Hagen: „Hoffmanns Erzählungen“

Premiere am 30.11.2019

Der Intendant des Hauses, Francis Hüsers, hatte sich das Highlight der Spielzeit 2019/20 im Theater Hagen selbst vorbehalten, die Neuproduktion von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ aus Anlass des 200jährigen Geburtstags des Komponisten, dem in seiner Geburtsstadt Köln aufgrund des Jubiläums in diesem Jahr schon etliche Kränze geflochten wurden, nicht zuletzt mit der Aufführung und Wiederentdeckung der Oper „Barkouf oder ein Hund an der Macht“. Man durfte gespannt sein, welche Sicht Francis Hüsers auf Offenbachs bekannteste opera comique finden würde, die bei Offenbachs Tod unvollendet nur in einer Klavierfassung vorlag und deren beispiellosen Siegeszug nach der Uraufführung in Paris 1881 Offenbach nicht mehr selbst erleben konnte.

Das Libretto von Jules Barbier fußt auf einem von Jules Barbier und Michel Carré verfassten und 1851 uraufgeführten Stück, das auf verschiedenen Erzählungen E.T.A. Hoffmanns basiert, wie auf Der Sandmann, Rat Krespel oder die Abenteuer der Silvester-Nacht. In der Oper erzählt Hoffmann, in der traditionellen Deutung dieser Figur Inbegriff und gleichzeitig Klischee des romantischen, mit dem bürgerlichen Leben unversöhnlich entzweiten Künstlers, diese Geschichten selbst, in denen er seinen tragischen Liebesabenteuern mit der Puppe Olympia, der Sängerin Antonia und der Kurtisane Giulietta und der daraus erwachsenden Frage nachgeht, welche Bedeutung Sex, Erotik und Liebe in seinem Künstlerdasein
spielen.

Auf die unterschiedlichen Versuche, Offenbachs Kompositionsskizzen zu orchestrieren und zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk zusammenzufügen, kann hier nicht näher eingegangen werden. In Hagen spielt man die Fassung von 1907 (Choudens-Guirod), die auf Dialoge zugunsten von durchkomponierten Rezitativen verzichtet, den Giulietta-Akt wieder als 4. Akt einfügt und die Oper mit dem Epilog in Luthers Weinkeller enden lässt. Der Entstehungszeit dieser Fassung ist nun auch der Regieansatz von Francis Hüser verpflichtet. Die Handlung in Thomas Manns großem Zeitroman „Der Zauberberg“ setzt im Jahr 1907 ein, als die Titelfigur Hans Castorp nach Davos ins Lungensanatorium reist. Castorp erliegt der Faszination des Todes, begreift das Sanatorium als eine Art höllisches Paradies und gibt sich in einer Schlüsselszene des Romans dem Alkohol hin, als er der geheimnisvollen Madame Chauchat seine Liebe gesteht. Krankheit und Tod erscheinen im Zauberberg als notwendiger Durchgang zum Leben. Wer will, mag hier einige Ähnlichkeiten zwischen Hoffmann und Hans Castorp finden, schlüssig erscheint dieser Ansatz nicht. Da hilft es auch nicht, dass Motive und Accessoires aus dem Roman als Zitate aus dem Zauberberg in der Inszenierung auftauchen: das Grammophon, der Bleistift von Madame Chauchat oder der Tisch, an dem Hans Castorp einer spiritistischen Sitzung beiwohnt.

In der Inszenierung Hüsers findet eine solche Séance im Antoniaakt zwischen den drei Frauenfiguren statt, die Olympia, Nicola (Nicklause) und Giulietta verkörpern. Immerhin passt dies vom Motiv her, da Antonia in dieser Szene die Stimme ihrer toten Mutter heraufbeschwört. Insgesamt bleiben die Bezüge zum Zauberberg aber eher blinde Motive. Auch ein weiterer Regieeinfall überzeugt wenig. Olympia, Antonia, Giulietta und auch die in Nicola umgetaufte Muse des Librettos sind Freundinnen des hier und jetzt, die mit Hilfe ihres Freundes Lindorf eine Zeitreise in das Jahr 1907 unternehmen, um den Schriftsteller Hoffmann zu verführen. Zu Beginn sieht man alle vier an einem Tisch am Bühnenrand sitzen. Ihre Kleidung (Kostüme: Katharina Weissenborn) weisen schon auf ihre Rollen hin: so trägt Giulietta aufreizende Lackstiefel, dazu eine knallrote Jacke samt kesser schwarzer Schirmmütze, während z.B. Olympia ein eher braves, türkisfarbenes Kleid schmückt. Während der Akte sind die Freundinnen als Beobachterinnen immer anwesend und ermuntern sich auch hier und da gegenseitig, in ihrer Rolle zu bleiben. Natürlich sind sie nur für Hoffmann sichtbar, der in den halluzinierten Frauengestalten immer wieder Wesenszüge seiner Geliebten, der Sängerin Stella, beschwört. Hüser verspricht sich von diesem Regieeinfall „eine Konzeption…, die mit zwei Realitäten spielt. Die eine Realitätsebene ist eine heutige, die andere eine Welt aus dem Jahr 1907 … und man fragt sich: Wer beeinflusst hier eigentlich wen? Wer inszeniert wen?“ (Programmheft, S. 12 ff.).

