NI am 15.4.2014
Noch lange vor seinem Tod hatte Gerard Mortier, ehemaliger künstlerischer Direktor des Teatro Real in Madrid, einen neuen „Lohengrin“ in Auftrag gegeben. Er wollte diese romantische Oper, wie Wagner sie nannte, völlig neu gestalten lassen, also Abstand nehmen von vielen jüngeren Inszenierungen, die häufig an ihren gewagten, weil zu eng angelegten Deutungsversuchen scheiterten. Im April kam diese Neuproduktion in der Regie von Lukas Hemleb, der Mortier schon seit seiner Zeit in Brüssel kannte, am Teatro Real heraus und wurde in stagione 13 Mal gespielt. Mortier wollte also keinerlei engere Festlegung der Figur des Lohengrin und schlug Hemleb vor, mit dem Berliner Bildhauer Alexander Polzin zusammen zu arbeiten, in der Suche nach einer ganz andersartigen Ästhetik. Polzin schuf daraufhin ein Einheitsbühnenbild von wahrlich gigantischen Ausmaßen, den gesamten Bühnenraum des Teatro Real umfassend – offenbar genau, wie Mortier es wollte, dem dieser „Lohengrin“ auch gewidmet wurde.
Das Bild wirkt wie eine enorme konvexe Bronzeplastik, einer Höhle ähnlich, mit Öffnungen nach allen Seiten, aber auch zwei angedeuteten mittelalterlichen Ritterskulpturen an den Seitenwänden. Mit der stets abgedunkelten Lichtregie von Urs Schönebaum und den mit gedeckten Pastelltönen abstrakt gestylten Kostümen von Wojciech Dziedzic sollte dieser künstlerisch chiffrierte Raum die Darstellung der vielfältigen archaischen Zeichen dieser Oper ermöglichen. Dem Publikum sollte somit im wahrsten Sinne des Wortes Raum für die Erkennung des philosophischen Gehalts wie für den Nachvollzog der Geschichte gewährt werden. Requisiten wie der Schwan, das Ehebett und ähnliches hatten in diesem Bild natürlich keine Bedeutung mehr und wurden auch nicht gezeigt. Allerdings passten der total unbeholfen wirkende Kampf Lohengrins mit Telramund mit viel zu großen und deshalb unhandlichen Schwertern, sowie die Tatsache, dass Lohengrin und Elsa mit verbundenen Augen ins „Brautgemach“ geführt wurden, gar nicht in dieses Konzept. Nicht immer entfaltete dieser skulpturenartig gestaltete Raum die gewünschte Wirkung. Wenn es allzu dunkel wurde, konnte man sich bisweilen durchaus auch im 3. Bild des „Rheingold“, also in Nibelheim wähnen…
Das Licht spielt also in diesen Bildern eine herausragende dramaturgische Rolle. Oft hat es mythische Dimensionen, so, wenn ein großer Eisblock in der Mittel der Bühne zur Ankunft Lohengrins emporsteigt, aus sich heraus hell erstrahlend die Konturen einer Person andeutend, von der man eigentlich nie weiß, wer gemeint sein könnte. So kann sich jeder/e ein eigenes Bild machen… In jedem Falle ist nun etwas Fremdes, ja ein Fremdkörper, in dieser in sich zerstrittenen Welt. Zu Beginn des 3. Akts wird der Riesenraum aus den Öffnungen mythisch blau beleuchtet, und sofort stellt sich eine ganz andere Stimmung ein. Lohengrin tritt nahezu unbemerkbar aus dem Hintergrund auf, von Chor verdeckt. Er wird hier als Mensch, nicht als Held gezeigt, der in einem einfachen weißen Anzug für Elsas Rechte eintritt.
