Freiburg: „Hoffmanns Erzählungen“

Premiere: 22. Oktober 2017

Kräftigt entstaubt und entromantisiert

Hervorragende Solisten, spannende Inszenierung, präzises und sauber spielendes Orchester, stimmiges Bühnenbild, gut geleiteter Theaterchor, ein Musiktheater- publikum, welches bereit ist sich auf Neues einzulassen: Dies sind die Ingredienzien, welche es für einen perfekten Opernabend braucht. Und all dies war am Premierenabend von „LES CONTES D’HOFFMANN“ in Freiburg vereint. Das ist mein Schlussfazit, war aber auch mein Eingangsgedanke.

Peter Carp, der neue Intendant, tritt ans Mikrophon: „Eine solche Ansage möchte er nur selten machen: Der Solist Rolf Romei ist erkrankt. Wir haben aber vor zwei Tagen einen Ersatz gefunden: Einen französischen Sänger aus Lyon: Sébastien Guèze, er wird nicht nur singen sondern auch spielen.“ Einige Takte Musik dann eine Videoeinspielung: „Die Jury hat Ernst Theodor Amadeus Hoffmann den Literaturpreis zuerkannt!“ Was soll das ein Opernabend und nicht Dialoge oder Monologe! O doch, es entspricht den Intentionen Offenbachs und dies hat schon Walter Felsenstein in seiner bahnbrechenden Inszenierung 1954 an der Komischen Oper Berlin erkannt.

Offenbach hat das Werk zumindest für die Uraufführung als Opéra comique, das heißt als Nummernoper mit gesprochenen Dialogen, konzipiert. Die Opera comique ist das Pendant zum deutschen Singspiel

Die Freiburger Regie hat diesen Hinweis aufgegriffen, ist weiter gegangen und hat gesprochene Originaltexte von E.T.A. Hoffmann eingestreut, als Verbindungen verwendet.

Auftritt Hoffmann: Ein Tenor mit einer Stimme kraftvoll und doch zerbrechlich, hervorragend intonierend, mit einer Diktion, welche selten zu finden ist. Eine Körperbeherrschung par excellence, Gestik und Mimik in jedem Moment der langen sehr langen Bühnenpräsenz. Mit der Interpretation in jedem der fünf Akte, Prologe, drei Akte und Epilog unterschiedlich der Situation angepasst. Sébastien Guèze ist Hoffmann, er spielt die Geschichte, welche erzählt wird glaubwürdig und zwingend: Makellos! Dazu kommt, dass er trotz seiner unglaublichen Bühnenpräsenz seine Mitspielerinnen und Mitspieler nicht an die Wand spielt, künstlerisch erdrückt, ganz nach dem Motto: Nur wenn die anderen gut sind, bin auch ich gut!

Konstantin Stanislawski: In der Schauspielvorstellung geht es um das Zusammenwirken von Körper und Seele. Das Grundkonzept besteht darin, dass der Mensch seine inneren Gefühle, Emotionen und Gemütsbewegungen durch sein Äußeres mittels der Haltung, dem Auftreten, dem Gehabe, sowie der Mimik und Gestik äußerlich sichtbar machen kann. Diese Idee hat Guèze verinnerlicht und lebt sie auf der Bühne glaubhaft aus. Es führt zu nichts, jeden der Auftritte zu beschreiben, es bleiben Worte. Einen Künstler wie Sébastien kann man nur erleben, sehen hören, ja mit ihm auf der Bühne stehen und leiden, sich freuen!

Als ausgezeichneten Lindorf hören und sehen wir Juan Orozco. Der Bariton aus Mexico, Ensemblemit-glied am Theater Freiburg, spielt und singt, wie in Hoffmann’s Erzählungen üblich, auch Coppelius, Miracle und Dapertutto. Er singt und spielt die vier Rollen überzeugend, mit klarer Diktion und sauberer Intonation. Auch seine schauspielerische Leistung überzeugt von Anfang an. Inga Schäfer als Muse und Niklaus gibt diese eher unscheinbare, aber zwiespältige, schwierige Rolle mit Bravour.

Generell kann bei allen Künstlerinnen und Künstlern eine hervorragende Sprachbeherrschung des französischen Librettos und eine vorzügliche Diktion festgestellt werden. Dies dürfte der intensiven Arbeit mit dem französischen Regieteam zuzuschreiben sein. Auf dieses Regieteam komme ich noch weiter unten intensiv zu sprechen.

Als Olympia erleben wir die junge Sopranistin Samantha Gaul, welche den Olympia Akt spielend dominiert, dies sowohl gesanglich als auch schauspielerisch. Sie ist eine Spezialistin der kleinen, aber effektiven Gesten. Jeder kleine Schritt unterstreicht die Wichtigkeit ihrer Rolle im gesamten Kontext des Werkes.

