Parma: „Turandot“

Premiere in Brescia: 30.09.2016, Übernahmepremiere: 10.01.2020, besuchte Aufführung: 18.01.20

Lieber Opernfreund-Freund,

Parma ist 2020 italienische Kulturhauptstadt und feiert das direkt zu Beginn mit einer Reprise der Turandot-Produktion die Giuseppe Frigeni 2016 für das Teatro Grande di Brescia inszeniert hat und die mittlerweile u.a. in Bergamo und auf Teneriffa zu sehen war, ehe sie im März nach Modena und Piacenza weiterzieht. Die umfangreiche Choreografie, nach der sich der Regisseur jeden Protagonisten bewegen lässt, macht aus Puccinis Schwanengesang beinahe ein Ballett.

Frigeni erzählt das Werk, das in dieser Produktion mit dem nach wie vor gängigen Alfano-Finale gezeigt wird, vor düsterer Kulisse ohne optischen Pomp in schlichtem Schwarz und Weiß und visualisiert immer wieder das Verhältnis Liús zu Calaf. Die beiden begegnen sich in ihren Bewegungen ein ums andre Mal und letztendlich sorgt Liú durch ihren Freitod tatsächlich dafür, dass Turandots Unnahbarkeit aufweicht: sie entreißt der Prinzessin ihren Gürtel und ersticht sich mit daran befestigten Pfeilen. So wird mit Turandots Gewand gleichsam ihr Panzer aufgerissen, doch als sie endlich bereit ist, sich Calaf und ihren Gefühlen zu öffnen, wird klar, dass es dem Prinzen nie um die Frau ging, sondern nur um den Sieg. Die völlig dunkel gehaltene Bühne wird von einer Treppe dominiert, die bisweilen eine Kluft entstehen lässt und so die Verhältnisse der Personen zueinander immer wieder sinnfällig unterstreicht. Der an sich schwarze Horizont öffnet sich für die Auftritte des Kaisers und der Prinzessin in gleißend hellem oder stimmungsvoll farbigem Licht, für das ebenfalls Giuseppe Frigeni verantwortlich zeichnet, und versinnbildlicht somit das, wonach Calaf eigentlich strebt: Macht. Aus den fast durchweg schwarzen, mitunter asiatisch anmutenden Kostümen von Amélie Haas stechen nur die in prunkvolles Weiß gehüllte Regent und seine Tochter hervor, die bedauernswerte Liú darf Grün tragen und so die Hoffnung symbolisieren. Statisten und Solisten bewegen sich nach genau vorgegebener Choreografie, Frigeni überlässt nichts dem Zufall und obwohl es allerhand zu sehen gibt in dieser Turandot, verkommt das Werk nicht zur Ausstattungsschlacht – im Gegenteil. Die ruhigen durchgeplanten Bewegungen und die zahlreichen Metaphern auf der nüchternen Bühne bereichern, ohne zu überladen.

Die französische Sopranistin France Daris ist in der Titelrolle zu erleben, verfügt über eine sauber ansprechende Höhe und präsentiert ihren kraftvollen Sopran in der Rätselszene eiskalt und durchdringend, ehe sie im Schlussduett gefühlvollere Farben einstreut und so beide Facetten ihrer Figur zum Leuchten bringt. Samuele Simoncini hat in dieser Produktion als Calaf debütiert, singt den unbekannten Prinzen gestern also erst zum zweiten Mal. Das merkt man dem aus Siena stammenden Tenor keine Sekunde an, so selbstsicher und voller Power tritt er auf. Seine satte Mittellage wird von metalldurchzogener Höhe gekrönt, sein Spiel zeigt den Prinzen testosterongeladen als Vollmacho – kein Wunder also, dass da das Eis der Prinzessin schmilzt. Die bedauernswerte Liú wird von Marta Torbindoni gefühlvoll, doch ohne übertriebene Sentimentalität gestaltet, die feine Höhe und der Mut zum Piano des frisch klingenden Soprans passen hervorragend zur zarten Sklavin.

Ping, Pang und Pong werden von der Regie einmal nicht als Drillinge, sondern als individuelle Persönlichkeiten gezeichnet. Dem werden Fabio Previati, Roberto Covatta und Matteo Mezzaro durch ihre detaillierte Rollengestaltung gerecht, sorgen durch ihr beherztes Spiel für Momente des Schmunzelns und sind so ein sehens- wie hörenswertes Trio. George Andguladze gelingt als Timur eine zu Herzen gehende Beweinung der Liú mit seinem wunderbaren Bass, während Paolo Antognetti als Ehrfurcht gebietender Altoum und Benjamin Cho als Mandarin das bestens aufgelegte Ensemble komplettieren.

Der Chor wird von der Regie meist recht statisch rechts und links der erwähnten Treppe postiert. Diese Gelegenheit nutzen die Damen und Herren unter der Leitung von Martino Faggiani zur eindrucksvollen Präsentation ihrer wunderbar ausgewogenen Stimmen, erzeugen Traumatmosphäre beim Aufgang des Mondes und erfüllen hymnisch-imposant den kompletten Raum, wenn sie den Kaiser preisen. Das erzeugt Gänsehaut!
Im Graben hält Valerio Galli die Fäden zusammen, präsentiert ein frisches Dirigat, gibt den einzelnen Instrumentalstimmen ebenso viel Raum wie den Sängern auf der Bühne und lässt mich bei dieser Turandot nie gehörte Nuancen der Partitur erleben. Das Publikum im restlos ausverkauften Haus ist am Ende der Vorstellung zu Recht begeistert und überschüttet neben dem Dirigenten vor allem Marta Torbendini und Samuele Simoncini mit anhaltendem Jubel.

Ihr
Jochen Rüth

19.01.2020

Fotos © Roberto Ricci, Teatro Regio di Parma