Hagen: „Everest“, Joby Talbot

Europäische Erstaufführung: 5. Mai 2018

Muß man gesehen haben….

Dem Hagener Theater ist ein echter Coup gelungen: Mit Joby Talbots „Everest“ zeigt das Haus die europäische Erstaufführung einer Oper, die 2015 in Dallas uraufgeführt wurde. Thema der 75-Minuten-Oper ist der Versuch zwei touristischer Expeditionen den Mount Everest am 10. Mai 1996 zu besteigen, wobei acht Teilnehmer ums Leben kamen. Dieses Ereignis wurde auch in mehreren Büchern (z.B. Jon Krakauer: In eisigen Höhen) und 1997 und 2015 (mit Keira Knightley, Jake Gyllenhall und Josh Brolin) verfilmt.

Dem in Oregon lebenden Komponisten gelingt das Kunststück eine Oper zu schreiben, die gleichzeitig zeitgenössisch klingt, dabei auf traditioneller Harmonik fußt und gleichzeitig emotional ist, ohne kitschig zu werden. Die Musik des Berges ist von tiefen Bläsern und kratzigen Perkussionsinstrumenten geprägt. Die Musik der Menschen hingegen besitzt viel melodische und harmonische Schönheiten, wird aber immer wieder von der Berg-Musik attackiert. Das Philharmonische Orchester Hagen spielt Talbots Musik unter dem Dirigat von GMD Joseph Trafton mit großem Ausdruck und emotionaler Spannung.

Librettist Gene Scheer konzentriert sich auf vier Figuren. Bergführer Rob Hall, der mit dem Touristen Doug Hansen den Gipfel besteigt, Halls Frau Jan Arnold, die hochschwanger in Neuseeland auf ihren Mann wartet und als weiteren Bergtouristen den von Depressionen belasteten Beck Weathers, der aus gesundheitlichen Gründen die Besteigung abbricht und mit schwersten Erfrierungen überlebt.

Zu erleben ist ein erstklassiges Ensemble: Musa Nkuma singt Rob Hall mit viel tenoralem Schmelz als wahre Belcanto-Partie. Als seine Frau Jan Arnold glänzt Veronika Haller mit strahlkräftigem Sopran. Kenneth Mattice singt Doug Hansen mit kernigem Bariton. Mit viel Noblesse und Eleganz gestaltet Morgan Moody den Beck Weathers. Ganz stark präsentiert sich auch der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Chor, der das Geschehen immer wieder kommentiert und die Figuren befragt.

Regisseur Johannes Erath, der in der laufenden Saison mit „Der Mieter“ in Frankfurt und „Manon“ in Köln bereits zwei starke Inszenierungen präsentiert hat, begnügt sich nicht damit die Geschichte platt nachzuerzählen. Ausstatter Kaspar Glarner hat ihm ein Sanatorium im „Zauberberg“-Stil entworfen und auch Glarners Kostüme siedeln die Inszenierung in den 20er Jahren an. Auf den ersten Blick verwundert das, und man fragt sich, ob der „Zauberberg“ als literarischer Verweis für dieses Bergsteigerdrama aus den 90er Jahren funktioniert?

Da Librettist Gene Scheer aber keine lineare Handlung erzählt, sondern sich die Geschichte mosaikartig aus vielen verschiedenen Szenen und Berichten und Rückblenden zusammensetzt, geht dieses Konzept bestens auf. Man befindet sich sozusagen in einer jenseitigen Gemeinschaft der „Opfer der Berge“, die von ihren Erlebnissen berichten.

Das Hagener Publikum zeigt sich von dieser Produktion begeistert, sogar Komponist Joby Talbot wird mit Bravo-Rufen und Standing-Ovations gefeiert. Wann erlebt man so etwas schon bei einer zeitgenössischen Oper? Diese Produktion muss man gesehen haben!

Rudolf Hermes 6.5.2018

Bilder (c) Theater Hagen

TRAILER der Weltpremiere der Dallas Opera (2015)

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