Eine merkwürdige, aber interessante Interpretation
Nun habe ich nach „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ 2024 den neuen Baseler „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Hausherrn Benedikt von Peter mit dem „Rheingold“ und der „Walküre“ ganz erlebt und komme im Allgemeinen zu einer positiven Gesamtbeurteilung bei einigen durchaus recht kritischen Anmerkungen. Die ersten beiden Teile der Tetralogie von Richard Wagner am Theater Basel sind wirklich eindrucksvoll, vor allem „Die Walküre“. Benedikt von Peter stellt dieses Stück wie den gesamten „Ring“ aus der retroaktiven Sicht der Brünnhilde dar. Es kommt in der „Walküre“ zu einer Familienaufstellung, wie man sie aus der Psychiatrie kennt.
Das Regieteam mit Co-Regisseurin Caterina Cianfarini will die ganze Familie um Wotan herum, sowie die Menschen in der „Walküre“ ff. in ihrer komplexen Struktur innerhalb der vier Werke zeigen und thematisieren. Es werden die Charaktere nach hinten in ihrer Frühzeit und Entstehung, im Moment der Aufführung selbst und ebenso nach vorn in die Zukunft betrachtet. Das führt natürlich zu spannenden Neueinblicken in die ganze Dramaturgie des „Ring“.

Diese weist in dieser Lesart aber natürlich auch Pannen auf, wenn es einfach nicht mehr stimmt und nicht zusammen passt, bzw. passen will. Hier zwei Beispiele: Schon während des „Rheingold“-Vorspiels unterrichtet Wotan den kleinen Siegfried, der also da – unglaublicher Weise – schon geboren ist, mit dem Holzschwert den Drachen Fafner zu erschlagen. Oder in der „Walküre“ wird Sieglinde beim Fliehen im 3. Aufzug von Wotan mit dem Speer rücklings erstochen. Logik von Peters‘: Sie hat ja Siegfried schon geboren und erscheint deshalb wohl redundant! Im Grunde wollen sie Wotan zeigen, wie er wie auf einem Schachbrett alle Figuren des „Ring“ programmiert und dann manipuliert. Das betreiben sie mit großer und bisweilen über die Grenzen hinausschießender Intensität.
Der junge Siegfried liegt auf dem Tisch und wird – allerdings eine großartige Idee – später von Mime abgeholt. Brünnhilde gibt Mime bewusst diesen Siegfried, auch eine gute Idee! Eine schlechte Idee hingegen am Ende des 1. Aufzugs der „Walküre“: Es kommt nicht zur Vereinigung von Sigmund und Sieglinde! Nein, Siegmund wird vertrieben, Sieglinde verschleppt und Siegmund von Wotan an einen Stuhl gebunden als Frickas Faustpfand! Das passte natürlich überhaupt nicht zur Musik und noch viel weniger zum Text und der von Wagner klar vorgegebenen Dramaturgie der die weitere Handlung elementar bestimmenden Aktion! Da glitt dem Regieteam bisweilen die Kontrolle aus der Hand, auch wenn es sich dessen bewusst gewesen sein mag.

Aber im Gesamtkonzept war diese Inszenierung durchaus beeindruckend, wenn man sie auch nicht unbedingt mehrmals sehen muss. Das Bühnenbild von Natascha von Steiger bestand eigentlich nur aus drei Teilen. In beiden Stücken ist die Weltesche im Hintergrund schon weitgehend abgesägt. Links steht ein größeres Haus, in dem die Götter hausen, aber auch immer wieder andere Figuren Platz nehmen. Es ist sozusagen ein Wechselbild des Geschehens und seiner Protagonisten. Vorn steht bis zum bittereren Ende der „Götterdämmerung“ ein langer Tisch, der an jenen von Andreas Homoki in seinem „Ring“ in Zürich erinnerte, aber hier eine viel intensivere Zuweisung bekommt. Er ist sozusagen der Tisch der Familienaufstellung. Hier werden die großen Fragen verhandelt und diskutiert. Und das wird letzten Endes oft auch sehr emotional. Das Puppenspiel von Stephan Q. Eberhard spielte an beiden Abenden dabei ein große Rolle und erinnerte an Wagners Leidenschaft für diese Form der Unterhaltung. Mit einer exzellenten Personenregie werden die Charaktere in vielschichtigeren Dimensionen als generell im „Ring“ zu erleben ausgeleuchtet. Die nicht immer ganz überzeugenden Kostüme schuf Katrin Lea Tag, und das im Allgemeinen gute Lichtdesign steuerte Roland Edrich bei.