Leider kommt Michael König als Zweitbesetzung (die Premiere und einige weitere Vorstellungen sang Christopher Ventris) darstellerisch in keiner Weise einer philosophisch oder auch nur rein menschlich gezeichneten Figur des Lohengrin nahe. Seine Mimik ist fast stets dieselbe, von Ausstrahlung oder gar Empathie kann zu keinem Zeitpunkt die Rede sein. So kann man Lohengrin eigentlich in keiner Inszenierung spielen. Stimmlich sah es da schon besser aus. Königs Tenor ist kräftig, spricht gut an und meistert die Höhen zufriedenstellend. In der Gralserzählung wird allerdings der Mangel eines gewissen tenoralen Glanzes offenkundig. Catherine Naglestad, vor kurzem noch auf der riesigen Amsterdamer Bühne als Sieglinde und „Siegfried“-Brünnhilde zu erleben, hat mitterweile für die Elsa doch eine zu schwere Stimme. Im Bestreben, die für diese Rolle so wünschenswerte lyrische Linie zu finden, sind leichte Intonationsunsicherheiten zu hören, und ein Tremolieren ihres an sich ausdrucksstarken Soprans wird deutlich, wobei Naglestad auch nicht gerade gut verständlich singt. Stimmlich nimmt man ihr die „große Reine“ also nicht mehr ab. Darstellerisch verleiht sie der Elsa in dieser Inszenierung jedoch eine passende tragische Note und wirkt als Figur, ganz anders als ihr Partner, sehr glaubwürdig.
Dolora Zajick hingegen trumpft als Ortrud mit einem durchschlagskräftigen, in allen Lagen klangvoll tragenden charaktervoll abgedunkelten Sopran auf. Ihre Ortrud wirkt total souverän und leicht dämonisch, was sie durch passende Mimik immer wieder unterstreicht. Allerdings ist auch Zajick nicht allzu wortdeutlich, was angesichts der Strahlkraft und Attacke ihrer Stimme weniger ins Gewicht fällt. Nicht alle Tage hört man ein solch beeindruckendes „Entweihte Götter…“. Thomas Jesatko ist ihr als Telramund ein ebenbürtiger Partner mit seinem klaren und prägnanten Bariton, der nicht immer ganz rund geführt wird. Er gestaltet die Rolle mit großer Agilität und starker Ausdruckskraft. Goran Juric gibt einen stimmstarken König Heinrich, auf eine eher statische Darstellung festgelegt, aber hohe Autorität austrahlend. Anders Larsson ist als Heerrufer ähnlich wie zuletzt in Wien auch nicht ganz den stimmlichen Anforderungen dieser möglicherweise etwas unterschätzten Partie gewachsen.
Eine ganz große Rolle spielt im „Lohengrin“ bekanntlich der Chor, und wie der Chor des Teatro Real von Andrés Máspero sowie der Kinderchor von Ana González einstudiert wurden, gehörte zu den Glanzpunkten dieses Abends. Bei bester Transparenz und beeindruckender Klangstärke der einzelnen Gruppen war das Ensemble zu keinem Zeitpunkt zu laut und wurde nach etwas statischem Beginn auch ansprechend choreographiert.
Am Pult des Orchester s des Teatro Real stand der zuletzt auch durch zwei interessante Bücher zu Richard Wagner hervor getretene Wagner-Kenner Hartmut Haenchen. Er ließ schon im Vorspiel zum 1. Akt hören, dass es hier, ganz anders als zuletzt unter Mikko Franck in Wien, um eine vornehmlich mythische Interpretation des „Lohengrin“ gehen würde. Dieses im wahrsten Sinne des Wortes wunderbare Vorspiel erklang pastos mit einer tiefgründigen inneren Spannung und gemäßigter, aber eindrucksvoller Dynamik. Im 2. Akt setzte Haenchen insbesondere zu den Auftritten Ortruds dezidiert dramatische Akzente. Das Vorspiel zum 3. Akt ließ er mit leichtem Pathos äußerst schwungvoll musizieren. Die Fanfaren aus den Seitenöffnungen des Bühnenraumes erklangen mit perfekter Präzision. Man merkte, wie bei Haenchen immer der Fall, dass hier intensiv und lange geprobt wurde. Da war es auch verständlich, dass er, obwohl das Haus – wohl wegen der Semana Santa – nur schütter besetzt war, mit dem Orchester einen starken Auftrittsapplaus zum 3. Akt bekam.
Klaus Billand 1.5.14
(www.klaus-billand.com)
Fotograf: Javier del Real / Teatro Real