Bremen: „Don Giovanni“

Premiere am 20.10.2019

Das Ende einer Drogenkarriere

Don Giovanni ist krank, sehr krank. Er hustet Blut und ist auch noch drogensüchtig. Am Beginn ist das noch gar nicht so klar – da kommen Don Giovanni und Leporello eher wie halbstarke Rotzlöffel daher, die ihre Pubertät noch nicht überwunden haben. Aber wenn die Hustenattacken immer stärker werden und das Blut auf Don Giovannis Hemd nicht mehr zu übersehen ist, wird es deutlich: Hier geht ein armer Teufel jämmerlich zu Grunde.

Regisseurin Tatjana Gürbaca hat in ihrer Bremer Inszenierung eine ganz eigene Sicht auf Mozarts Don Giovanni entwickelt. Vom „Mythos Don Giovanni“ bleibt dabei nicht viel übrig. Auch Zeit und Ort bleiben offen. Klaus Grünberg schuf einen Bühnenraum, der auch für Samuel Becketts „Warten auf Godot“ passend gewesen wäre: Eine einsame Straße durch ein Feld mit Kohlköpfen, die aus dem Nichts kommt und ins Nichts führt. An einer Biegung unter einer Straßenlaterne spielt der gesamte „Don Giovanni“. Eine nächtliche Endzeitstimmung mit viel Regen wird hier beschworen. Eine Grube für den Komtur und Don Giovannis Höllenfahrt ist auch schon ausgehoben. Aber eine richtige Höllenfahrt wird es am Ende nicht, eher eine ordentliche Beerdigung mit Trauergästen.

Den Gedanken, Don Giovanni als Außenseiter der Gesellschaft zu sehen, der den Tod vor Augen hat und sich in jeden ausschweifenden Exzess stürzt, zieht Gürbaca konsequent durch. Ob er seine erotischen Obsessionen wirklich erlebt oder ob sie nur in seinem Drogenrausch existieren, bleibt offen. Der Ansatz ist durchaus interessant, aber über die Details kann man streiten. Müssen Don Giovanni und Leporello ständig die Hosen fallen lassen? Feinripp-Paraden hat man in den letzen Jahren wirklich zur Genüge gesehen. Manche Dinge sind einfach übertrieben und nervig, etwa Leporellos ständiges Gezappel, wodurch die Wirkung der Champagner-Arie sogar beschädigt wird. Und wenn Leporello Zerlinas skurrile Hochzeitsgesellschaft wie ein Sandmännchen mit seinem Rauschgiftpulver bestreut, mündet das sofort in eine Massenorgie.

Hinter Donna Annas Fassade schlummert ein erotischer Vulkan. Mit verbundenen Augen wird sie von Don Giovanni herbeigeführt und lässt sich bereitwillig die Strumpfhose ausziehen. Der biedere Don Ottavio genügt ihr offenbar nicht. Später greift auch sie zum Joint. Dass Donna Elvira ihren Don Giovanni unbedingt zurück haben will, ist verständlich – immerhin ist sie von ihm schwanger. Leporello und Don Giovanni gebärden sich durchweg lärmend und wie völlig durchgeknallte Typen, wobei letzterer auch schon mal wie in einem Horror-Film mit der Axt durch die Gegend rennt. Das berühmte Ständchen singt Don Giovanni allerdings nicht für eine Frau, sondern für den Komtur. Ihn bittet er, sein Fenster (zum Tod) zu öffnen.

Birger Radde als Don Giovanni und Christoph Heinrich als Leporello machen ihre Sache gut. Radde singt mit virilem Bariton und spielt mit ausufernder Präsenz. Heinrich ist für dieses Konzept genau der richtige Partner. Mima Millo ist neu im Bremer Ensemble und gibt mit kraftvollem Sopran einen guten Einstand als Donna Anna. Patricia Andress ist die Donna Elvira und hinterlässt besonders mit ihrer Arie „Mi tradi quell’ alma ingrata“ einen nachhaltigen Eindruck.

Hyojong Kim beschert als Don Ottovio mit seiner Arie „Dalla sua pace“ reinsten Wohllaut. Schade, dass seine zweite Arie gestrichen war. Aufhorchen lässt KaEun Kim als Zerlina. Mit Anmut und silbrigem Sopranglanz rückt sie die Partie in den Vordergrund. Als Masetto löst Stephen Clark mit geschmeidigem Bass die Rolle aus dem Verlierer-Image. Obwohl bereits in den Ruhestand verabschiedet, kann man dem verdienstvollen Loren Lang hier noch einmal als Komtur begegnen. Der Chor (Alice Meregaglia) singt in bewährter Qualität.

Am Pult der Bremer Philharmoniker steht der vielseitige Hartmut Keil, der die Musik versiert aufblättert und die Sänger umsichtig begleitet. Die Balance zwischen „dramma“ und „giocosa“ wird gewahrt. Die wirklich wuchtige Dramatik spart er sich für das Finale auf.

Wolfgang Denker, 21.10.2019

Fotos von Jörg Landsberg