Nathan Berg als Wotan ist mit einer Bass-lastigen schweren Stimme und mit einem intensiven Engagement fast ständig auf der Bühne. Er beobachtet das Geschehen, traut wohl nicht seinen Raben, und manipuliert zu seinem Vorteil wie interessanterweise auch zu seinem Nachteil. So ist Wotan hier eine ambivalente Figur. Das kommt wirklich großartig heraus, und Nathan Berg hätte sich wohl ein doppeltes cashé verdient für das, was er an diesen beiden Abenden auch physisch geleistet hat… Trine Møller war nach „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ wieder eine sehr gute junge Brünnhilde. Mit leuchtenden Tönen und guter Technik sowie Diktion offenbarte sie eine gut geführte frische Stimme. Mit dieser hat sie sicher eine sehr gute Zukunft. Ric Furman war Siegmund, ein vielversprechender Heldentenor mit einer baritonalen Farbe, der auch darstellerisch total überzeugte. Theresa Kronthaler war als Sieglinde in der Tiefe noch nicht so richtig präsent, machte aber emotional sehr viel aus der Rolle.
Die Stimme von Solenn‘ Lavanant Linke als Fricka ist schön und höhensicher, aber nicht allzu groß. Die einzige, die Wotan in dieser Inszenierung (und auch generell) nicht beeinflussen oder gar manipulieren kann, ist Erda! Und diese kommt hier noch einmal vorbei als Hanna Schwarz, die schon jenseits jeglichen vokalen Zenits ist, aber die Urmutter vielleicht gerade deshalb noch so ehrwürdig interpretierte.

Artyom Wasnetsov war ein kraftvoller und von Wotan total manipulierter Hunding, Andrew Murphy gab einen Wotan auf Augenhöhe darstellerisch und stimmlich begegnender Alberich, Karl-Heinz Brandt ein beeindruckender Mime. Thomas Faulkner sowie Runi Brattaberg waren gute Riesen. Michael Laurenz konnte sowohl stimmlich mit viel Deklamation, aber auch mit trickreicher Darstellung als Loge überzeugen. Michael Borth gab einen guten Donner und Ronan Caillet ein ebenso guten Froh. Lucie Peyramaure sang die Freia und Inna Fedorii, Valentina Stadler sowie Sophie Kidwell bildeten ein klangvolles Rheintöchter-Terzett.
Das Sinfonieorchester Basel war nicht hinter der Bühne wie in Dessau oder Erl, auch nicht wie 2011 beim „Ring“ im schwedischen Karlstad auf dem 3. Rang eines sehr kleinen Opernhauses mit etwas über 400 Plätzen. In Basel ist das Orchester im „Ring“ unter der Bühne! Man sieht es überhaupt nicht, nur auf der Bühne ein Gitter, etwa so breit wie die Bühne und vielleicht 5-6 Meter tief ist. Dort kam ein Mischklang heraus, dessen symphonische Qualität verblüffte! Es klang fast wie in Bayreuth und war natürlich für die Künstler hervorragend. Denn sie konnten direkt zum Publikum singen und hatten nie das Orchester „gegen“ sich. Es wurde bis vor die erste Reihe des Publikums gespielt. Ein „Ring“ fast „zum Anfassen“, total direkt! GMD Jonathan Nott zauberte aus diesem „Loch“ einen wundervollen Wagner-Sound und erhielt mit dem Orchester in Video-Einblendung aus dem Untergrund am Schluss zu Recht frenetischen Applaus. Ein gelungenes und vor allem phantasievolles „Ring“-Erlebnis in Basel.
Klaus Billand, 30. Juni 2025
Das Rheingold / Die Walküre
Richard Wagner
Besuchte Aufführungen: 4.-5. Juni 2025
Premiere 9. und 16. September 2023
Inszenierung: Benedikt von Peter
Musikalische Leitung: Jonathan Nott
Sinfonieorchester Basel