Freiburg: „Jerusalem“

Premiere: 1. Oktober 2016

Seine Kreuzzugsoper hat Giuseppe Verdi in zwei Fassungen aufgelegt, einmal als „Die Lombarden auf dem ersten Kreuzzug“ (1843) und dann als „Jerusalem“ (1847). Regisseur Calixto Bieito bringt in Freiburg eine eigene Fassung heraus, in der die Moslems als Gegner im Kreuzzug fehlen. Bei ihm wird die ganze Geschichte auf einen Familienkonflikt reduziert.

Wahrscheinlich denkt sich Bieito, dass sowieso niemand im Publikum diese Oper kennt, da sie erst im Januar 2016 ihre szenische deutsche Erstaufführung in Bonn erlebt hat, er mit dem Stück also anstellen kann, was er will. Vielleicht liegt hier auch ein Fall vorauseilender „politischer Korrektheit“ vor, und man befürchtet irgendjemand könne sich beleidigt fühlen, wenn man einen Krieg zwischen Christen und Moslems auf die Bühne bringt, der sich vor 900 Jahren ereignete.

In Freiburg läuft das Stück so ab: Ritter Roger will den Ritter Gaston umbringen lassen, weil dieser Rogers Nichte Helene heiraten will, auf die Roger auch ein Auge geworfen hat. Stattdessen wird aber Rogers Vater, der Graf von Toulouse, Opfer des Anschlags: Große Verwirrung und Schuldgefühle! Nach gut 40 Minuten ist der erste Akt beendet, dann folgt die Pause, und in den nächsten drei Akten und anderthalb Stunden kämpfen alle Personen mit ihrem schlechten Gewissen. Von dem wollen sie sich in Jerusalem befreien. Da die militärische Seite dieses Unternehmens gekürzt wird, ist die Freiburger Aufführung auch 25 Minuten kürzer als in Bonn.

Bei der Einführung durch Dramaturgin und Operndirektorin Domenica Volkert hört sich Bieitos Konzept intelligent und durchdacht an, die Umsetzung hat aber, trotz der hochkonzentrierten und spannungsgeladenen Umsetzung durch die Akteure, einige Durchhänger. Das gesamte Personal ist nur auf sich selbst und seine Probleme fixiert, so dass kaum Interaktion stattfindet, sondern alle Solisten an der Rampe stehen und mit traumatisiertem Gesichtsausdruck ihre Partie singen.

In Zusammenarbeit mit Bühnenbildnerin Aida Guardia entstehen immerhin eindrucksvolle Bilder. Bieito lässt Chöre gerne im Nebel, der von Gegenlicht durchflutet wird, auf der Bühne stehen und praktiziert dies auch in Freiburg. Im zweiten Teil des Abends befinden wir uns in einer Steinwüste. Nachteil dieser Steinlandschaft ist, dass sie fürchterlich unter den Füßen der Sänger knirscht. Ihr Vorteil ist, dass der Chor zu den Steinen greifen und mit diesen den Rhythmus des darauffolgenden Marsches klopfen kann.

Anderthalb Stunden steht Jin Seok Lee als Bösewicht Roger auf dem Steinhaufen mit ausgebreiteten Armen am Stacheldrahtkreuz und formt mit hellem und kraftvollem Bass ein sängerisch beachtliches Rollenporträt. Auch sonst überzeugt das Freiburger Ensemble: Giulio Peligra singt mit schön gefärbtem Tenor den gute Ritter Gaston. Sopranistin Anna Jeruc begeistert mit schwungvollen Koloraturen und dramatischen Aufschwüngen.

Freiburgs GMD Fabrice Bollon wählt ein düster dramatisches Klangbild, in dem die einzelnen Instrumentengruppen ihre Spieltechniken besonders stark akzentuieren. Dadurch werden die Farben der Instrumente noch über das bloße Spielen von Melodien, Akkorden und Rhythmen hinaus kräftiger in den Mittelpunkt gerückt.

Wer jetzt auf Verdis „Jerusalem“ neugierig geworden ist: Im März 2017 folgt eine Neuinszenierung im belgischen Liege. Wie man die dortigen Opernmacher kennt, kann man sich auf großes Ausstattungstheater freuen.

Rudolf Hermes 9.10.16

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