Lieber Opernfreund-Freund,
das wohl bekannteste Werk des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů ist derzeit am Theater Bielefeld zu sehen. Mit seiner düsteren Version macht Regisseur Manuel Schmitt Die griechische Passion zu einer zeitlos gültigen Parabel über Fremdenfeindlichkeit und Nächstenliebe.

Die Entstehungsgeschichte der griechischen Passion gehört wohl zu einer der Merkwürdigkeiten der Musiktheatergeschichte: Schon ein Jahr, nachdem sich Bohuslav Martinů 1953 an der französischen Riviera niedergelassen hatte, begann die Beschäftigung des Komponisten mit dem Stoff. Er selbst war 1941 in die USA geflohen und suchte nach seiner Rückkehr auf den Heimatkontinent die Bekanntschaft mit dem griechischen Dichter Nikos Kazantzakis, dessen Romanerfolg Zorba (Alexis Sorbas) nicht erst in der Filmversion mit Anthony Quinn zu Weltruhm gelangte. Sein 1948 entstandener Roman Der wiedergekreuzigte Jesus sollte die Vorlage zur griechischen Passion werden und erzählt die Geschehnisse im Dorf Lykovrissi, in dem man gerade die Vorbereitungen für ein Passionsspiel trifft, als eine Gruppe Fremder auftaucht, deren Dorf von den Türken überfallen wurde und die sich auf der Flucht befinden. Allzu bald wird deutlich, dass die Dorfbewohner um ihren Wohnstand fürchten, der Priester seinen Einfluss schwinden sieht – und so schürt er die Vorbehalte gegen die Geflohenen, facht Ängste an. Manolios, der Jesusdarsteller aus dem Passionsspiel, ist einer der wenigen, der für sie Partei ergreift und am Ende von der aufgestachelten Menge gelyncht wird.

Bis 1955 arbeiteten Martinů und Kazantzakis gemeinsam am Libretto zur Oper, die 1957 in London zur Uraufführung gelangen sollte. Doch das Opernhaus lehnte das Werk ab, so dass Martinů es umarbeitete und 1961 in Zürich zur Aufführung brachte. Die Partitur der ersten Version hatte er da bereits in Einzelteilen an verschiedene Freunde verschenkt, so dass die Urfassung nach umfangreichen Rekonstruktionsarbeiten erst 1999 bei den Bregenzer Festspielen erklang. Sie ist ein Konglomerat aus verschiedenen Stilen: griechische Folklore trifft auf sakrale Chorgesänge, weite, expressionistische Melodienbögen wechseln sich mit nach meinem Dafürhalten zu ausufernden gesprochenen Passagen ab. Letzteres soll dem Vernehmen nach auch ein Grund für die Ablehnung seitens Covent Garden gewesen sein. Der aus Wien stammende Dirigent Gregor Rot lässt den einzelnen Kompositionsstilen Martinůs genug Raum sich zu entfalten, ohne dabei in Konkurrenz zu treten. So verschmilzt in Bielefeld unter seiner Leitung alles zu einer wohlklingenden Einheit.

Manuel Schmitt wählt sein Setting bewusst ohne konkreten Zeitbezug. Die Kostüme von Carola Volles weisen zwar in einigen Trachtelementen auf den griechisch-orthodoxen Raum hin – stattfinden könnte das Gezeigte jedoch überall. Mittels gekonnter Personenführung bespielt Schmitt die Bielefelder Bühne auch in den Massenszenen fokussiert und spielt mit Symbolen. Julia Katharina Berndt hat das Skelett eines Hauses auf die Drehbühne gestellt, in das sich die Dorfgemeinschaft wiederholt regelrecht zusammenrottet, um sich ab- und die Fremden auszugrenzen. Dabei ist besonders gelungen, dass jeder Dorfbewohner einen Kostümzwilling unter den Flüchtenden hat – auf der Flucht kann also jeder sein. Zwischen den einzelnen Bildern lässt Schmitt kurze Berichte von Geflüchteten auf die Gaze projizieren, die aus verschiedenen Kriegen stammen, und überlässt dem Zuschauer seine eigene Assoziation dazu – seien es die jüngsten Fernsehbilder oder der Bericht der eigenen geflüchteten Großmutter. Damit betont er in ergreifender Weise die Zeitlosigkeit des Flüchtlingsthemas sowie die Allgemeingültigkeit des Appells für Menschlichkeit.

Nenad Čiča ist ein Manolios, der im Spiel dann und wann in der Masse ein wenig untergeht, dies aber mit überragender stimmlicher Präsenz locker wettmacht. Alexandra Ionis ist eine vor Kraft nur so strotzende Katerina, die die Bühne ab dem Moment beherrscht, in welchem sie diese betritt, und der es bei aller Power in keinem Moment an Gefühl fehlt. Die beiden Priester Yoshiaki Kimura und Evgueniy Alexiev stehen einander in der intensiven Darstellung ihrer Charaktere in nichts nach, während Lorin Wey mich als einfältiger, aber herzensguter Händler Yannakos mit klarem Tenor überzeugt. Ansonsten weist der Besetzungszettel mehr als ein Dutzend teilweise kleinster Rollen auf, die die Mitgliederinnen und Mitglieder des Bielefelder Ensembles alle mehr als souverän verkörpern. Hier bleibt mir der junge Tenor von Andrei Skliarenko am längsten im Ohr. Stellvertretend ganz besonders loben möchte ich zudem die beiden Kleinstrollen, die Sophie Schwerthöfer und Daniel Alejandro Cobos Ortiz verkörpern. Beide singen so klangschön, dass ich mir gewünscht hätte, ihnen noch ein wenig länger zuhören zu können. Heimlicher Star des Abends ist jedoch der von Hagen Enke betreute Chor, dessen Damen und Herren nicht nur stimmgewaltig auftrumpfen, sondern auch darstellerisch alles geben, um den Abend szenisch abzurunden.
Ihr
Jochen Rüth
19. Mai 2025
Die griechische Passion
Oper von Bohuslav Martinů
Theater Bielefeld
Premiere: 26. April 2025
besuchte Vorstellung: 15. Mai 2025
Regie: Manuel Schmitt
Musikalische Leitung: Gregor Rot
Bielefelder Philharmoniker
weitere Vorstellungen: 1. und 18. Juni sowie 1. Juli 2025