Madrid: „Das Rheingold“

am 25. Januar 2019

Öko-Problematik vor der Zeit

Nun setzte das Teatro Real seine „Rheingold“-Serie mit einer vor allem musikalisch äußerst eindrucksvollen 4. Vorstellung nach der Premiere am 17. Januar fort. Es feiert derzeit seinen 200. Geburtstag und nahm auch aus diesem Anlass die bekannte Kölner Produktion aus den Jahren 2000-2003 von Robert Carsen in sein Stagione-Programm. In einer Art Angelo Neumannscher Manier war sie auch schon in Venedig und Schanghai (Bericht im Merker 2010) zu sehen. Carsens Inszenierung setzt am konkreten Beispiel des Rheins auf das Öko-Thema der Zerstörung des Planeten durch den Menschen und ist deshalb auch nach so langer Zeit, trotz einiger innerer Widersprüche, immer noch aktuell – leider. Patrick Kinmonth war für die Bühne und die vorherrschenden, themenbedingt trist grau- und braungetönten Kostüme verantwortlich, mit einem mittlerweile schon überstrapaziert wirkenden Militär-Look Wotans als Vier-Sterne-General und seiner mit MPs bewaffneten Soldaten. Ian Burton gab dramaturgische Unterstützung.

Carsen schockt zumindest die Besucher, die diese Produktion noch nicht kannten, mit einem sofort im „Rheingold“ beginnenden Menetekel auf die ökologische Zerstörung der Welt durch Gedankenlosigkeit und kurzsichtiges Machtstreben der „Götter“ und Menschen. Damit stellt er sich vom Beginn des 136-taktigen Es-Dur Akkords des „Rheingold“-Vorspiels an gegen die Intentionen Richard Wagners und auch gegen dessen Idee des Gesamtkunstwerks, in ähnlicher Manier wie Frank Castorf mit seinem „Ring“ 13 Jahre später in Bayreuth. Er wollte nach eigener Aussage gegen die Musik inszenieren, um etwas Neues zu schaffen und zu sehen, wie das Publikum damit zurecht käme… Bekanntlich kam es damit nur sehr bedingt zurecht.

Eigentlich soll das aus den tiefsten Klängen der Ursuppe, bzw. auf dem Grunde des Rheins entstehende Vorspiel die Entwicklung allen Lebens aus der schöpferischen Urkraft des Wassers in der aufsteigenden Linie des Werdens der Urmutter Erda suggerieren. Stattdessen sehen wir zunächst langsam, dann immer schneller und schließlich regelrecht hetzend Statisten am imaginären Rheinufer entlangeilen und ihren Restmüll, wie PET-Flaschen, Pappbecher und ähnlich Verdächtiges in das trockeneis-dampfende Wasser des Flusses werfen. Wenngleich ihr Tempo mit dem des Vorspiels zunimmt, geht musikalisch doch viel von dessen klanglicher Raffinesse und Schönheit verloren, für deren Komposition Richard Wagner wohl mehr Zeit benötigte als für die Hälfte der gesamten Partitur.

Mit dem Müll geht es bei den eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch in Zivilisations-Unschuld schwimmenden Rheintöchtern gleich weiter. Denn sie spielen bereits lustvoll mit dem Wohlstandsschrott aus verrotteten Supermarktwagen, Waschmaschinen, LKW-Reifen und allerhand Kleinmaterial, welches sich langsam auf dem Bühnenboden abzeichnet. Die Töchter des Rheins sehen schon jetzt aus wie bei Harry Kupfer im Finale seiner legendären Bayreuther „Götterdämmerung“, elendig verdreckt mit zerfetzten Strümpfen und Gewändern.

Aber das ist genau der Unterschied. Beim alten Wagner-Hasen Kupfer waren sie erst in der „Götterdämmerung“ so weit gesunken, bei Carsen müssen sie bei einer vollständigen Negation der „Ring“-Natursymbolik schon so beginnen. Hier wird das relevante und am „Ring des Nibelungen“ sicher gut abzubildende Thema der ökologischen Zerstörung der Welt, überhaupt der Zerstörung eines intakten, vom Menschen eben noch nicht berührten Kosmos‘, gewissermaßen mit dem Zaunpfahl eingeführt, statt dass man es langsam aber sicher mit dem Fortgang des Geschehens entwickeln würde. Das wäre dramaturgisch natürlich schwieriger gewesen.