Die Interpretation der Antonia durch die französische Sopranistin Solen Mainguené ist ergreifend. Ihre Interaktion mit Hoffmann, ihre gelebte Abneigung gegen Miracle, ihre Hingabe zur Musik lässt niemanden kalt. Speziell erwähnenswert in diesem Akt ist das Duett mit Ihrer Mutter, hervorragend gesungen von Anja Jung, welch wir schon als Walküre in Frank Hilbrichs Ring-Inszenierung hören durften. Auch die Zwiespältigkeit, das Hin- und Hergerissen sein, zwischen der Liebe zur Musik und ihrer Liebe zu Hoffmann spielt und singt Mainguené mit viel Emotion.

Die venezianische Kurtisane Giulietta wird glaubhaft dargestellt und schön gesungen von der aus Kolumbien stammenden Sopranistin Juanita Lascarro. Der Giulietta Akt ist, trotz der allgemein bekannten Baccarole, wahrscheinlich der am schwierigsten glaubhaft zu inszenierende Teil des Bühnenwerkes. Juanita Lascarro gibt dem dritten Akt mit ihren Partnern Schlehmil, Pitichinaccio, und natürlich Hoffmann den nötigen Drive. Auch hier wieder Luan Orozco als grandioser Dapertutto mit der Spiegelarie.

Den Andrès, Cochenille, Franz und Pitichinaccio gab das Ensemblemitglied Roberto Gionfriddo, hier in eher komischen Rollen, welche er schauspielerisch und sängerisch hervorragend ausfüllte. Ich habe Roberto auch schon als hervorragenden Siegmund erlebt.

In weiteren Rollen waren zu sehen und hören: Anja Jung überzeugende „Stimme der Mutter“, auf der Bühne als Nathanael und Spalanzani Jörg Golombek, den Lutter und den Crespel gab Jin Seok Lee, den Wilhelm und den Wolfram sangen Jongsoo Yang und Stefan Fiehn und Schlehmihl und Herrmann wurde von John Carpenter gegeben. Speziell erwähnenswert sind die beiden Schauspieler, welche die Zwischentexte sprachen und spielten: Stefanie Mrachacz und Thiess Bramer. Frau Mrachacz übernahm auch die nicht singende Rolle der Stella.

Ein ganz spezieller Dank geht an das Künstlerkollektiv „Le Lab“, welches für die gesamte Produktion verantwortlich zeichnet.

Die Regisseure Jean-Philippe Clarac und Olivier Deloeuil, auch verantwortlich für die Kostüme, zeichnen sich aus durch ihre hervorragende Personenführung und der ausgezeichneten Arbeit mit den schauspielerischen Fähigkeiten ihres Künstlerteams auf der Bühne, so dass nicht nur professionell gesungen wird, sondern durch Gestik, Mimik, Bewegung auch Interaktionen zwischen den einzelnen Protagonisten entstehen. So und nur so können auf Musiktheaterbühnen Geschichten glaubhaft inszeniert werden.

Für das wunderbare Lichtdesign verantwortlich zeichnet Christophe Pitoiset, das sparsam aber effektiv eingesetzte Video kreierte Jean-Baptiste Beis. Zuständig für die Grafik war Julien Roques und als künstlerische Mitarbeiterin Lodie Kardouss. Alle sind Mitarbeiter im Kollektiv Le Lab.

Unter der Stabführung von Francis Bollon musizierte das Philharmonische Orchester Freiburg gekonnt mit viel Spielfreude. Der Opernchor Theater Freiburg meisterte seine zum Teil nicht einfache Rolle professionell.

Die Regisseure der Freiburger Produktion von Hoffmanns Erzählungen haben, wie weiland Wieland Wagner den Mut gehabt das Bühnenbild vom romantischen Ballast, vom Jugendstil-Groove zu befreien. Dazu muss man JeClarac und Deloeuil gratulieren und auch danken. Nur mit diesem Mut kann sich das Musiktheater weiterentwickeln, allen Unkenrufen der ewig gestrigen zum Trotz, welche alles immer gleich im alten Stil haben wollen. Ohne diesen Mut müssten wir auch heute noch Brünnhilde im Flügelhelm und andere Stilblüten „bewundern“.

Das erwartungsvolle, zahlreich erschienene Freiburger Premierenpublikum wurde nicht enttäuscht. Es erlebte einen Opernabend der Spitzenklasse und belohnte die Leistung der Künstler auf der Bühne mit langanhaltendem Applaus. Die neue Ära in Freiburg, die Ära Peter Carp, hat spektakulär angefangen. Ich bin überzeugt dass die neue Intendanz im ähnlichen Stil weitermachen wird.

Peter Heuberger 23.11.2017