Bonn: „Ernani“

Giuseppe Verdi

Premiere: 10.04.2022

Früher Verdi – exzellent musiziert

Es ist eine Crux mit den unbekannten Frühwerken großer Komponisten! Mal hapert es an der musikalischen Reife, mal an der dramaturgischen Dichte, mal hat man sich einfach beim Sujet vergriffen – bei Verdis "Ernani", der nun an der Oper Bonn eine beglückende Premiere feierte schlägt eben auch eins dieser Probleme durch.

Verdi hat für sein 1844 uraufgeführtes eine funkelnde, sprühende Musik geschrieben, die leicht ins Ohr geht, die gefällig daherkommt und mitreißt. Hier ist die Dramaturgie das Problem: Die Vorlage für das Werk lieferte Viktor Hugo mit seinem "Hernani", der, 1830 in Paris uraufgeführt und aufgrund seiner heftigen Publikumsreaktionen, die in der ästhetischen Kontroverse zwischen Klassik und Romantik fußten, mit der "Schlacht um Hernani" in die Theatergeschichte eingegangen ist. Hugos Werk wird heute noch weniger gespielt als Verdis Opern-Adaption.

Verdi hat trotz brillanter Musik leider keine wirklich plastischen Figuren geschaffen, vieles bleibt holzschnittartig und berührt bei weitem nicht so wie die ausgefeilten Charaktere seines Spätwerks. Es fehlt an Raum für Entfaltung – in knapp zweieinhalb Stunden rauscht das Werk am Zuschauer vorbei. Die Geschichte des Banditen Ernani, der in den Wirren von falschen Hochzeitplänen und Intrigen, zwischen Kaiserkrönung und Todesschwur um das Herz von Elvira kämpft fällt leider im Vergleich zu anderen Verdi-Opern ab. Aber nichtsdestotrotz ist der Bonner Abend absolut sehens- und hörenswert und ist ein Plädoyer für das Werk. Das ist zum einen der musikalischen Seite geschuldet, aber auch die Inszenierung von Roland Schwab betont die düstere Seites des Werks und entfaltet so eine mitreißende Dramatik.

Die vier Hauptpartien sind in Bonn exzellent besetzt und es ist ein wahrer Verdi-Genuss, diesen Sängerinnen und Sängern zuzuhören. In der Titelpartie glänzt George Oniani, der sich am Anfang noch etwas zurückhaltend präsentiert, aber schon bald aufblüht und seinen lupenreinen Tenor mit viel Strahlkraft erklingen lässt. Szenisch etwas verhalten konzentriert sich Oniani auf eine feine und sehr wohl timbrierte Stimmführung und vermag rundum zu überzeugen. Als Elvira begeistert Yannick-Muriel Noah. Sie wirft sich mit bemerkenswerter Spielfreude in die Partie und lotet deren Gefühlswelt sehr genau aus. Stimmlich brilliert sie vor allen Dingen in den tiefen Lagen mit lodernden Mezzo-Klängen, formt ihre Töne mal zart, mal kraftvoll. Kritisch wird es einzig, wenn Koloraturen sie kurz in die Höhe peitschen, da wirkt die ansonsten so exakt sitzende Stimme in Nuancen angestrengt und büßt ein wenig ihrer ansonsten vortrefflichen Klangschönheit ein. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau: Noah singt die Partie exzellent.

Als Don Carlos überzeugt Federico Longhi. Was für eine Wucht in der Stimme, welche Majestät! Sonor und kraftvoll gibt er den König und Kaiser, führt seine Stimme mit großer Akkuratesse und wird für seine Leistung mit Bravos belohnt. Etwas chargig kommt der Silva des Pavel Kudinov daher – mal fuchtelnd mit der Krücke, mal leicht grimassierend gibt er den Fiesling. Stimmlich absolut solide, manchmal vielleicht ein wenig verhalten in der Dynamik fügt er sich aber dennoch in ein großartiges Solistenensemble.

Die kleinen Partien werden von Ingrid Bartz (Giovanna), Tae-Hwan Yun (Don Riccardo) und Michael Krinner (Jago) souverän gemeistert. Besonders feiert das Publikum aber Chor und Extrachor des Bonner Hauses, denn diese Klangkörper sind hervorragend disponiert und überzeugen auf ganzer Linie. Marco Medved hat seine Sängerinnen und Sänger auf einen absolut stimmigen Verdi-Klang vorbereitet – zwischen heroischem Pathos und mysteriösem piano glänzt der Chor in seinem sehr umfangreichen Part.

Will Humburg – als ausgewiesener Verdi-Experte – ist eine exzellente Personalie für diesen Abend – peitscht mit flotten Tempi durch den Abend. Teilweise so, dass seine Sängerinnen und Sänger mit Energie aufwenden, um am Ball zu bleiben und gerade der so perfekt klingende Chor hat hier dann eben doch Mühe dem Dirigat zu folgen. Humburg und das Bonner Beethoven-Orchester musizieren einen luftigen, leichten Verdi, der aber nichts an seiner Dramatik einbüßt. Es ist fast schon überraschend, wie locker Humburg in einige Nummern einsteigt, wie walzerseelig er die Dreiertakte nimmt und welch interessanten Kontrast er so zu der Düsternis des Bühnengeschehens liefert.

Roland Schwabs Inszenierung löst das Werk aus dem konkreten historischen Kontext, auch wenn im dritten Akt der Aachener Kaiserthron auf der Bühne steht. Ansonsten bleibt es im Abstrakten. Alfred Peter hat eine Bühne geschaffen, deren bestimmendes Element der ersten zwei Akte ein Scheins kriegszerstörter Kubus ist, der gleichermaßen Elviras heile Welt, aber auch ihr Gefängnis inmitten einer düsteren, sie umgebenden Welt ist. Nach der Pause ist dieser Kubus verschwunden, hier bestimmt nun eine bemerkenswerte atmosphärische Lichtregie (Boris Kahnert) die Szenerie, bevor wir die Grundmauern des Kubus im Finale sehen: Elviras Gefängnis scheint aufgebrochen, doch bleibt dies ob des dramatischen Endes nur der Trugschluss einer offenen heilen Welt – das Dämonische triumphiert.

Am Ende jubelt das Publikum einem famosen Ensemble zu und bedenkt auch das Orchester mit reichlich Bravos. Bei der Regie bleibt etwas verhaltener im Saal. Wer das Werk nicht kennt, der sollte es sich in jedem Fall anschauen und wer es kennt, der darf sich in Bonn auf einen wunderbaren Verdi-Abend freuen.

Sebastian Jacobs, 13.4.22

Die Fotos stammen von Thilo Beu