Auch andere Bilder des Carsen-„Rheingold“ sind durchaus nicht ohne weiteres eingängig, wenngleich das Zweite Bild des mit den herumstehenden und in der Luft hängenden Paletten voll schwerstem Baumaterial und allerhand Schwergewichtskränen imposant aussieht. Ins Publikum schauend besingt Wotan allerdings gleich zu Beginn die ebenso imposant wirkende, seiner Meinung nach offenbar fertiggestellte Burg (vielleicht meint er die schöne Ehrenloge des Real), was ihm Loge kurz darauf nochmal bestätigt mit kein Stein wankt im Gestemm.“Bei Carsen ist aber nicht mal das Richtfest in Sicht, geschweige denn kommen Steine ins Wanken, die noch gar nicht verbaut sind.

Das „Rheingold“ steht mit dieser Optik, zu der auch dramaturgische Ausrutscher wie der Golfball-schlagende Donner und das alberne Hereinradeln von Loge gehören, in der Tradition der Crash-und-Trash-Ästhetik anderer „Ring“-Inszenierungen der letzten zwanzig Jahre und somit im mittlerweile nicht mehr revolutionären Trend des Wagnerschen Regietheaters. Auch im Kasseler „Ring“ 1974-76 von Ulrich Melchinger wurde schon eifrig im Müll herumgestochert. Carsens Detailverliebtheit ist seinem zentralen Öko-Thema nicht immer dienlich.

Nun, dabei wollen wir es belassen, was die Ungereimtheiten zu Beginn seiner Interpretation der Tetralogie angeht und uns den starken Seiten (nicht Scheiten!) zuwenden. Carsen zeigt im „Rheingold“ sein großes Bühnentalent im Bespielen tiefer Räume und zu einer äußerst intensiven Personenregie, die von den exzellenten Sängerdarstellern in Madrid auch gekonnt beherzigt wird. Er kann starke Momente erzeugen, die in ihrer jeweiligen Wirkung für sich stehen und das Publikum in den Bann ziehen. Dazu gehört die Goldgewinnung Alberichs aus einem alten LKW-Reifen im Rhein. Der Ring entsteht aus einem kleinen Gold-Nugget an seinem Finger bereits durch den bloßen Fluch auf die Liebe. Großartig, wie Samuel Youn, der eine umjubelte Charakterstudie des Alberich mit markanter Stimme gibt, ihn triumphierend in die Höhe reckt und Wotan wenige Momente darauf in der gleichen Pose beim „Anhimmeln“ von Walhall zu sehen ist. Nicht nur hier, sondern auch im Kampf um den Ring und seine Verfluchung durch Alberich macht der Regisseur eindrucksvoll kar, dass es im „Rheingold“ um die elementare Auseinandersetzung des Licht- und Schwarzalben geht.

Carsen setzt sich am Vorabend der Tetralogie sehr stringent mit den Figuren auseinander. So ist Greer Grimsley das genaue Gegenteil dieses mit Händen und Füßen um den Ring kämpfenden Alben. Er singt den Wotan mit seinem noblen, stets auf einer vornehmlich gesanglichen Linie operierenden Bassbariton mit sowohl charaktervoller Tiefe wie auch topsicheren Höhen. Wieder einmal merkte man hier, gerade auch nach den Eindrücken aus dem Wiener „Ring“, wie wichtig eine modulationsfähige Tiefe für den Wotan ist, wenn er wirklich die ihm angedachte „göttliche“ Rolle spielen soll – obwohl diese hier aufgrund des Militärlooks rein äußerlich nicht zu erkennen war. Sarah Connolly mit einem kraftvollen Mezzo ist als damenhafte Fricka gezeichnet, sowohl herrisch wie auch verspielt eitel bei Loges Gesang vom Goldschmuck.

