Premiere am 27.05.2018
Das Glück bleibt Illusion
Mit seinem Ballett „Le Sacre du Printemps“ hob Igor Strawinsky 1913 die musikalische Welt aus den Angeln. Bei seiner 1949/50 entstandenen Oper „The Rake’s Progress“ schlug er ganz andere, neo-klassizistische Töne an. Strawinsky spielt in diesem Werk, das im Stil einer klassischen Nummernoper aufgebaut ist, mit Anklängen von Monteverdi bis zum Jazz. Die Gesangspartien huldigen dem Belcanto. Vor allem aber schwebt der Geist Mozarts über der Partitur: Ein moderner „Don Giovanni“ mit einem Helden, dem eigentlich alles misslingt und einem Epilog, der die „Moral“ von der Geschichte bilanziert.
Zu Beginn ist ein grauer Saal zu sehen (Bühne von Barbara Steiner). „I wish I were happy“ steht in großen Lettern an der Wand. Menschen sitzen auf Stühlen, darunter auch Tom Rakewell. Ist es ein Wartesaal zum Glück? Bevor der erste Ton der Musik einsetzt, fällt Rakewell tot vom Stuhl. Die Handlung wird somit in der Inszenierung von Michael Talke als Rückblick entwickelt. Wie sich erst am Schluss der Oper erweist, befinden wir uns hier bereits in dem Irrenhaus, in dem das Werk endet. Es ist eine surreale Welt, die hier aufgeblättert wird. Die skurrilen Kostüme von bieder bis bizarr, von mausgrau bis zu barocker Farben- und Formenpracht machen dadurch durchaus Sinn. Anne Truelove trägt ein rotes, herzförmiges Kleid und signalisiert schon rein optisch die Wahrhaftigkeit ihrer Gefühle. Die Jahrmarktsattraktion Baba, die von Tom geheiratet wird, entpuppt sich als Affenmensch. Und Nick Shadow ist nicht nur im übertragenen Sinne eine Gestalt der Finsternis: Schwarzes Gesicht, schwarze Hände und ein pechschwarzes Gewand – eindrucksvoller kann man den Teufel nicht charakterisieren. Regine Standfuss hat viel Phantasie in ihre Kostüme investiert.
Und Talke verdeutlicht die Stationen von Toms Abstieg mit ebenfalls viel Phantasie, ob er nun unter dem riesigen Reifrock der Puffmutter Mother Goose verschwindet, seine nervige Ehefrau Baba erschlägt (die aber wieder aufwacht) oder in der Anstalt vor sich hin dämmert. Der Gehalt der Szenen, Toms Scheitern bei der Jagd nach Geld und Anerkennung, wird in immer neuen Konstellationen verdeutlicht. Spannend gerät das Kartenspiel zwischen Tom und Nick, eindrucksvoll dessen Höllenfahrt in dichten Nebelschwaden.
Hyojong Kim setzt als Tom Rakewell seinen Tenor mit viel Kraft und strahlendem Glanz ein, Marysol Schalit bezaubert als Anne Truelove mit reinstem Belcanto und Christoph Heinrich setzt stimmlich und darstellerisch als Nick Shadow besondere Glanzlichter. Dazu kommen die hervorragenden Leistungen von Nathalie Mittelbach als umwerfende Baba, Ulrike Mayer als verruchte Mother Goose, Christian-Andreas Engelhardt als quirliger Auktionator, Loren Lang als Annes besorgter Vater und vom bestens disponierten Chor (Alice Meregaglia).
Die fragile und feinsinnige Musik Strawinskys liegt bei Hartmut Keil und den Bremer Philharmonikern in besten Händen. Tom Rakewell ist zwar nicht glücklich geworden, dafür aber das Publikum mit dieser sehenswerten Inszenierung.
Wolfgang Denker, 29.05.2018
Fotos von Jörg Landsberg