Parma: „Festival Verdi 2019“

Das heurige Festival bot mit „Nabucco“ und „Aida“ (letztere im kleinen Haus in Busseto) sowie „I due Foscari“ und „Luisa Miller“ die richtige Mischung aus populären und weniger gespielten Werken.

I DUE FOSCARI

Teatro Regio 11.10.

Giuseppe Verdis sechste Oper, 1844 in Rom uraufgeführt (also im selben Jahr wie „Ernani“, der allerdings in Venedig zur Uraufführung kam), ist – wie früher auch „Simon Boccanegra – vom Publikum nie so recht geliebt worden. Einer der Gründe dafür lag bei einem beiden Werken gemeinsamem Umstand, nämlich ihrer pessimistischen Düsterkeit. Dass in beiden Opern Dogen die Hauptrolle spielen, halte ich eher für einen Zufall. Hingegen kann das von Francesco Maria Piave nach Byron gezimmerte, dramaturgisch einförmige, Libretto nicht viel zu stärkerer Publikumsakzeptanz beitragen. Bleibt Verdis Musik – und die ist ausgesprochen inspiriert und hält für technisch gut gerüstete und temperamentvolle Sänger sehr viel Schönes bereit.

Diese Inspiration wurde mit viel Schwung von Paolo Arrivabeni am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini übernommen. Die Verve des Orchesterspiels entsprach den pulsierenden, in mitreißenden cabalette gipfelnden Rhythmen des 29-jährigen Komponisten. Der Chor des Teatro Regio unter Martino Faggiani erbrachte seine gewohnte sensationell gute Leistung.

Die beiden Foscari, Vater Francesco und Sohn Jacopo, lagen in mehr als bewährten Kehlen. Der Bulgare Vladimir Stoyanov, als alter Doge in ausgezeichneter Maske, sang mit seinem gut geführten Bariton sehr ausdrucksvoll und überzeugte in der szenischen Gestaltung als gebrechlicher Greis. In seiner erschütternden Schluss- und Todesszene musste er allerdings einige zusätzliche Kraft aufwenden, doch gelang es ihm, sie sehr berührend zu verwirklichen. Fabelhaft war die Leistung des Rumänen Stefan Pop als Jacopo, der in all seinen dramatischen Ausbrüchen überzeugte, aber in seiner (fast) Wahnsinnsszene mit den Halluzinationen über den Tod des Grafen Carmagnola regelrecht erschütterte.

Ein, zwei etwas forcierte Spitzentöne fielen da nicht ins Gewicht. Leider war die Mexikanerin georgischer Abstammung Maria Katzarava als Lucrezia Contarini ein rechter Ausfall, denn außer schönen filati in Pianophrasen hatte sie nicht viel zu bieten. Die Höhen wurden regelmäßig geschrien, und auch die Intonation ließ oft zu wünschen übrig. Schade! Als Loredano, Gegner der Foscari, der die Tragödie aus Rachsucht in Bewegung setzt, war der persönlichkeitsstarke Bass Giacomo Prestia fast eine Überbesetzung. Frisch klangen der Tenor von Francesco Marsiglia (Barbarigo) und der Sopran von Erica Wenmeng Gu. Verlässlich ergänzten in Minirollen der ukrainische Tenor Vasyl Solodkyy und der Bariton Gianni De Angelis.

Überzeugend war auch die Regie von Leo Muscato ausgefallen, welche die Geschichte in die Entstehungszeit der Oper verlegte. Die Gehröcke und die rote Kleidung des venezianischen „Rats der Zehn“ schufen eine bedrückende Stimmung, die gern auf historische Kostüme verzichten ließ.

Etwas weniger geglückt war die Arbeit von Kostümbildnerin Silvia Aymonino für den in luftige weiße Gewänder gehüllten Damenchor (der allerdings während des Maskenfestes im Karneval in schwarzer Spitze beeindruckte) und vor allem für das viel zu enge grüne Kleid der nicht unbedingt schlanken Lucrezia, die auch noch durch eine besonders hässliche Perücke verunstaltet wurde. Die einfache Szenerie von Andrea Belli wurde je nach Schauplatz von Dogenporträts belebt oder deutete Jacopos Kerker durch heruntergelassene Ketten an. Großen Anteil an dem atmosphärisch starken Eindruck hatte die Beleuchtung von Alessandro Verazzi.

Große Publikumszustimmung, in die sich heftige, meiner Ansicht nach gerechtfertigte, Buhs für Katzarava mischten.