Die Riesen, die mit einer „Riesen“-Arbeitermannschaft in orangefarbener Arbeitskluft aufmarschieren (obwohl die Burg ja längst fertig sein soll…), werden charakterlich klar voneinander abgegrenzt. Der Ukrainer Alexander Tsymbalyuk ist ein düsterer, nur nach dem Gold gierender Fafner mit fast schwarzen Bass. Der Österreicher Albert Pesendorfer, der auch eine Professor für Gesang an der Universität der Künste Berlin hält und für Ain Anger seit Beginn der Serie gesungen hat, obwohl letzterer immer noch im Programmheft steht, spielt einen verliebten Fasolt mit samtenen, kultivierten Basstönen.

Dass sich Freia fast unwillig von ihm trennt, als die Würfel zugunsten des Goldschatzes gefallen sind, und noch Minuten nach seinem Tod sein Gesicht streichelt, bei einer nicht nur Trauer ausrückenden Mimik, lässt darauf schließen, dass da etwas mehr zwischen ihr und Fasolt war. Sophie Bevan singt die Bewacherin der in einem Lederkoffer gehüteten Äpfel darstellerisch intensiv mit kräftigem Sopran, der durchaus schon eine Sieglinde erahnen lässt. Joseph Kaiser mit ausdrucksvollem Tenor ist ein gewitzter Loge, der geschickt die Dramaturgie des „Rheingold“ führt, sich aber auch nicht zu schade ist, als Kellner auf der Baustelle zu dienen.

Der Katalane Mikeldi Atxalandabaso ist ein agiler und wortdeutlicher Mime, bei dem man sich schon auf den „Siegfried“ freuen kann. David Butt Philip singt einen klangschönen Froh und Raimund Nolte einen etwas knorrigen Donner. Die Rheintöchter singen und spielen engagiert und fantasievoll ebenfalls auf dem allgemein hohen Niveau, Isabella Gaudi als Woglinde, María Miró als Wellgunde und Claudia Huckle als Flosshilde. Last but not least ein besonderes Wort zur wahrlich wie eine Ur-Mutter aussehenden Erda von Ronnita Miller. Die Afroamerikanerin aus Florida nimmt mit ihren üppigen Formen Wotan regelrecht an die Brust, der das wohlwollend genießt, ein sicherer Rückschluss auf die Lieblosigkeit seiner Beziehung zu Fricka und klarer Hinweis auf das, was mit der Ur-Weisen noch kommen wird… Die ausgezeichnete Lichtregie des dafür weltbekannten und -berühmten Manfred Voss sorgte gerade in diesem Moment, aber auch sonst immer wieder für eine bisweilen grandiose Intensivierung der Aussage des Bühnengeschehens.

In großartiger Form war das Orquesta Titular del Teatro Real unter der energischen und tempobetonten Stabführung seines Ersten Gastdirigenten Pablo Heras-Casado, der hier 2016 auch schon den „Fliegenden Holländer“ dirigierte. Er legte besonderen Wert auf die Dramatik des Stückes, die mit stärkeren Ambossen im Orchesterzwischenspiel zum Dritten Bild noch intensiver hätte sein können. Insbesondere überzeugten die klangvollen Holz- und Blechbläser, nicht zuletzt mit warmen, fülligen Wahlhall-Motiven im Zweiten Bild und den Fluch- und Speermotiven. Zu unterstreichen ist auch, dass das Teatro Real das „Rheingold“ mit immerhin fünf der von Wagner gewünschten sieben Harfen spielt, was sich im Finale klangvoll – und nur da sind sie ja alle aktiv – bemerkbar machte. Auch das Schlagwerk hatte große Momente. Nun müssen wir eine ganze Saison bis auf die „Walküre“ warten. Ein Haus wie das Real hätte den „Ring“ wohl auch in zwei Saisonen schaffen können. Aber so streut man Wagner, der hier nicht zu den ersten Komponisten gehört, über vier Jahre. Auch nicht schlecht!

Klaus Billand 3.2.2019

Bilder (c) teatro real