Dieses intendierte Spiel mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen spielt aber in der Inszenierung in Wahrheit nur eine nebensächliche Rolle. Die allseits bekannte Handlung der Oper wird ohne Brechungen und Subtexte geradlinig nacherzählt. Das Einheitsbühnenbild von Alfred Peter zeigt zu Beginn einen eher schmuck- und farblosen Gaststättenraum zu Beginn des 20 Jahrhunderts mit einem gläsernen, apsiden Abschluss, der im Antoniaakt Ort der Séance ist, als Projektionsfläche für das Erscheinungsbild der toten Mutter dient und sich im Venedigakt zu einem Sternenhimmel öffnet. Mit nur wenigen Handgriffen werden so aus der Weinschänke ein Ballsaal (Olympiakt), das Sterbezimmer der Antonia oder eben ein angedeuteter Venedigschauplatz. Die farblich gedeckten Kostüme (z.B. Herren mit Stehkragen), Mobiliar und Accessoires verorten die Handlung in den Beginn des 20. Jahrhunderts, eine große School Clock, deren Zeiger sich vor- und zurückbewegen, soll wohl die unterschiedlichen Zeitebenen symbolisieren.

Personenführung und Choreografie (Eric Rentmeister) gelingen durchaus spannende und eindrucksvolle Momente, wenn z.B. im Olympiaakt die Ballbesucher lauernd um die Puppe herumschleichen und damit schon das desaströse Scheitern Hoffmanns in seiner Liebe zu einem seelenlosen Automaten vorausdeuten, oder wenn es der Olympiadarstellerin immer mehr gelingt, ihre Rolle als Puppe durch entsprechende Bewegungen auszufüllen. Andererseits erlebt man an diesem Abend aber auch leider viel Stehtheater. Immer wieder postieren sich die Figuren an der Rampe und singen ins Publikum, anstatt in Interaktion mit den anderen Personen zu treten. Das mag sängerfreundlich sein, wirkt aber doch eher
statisch.

Musikalisch kann dieser „Hoffman“ im Theater Hagen durchaus überzeugen. Das liegt vor allem an dem vorzüglichen Sängerensemble, aus dem der österreichische Tenor Thomas Paul in der Titelpartie herausragt. Er bleibt der Partie an tenoralem Glanz, an Stimmschönheit und Phrasierungskunst nichts schuldig und empfiehlt sich mit dieser Leistung als Hoffmann auch für große Häuser. Seine Auftrittsarie , die „Ballade von Klein Zack“, sang er mit expressiver Dramatik, aber auch wunderbar differenziert und mit lyrischer Intensität. Angela Davis als Antonia verfügt über einen dramatischen, in den tiefen und mittleren Lagen äußerst klangschönen Sopran. Ein paar eher scharfe und forcierte Spitzentöne fallen da kaum wertmindernd ins Gewicht. Christina Picardi brillierte mit gestochenen Koloraturen als Olympia, die vielgefragte Netta Or verlieh der Guilietta stimmlich und schauspielerisch die nötige Leidenschaftlichkeit und Expressivität. Auch Maria Markina als Muse/ Nicklausse/Nicola gefiel durch ihren warmen, in der Höhe aufblühenden Mezzo.

Dong-Won Seo verkörperte die bösen Männer mit nie nachlassender Bass-Bariton-Gewalt und konnte auch schauspielerisch dämonische Akzente setzen. Ivo Stánchev als Luther/Crespel, Richard van Germert in der karikierend-komischen Rolle als Franz, Marilyn Bennett als Stimme der Mutter, Kenneth Mattice als Herrmann/Schlemihl sowie Matthew Overmeyer als Nathanael und Boris Leisenheimer als Spalanzanai trugen mit gelungenen Rollenportraits zum musikalischen Erfolg dieses Abends bei.
Chor und Extrachor des Theaters Hagen (Wolfgang Müller-Salow) sowie das Philharmonische Orchester Hagen unter der Leitung von Joseph Trafton agierten mit großem Einsatz und großer Spielfreude. Die Hagener Philharmoniker klangen in der Charakterisierung der karikierend-komischen und expressiv-tragischen Elemente in Offenbachs herrlicher Musik immer dann am schönsten, wenn sie sich ganz in den Dienst einer eher verhaltenen und leisen Begleitung der Sängerinnen und Sänger stellten.

Das Publikum im leider nicht ganz ausverkauften Haus feierte alle Beteiligten mit lang anhaltendem, herzlichem Beifall. Und das völlig zu Recht!

Norbert Pabelick, 02.12.2019

Bilder (c) Theater Hagen

Weitere Aufführungen: 6.12./20.12./26.12.2019