LUISA MILLER

Chiesa di San Francesco del Prato 12.10.

Da der dreijährige Zyklus von Aufführungen im Teatro Farnese abgeschlossen ist und nicht erneuert wurde, hat sich die künstlerische Leitung des Festivals zu Opernproduktionen in dieser gotischen Kirche als Nebenschauplatz für das Teatro Regio entschlossen. Die Geschichte des Sakralbaus ist neben seiner architektonischen Bedeutung insofern interessant, als er seit über 200 Jahren nicht mehr geweiht war und langsam seinem Untergang entgegenging. Der Vorschlag des Festivals erweckte das Interesse der Diözese, welche die Kirche zurückkaufte und nun grundlegend renovieren lässt.

Was einerseits als ein wunderbares Zusammengehen im Sinne der Kultur zu preisen ist, bewirkt als Opernschauplatz allerdings einiges Kopfzerbrechen. Zur – wie in Kirchen fast immer – nicht idealen Akustik kommt die Länge des Hauptschiffs (gespielt wird in der Apsis), die den Zuschauern in den hinteren Reihen nur wenig Sicht zugesteht. Journalisten wurden daher auf eine hochliegende eigene Tribüne gesetzt, von der aus das Geschehen gut zu verfolgen war. Persönlich hatte ich mit der Akustik keine Probleme, aber manche Kollegen gingen in der Pause lieber hinunter. (Umgekehrt erschien ein Schweizer Ehepaar, dass angesichts der Preise protestierte und auf der Tribüne Platz nahm, „um auch etwas zu sehen“). Eine also nicht einfache Situation, an der man aber festhalten will, da 2020 die französische Fassung von „Macbeth“ hier gegeben werden soll.

Ebenso schwierig ist die Situation auch für den Regisseur. Lev Dodin stellte den unter Alberto Malazzi gut singenden Chor des Teatro Comunale von Bologna auf die für die Renovierungsarbeiten aufgestellten Gerüste. Eine geschickte Lösung, was auch für die Gestaltung der Szenenfolge gilt, die ohne Unterbrechungen ablaufen konnte. Dies bedingte ganz wenige Versatzstücke (Bühnenbild und Kostüme: Aleksandr Borovskij – letztere eher durchschnittlich ausgefallen), meist Sägeböcke, die in Tische oder Sitzgelegenheiten verwandelt werden konnten.

Nur im letzten Bild gab es eine lange, festlich gedeckte Tafel, in jedes deren Gläser Rodolfo minutiös sein für sich und Luisa gedachtes Gift schüttete. Das bringt uns auf die dramaturgische Sicht des Regisseurs auf Verdis Oper nach Schillers „Kabale und Liebe“ (das um zahlreiche Szenen und Figuren gekürzte Textbuch stammt von Salvadore Cammarano). Sind die szenischen Lösungen angesichts der Örtlichkeit geschickt, so fehlt weitgehend die schauspielerische Anleitung für die Sänger. Diese müssen fast immer reglos verharren (zum Glück gibt es keine seltsamen Assoziationen und diesbezüglichen Verrenkungen à la Robert Wilson), was der Handlung ihre Dramatik nimmt. Da es unter den Sängern keine wirklich starken stimmlichen Gestalter gab, fiel das Ergebnis ziemlich ermüdend aus.

In musikalischer Hinsicht gab es Licht und Schatten. Roberto Abbado leitete das Orchester des Bologneser Hauses zügig und mit großer Aufmerksamkeit für die Sänger. Einige musikalische Details gingen durch die großen Proportionen des Gebäudes wohl verloren. Nachdem die mit großer Neugier erwartete Angela Meade schon im Vorfeld abgesagt hatte, übernahm Francesca Dotto die Titelrolle. Die Sängerin hat sich vor allem mit der Violetta einen Namen gemacht und gestaltete demgemäß den ersten und Teile des zweiten Akts, in denen Koloratur gefragt ist, überzeugend. Schwerer tat sie sich mit dem 3., viel dramatischeren Akt, wo ihr Defizit in der unteren Lage nicht zu leugnen war.

