am 20.11.21

Die Tourneeproduktion von Händels vorletztem Oratorium (aus 1750) war zwei Tage zuvor in Wien zu sehen/hören gewesen, und ich wundere mich, dass eine so starbesetzte Aufführung von keinem anderen Medium als dem Online-”Merker” besprochen wurde (falls ich nicht etwas übersehen habe).

Ich kannte das Werk von einer szenischen Umsetzung durch Peter Sellars in Glyndebourne, wo ich tief beeindruckt gewesen war, vor allem von dem damals noch sehr jungen David Daniels als Didymus. Beim Wiederhören nun in der für ein Oratorium vorgesehenen konzertanten Wiedergabe wurde mir erst bewusst, wie sehr sich dieses Werk von Händels anderen Oratorien unterscheidet, setzt es doch auf mehr elegische, geradezu resignative Züge als auf Dramatik. Die Geschichte der unter der Herrschaft Diokletians zum Christentum konvertierten Aristokratin Theodora und des römischen Soldaten Didymus wird linear und ohne Nebenepisoden erzählt (der Text stammt von Thomas Morell). Theodora will lieber den Märtyrertod erleiden als in einem Fest zu Ehren Diokletians heidnische Götter anzubeten. Didymus, der sie liebt und auch bereits zu der neuen Religion übergetreten ist, vermag sie nicht zu retten, und gemeinsam gehen sie in mystischer Ekstase in den Tod. Der Heide Septimius versucht aus Freundschaft zu helfen, muss aber den Todeswillen der Protagonisten akzeptieren. Auch Theodoras Freundin Irene, gleichfalls eine Christin, will vergeblich das Opfer verhüten. Der Böse, der keine Milde zeigt, ist Valens, Antiochiens Gouverneur.

Die dreieinhalbstündige Aufführung wurde im relativ gut besetzten Haus mit atemloser Spannung verfolgt. Am Schluss, immerhin eine halbe Stunde vor Mitternacht, blieb das Publikum kompakt auf seinen Plätzen und jubelte bis das Zeichen zum endgültigen Ende gegeben wurde. Es gab viel Applaus während der Vorstellung, den ich diesmal als störend empfand, denn die Musiker wollten merklich weiterspielen, und die dichte Atmosphäre wurde dadurch unterbrochen (grundsätzlich bin ich ansonsten immer dafür, dass die Sänger für ihre Leistungen unmittelbar bedankt werden).

Maxim Emelyanychev stürzte sich mit seinem Ensemble Il Pomo d’Oro geradezu in die Partitur und stand keinen Augenblick still. Er und der gleichnamige Chor (Aufstellung: 4 Damen-8 Herren-4 Damen) unter (dem selbst mitwirkenden Tenor) Giuseppe Maletto legten die aufregende Basis für die gesanglichen Leistungen. In der Titelrolle wusste sich Lisette Oropesa perfekt ihrer Gestalt anzupassen, die weniger Koloraturfeuerwerk als intensive Leidensbereitschaft verlangt. Wo sie nicht zu singen hatte, drückte ihre Mimik alles Leid und Verzückung aus. Die eigentlich dankbarere Rolle ist die der Irene, die von Joyce DiDonato glanzvoll interpretiert wurde. Ob Koloratur oder erschütternder Aufruf, die Künstlerin ließ geradezu den Atem des Hörers stocken. Michael Spyres‚ (Septimius) Rolle war weniger ergiebig, aber was er hören ließ, war absolute Weltklasse. Ein Künstler, bei dem die schwierigsten Stellen wie selbstverständlich kommen. In der Bassrolle des Valens schlug sich der Bariton John Chest gut und mit viel Ausdruck. Der Counter Paul-Antoine Bénos-Djian (Didymus) wirkte etwas nervös, bewältige seine Rolle aber gut. Vielleicht hätte sein Timbre engelhafter sein können (wie Kollegen einwendeten), doch mir gefiel seine sinnlich-satte Tiefe.

Vom triumphalen Erfolg war schon die Rede.

Eva Pleus 27.11.21