Als Rodolfo ließ der Tunesier Amadi Lagha gutes Material hören, das vor allem in der Höhe sehr schön aufging. Die Mittellage hat ein weniger interessantes Timbre, und am Legato sollte gearbeitet werden. Die rundeste Leistung kam von Franco Vassallo als altem Miller. Er sang Luisas Vater kraftvoll und überzeugte sowohl in den aufbrausenden, als auch in den innigen Momenten. Als Federica (bei Schiller: Lady Milford) ersetzte die Russin Veta Pilipenko mit schönem Mezzo die erkrankte Martina Belli. Da sie bereits als Luisas Freundin Laura im Einsatz war, konnte sie beide Rollen singen, weil die beiden Figuren keine gemeinsame Szene haben. Als böser Graf Walter war Riccardo Zanellato mit bröseliger Stimme nicht wiederzuerkennen. Man kann nur hoffen, dass es sich um einen verunglückten Abend handelte. Als Wurm ließ Gabriele Sagona stimmlichen Nachdruck und diabolische Präsenz vermissen. Der Tenor Federico Veltri ergänzte als Bauer (hier ein Mönch in Kutte).

Es gab am Schluss Zustimmung für alle Leistungen, aber Jubel klingt anders.

NABUCCO

Teatro Regio 13.10.

Aus zwei Gründen stach diese Produktion aus dem Angebot heraus, nämlich weil es musikalisch die beste und in puncto Regie die provozierendste war.

Der musikalischen Wiedergabe sei daher der ihr gebührende Vorrang gegeben: Francesco Ivan Ciampa leitete die Filarmonica Arturo Toscanini mit Feuer und Schwung, und wenn man als Zuhörer die Augen schloss, konnte man sich sehr gut die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen Assyrern und Hebräern vorstellen. Ganz ausgezeichnet war auch die Qualität des Orchesterklanges. In der Titelrolle der Mongole Amartuvshin Enkhbat, der nach seinem Debüt als Rigoletto in Macerata nun auch weiteren Kreisen bekannt ist. („Merker“-Leser kennen diesen Namen schon von meinen Berichten aus Novara und Menorca).

Der Sänger bewies wieder, wie sehr er sich in Verdis Klangwelt einzufühlen vermag, wie genau er allen Vorgaben des Komponisten folgt, wie hervorragend seine italienische Diktion ist (obwohl er privat die Sprache nur rudimentär beherrscht). Dazu der Wohlklang dieser bruchlos geführten, warm timbrierten Baritonstimme. Als Abigaille stand ihm Saioa Hernández nicht nach. Dieser von den an den Schalthebeln der Besetzungspolitik mit ziemlicher Verspätung entdeckte soprano drammatico di agilità leistet wahrhaft Imponierendes; angesichts der furchtlos (und schönstimmig) absolvierten Intervallsprünge konnte man nur Bewunderung empfinden. Wenn Abigaille einmal keine Zitterpartie ist, verdoppelt sich der Hörgenuss. Dritter im Bunde der hervorragenden Sänger war Michele Pertusi, der als Zaccaria wieder einmal eine Lektion in Gesangskultur gab, dabei aber immer expressiv blieb, ob es sich nun um tröstende Worte oder flammende Aufrufe handelte. Sehr gut auch die schönstimmige Annalisa Stroppa als Fenena, während ihr Ismaele in Gestalt von Ivan Magrì nicht sehr frisch klang. (Vielleicht hatte ihn das Pendeln zwischen Parma und Wien für „Butterfly“ ermüdet). Gute Vertreter der Kleinrollen waren Gianluca Breda (Hohepriester des Baal), Manuel Pierattelli (Abdallo) und Elisabetta Zizzo (Anna). Den Chor des Hauses unter Martino Faggiani neuerlich zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen.

Die Herren Ricci/Forte zeichneten für das progetto creativo, worunter wohl die Dramaturgie zu verstehen ist. Als Regisseur stand Stefano Ricci auf dem Programmzettel. Dieses „kreative Projekt“ (wörtliche Übersetzung) sah die Verlegung der Handlung in das Jahr 2046 in einer Militärdiktatur vor. Sollte jemand nicht genug von Soldaten mit Sturmgewehren haben, so wurde er hier bestens bedient. Das Bühnenbild von Nicolas Bovey zeigte Teile eines Kriegsschiffs, aber auch einen für die Bescherung geschmückten Weihnachtsbaum (konsequenterweise war Zaccaria ein katholischer Priester). Die Hebräer wurden einerseits als Opfer des Antisemitismus am Vorabend des 2. Weltkriegs gezeigt (es gab auch verschreckte Damen in Pelzmänteln), andererseits trugen sie zu Beginn die sattsam bekannten Schwimmwesten von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen (Kostüme: Gianluca Sbicca). Um das für das Regieteam bedeutsame Thema noch zu unterstreichen, traten in der (ziemlich laut geratenen) Umbaupause zwischen 3. und 4. Akt Tänzer auf, die untereinander eine blaue Schnur weitergaben und sich dann so verrenkten, dass es aussah, als würden sie mit den Wellen kämpfen.

Dazu blies eine uniformierte Dame in eine gefüllte Wasserflasche und erzeugte damit den Eindruck von Wellenschlag. In der Umbaupause zwischen 1. und 2. Akt wurden hingegen zwei Militärs beim Schreddern von Unterlagen gezeigt. Was mich bei dieser Art von Regieführung betroffen macht, ist die weitgehende Abwendung von der Personenregie bzw. verunglückte Lösungen wie die von auf Stühlen aneinander gereihten Protagonisten, die aussehen, als würden sie auf einen Krankenkassentermin warten, und das im Moment höchster musikalischer Dramatik. Unerlässlich erscheinen in dieser Art von Interpretation auch Mimen, die wohl die Gedanken der Figuren ausdrücken sollen (?). Ein großes Lob hingegen für die szenische Gestaltung des (natürlich wiederholten) Gefangenenchors, wo die einzelnen Personen ein Stück Erde in Händen hielten, das sie langsam zu einem Hügel aufhäuften – der Traum von einer endgültigen Heimat.

Von der Premiere war zu hören, dass sie durch viele Zwischenrufe gestört wurde, bei dieser dritten Aufführung entlud sich der Publikumszorn nur mehr auf die weiter oben geschilderte Zwischenszene. Ich halte derartige Aktualisierungen zwar für überflüssig, aber da sie ja nicht während der Musik stattfanden, waren die Buhrufe ebenso unnötig. Allerdings ist zu bedenken, dass das Publikum in Parma als besonders konservativ gilt. Sänger, Chor und Orchester wurden am Schluss begeistert gefeiert.

MEZZOGIORNO IN MUSICA

Palazzo Ducale 12.10.

Dieses Mittagskonzert wurde in einem der wunderschönen Säle des sonst nicht öffentlich zugänglichen, weil den Carabinieri vorbehaltenen, Palastes im großen Stadtpark von Parma veranstaltet. Solisten waren France Dariz (Sopran) und Gustavo Castillo (Bariton). Die beiden jungen Künstler waren die Cover für die Interpreten von Abigaille bzw. Francesco Foscari und erhielten hier Gelegenheit, ihr Können zu zeigen. Die von der Musikwissenschaftlerin Carlida Steffan eingeführten Stücke bildeten einen Bogen von Donizetti bis zum Verdi der „Traviata“, mit welcher Oper die Galeerenjahre des Komponisten ihr definitives Ende gefunden hatten.

Somit begann Castillo mit „Cruda funesta smania“ aus der „Lucia“, es folgten „L’abandonée“ aus einem in Paris entstanden „Album di sei romanze“ Verdis und die große Arie der Abigaille durch den Sopran. Der Bariton brachte „Sacra è la scelta“ aus „Luisa Miller“ zu Gehör, der Sopran „La luce langue“ aus der Pariser Fassung von „Macbeth“. Die letzte Solonummer war „Di provenza“ von Germont père, und das Duett „Figlia l’avanza!“ aus den „Foscari“ beendete das Konzert.

Die französische Sopranistin verfügt über umfangreiche dramatische Mittel mit einer nach Mezzo klingenden Basis. Sie sang mit großer Emphase, wobei ein paar Höhen ein wenig schrill gerieten, was vielleicht auch auf den relativ kleinen Saal mit seiner Akustik zurückzuführen ist. Der30-jährige Bariton aus Venezuela scheint mir hingegen eine veritable Entdeckung zu sein, so prachtvoll gleichmäßig strömte seine schön timbrierte Stimme. Dazu fielen, bei bester Diktion, ausgezeichnete Phrasierung und vor allem hohe Expressivität auf. Schon lange nicht mehr habe ich die „abgelutschte“ (wie man heute wohl sagt) Arie des Germont mit so viel Ausdruck vorgetragen gehört, dennoch weit entfernt von schmalziger Sentimentalität.

Das Publikum feierte die beiden Künstler, die als Zugabe den zweiten Teil des „Foscari“-Duetts wiederholten. In den Jubel wurde auch der ausgezeichnete Pianist Gianluca Ascheri eingeschlossen, der mit großer Brillanz ein ganzes Orchester ersetzte.

Eva Pleus 19.10.19

Bilder: Roberto Ricci / Teatro Regio di Parma