Premiere: 28.04.2018, besuchte Vorstellung: 05.05.2018
Düsteres Duo
Lieber Opernfreund-Freund,
Sergei Rachmaninow ist bis in die heute nicht nur als Komponist schwülstig-expressiver und dazu noch verteufelt schwerer Klavierkompositionen in Erinnerung geblieben, sondern Dank der für RCA gemachten Aufnahmen auch als hervorragender Interpret nicht nur der eigenen Werke präsent. Im Liedfach gilt er noch als eine Art Geheimtipp, aber dass er auch Opern komponierte – derer inklusive der unvollendet gebliebenen „Monna Vanna“ sogar vier – ist weitestgehend vergessen. Das möchte das Theater Kiel ändern und zeigt derzeit zwei davon, seinen Erstling „Aleko“ und die Dantes „göttlicher Komödie“ entsprungene „Francesca da Rimini“, in einer düsteren und eindrucksvollen Inszenierung von Valentina Carrasco.
1892 als Examensarbeit am Konservatorium in St. Petersburg in nur 17 Tagen entstanden und nie mit einer Opuszahl versehen, erzählt „Aleko“ nach einer Dichtung von Alexander Puschkin eine Geschichte aus dem Zigeunermilieu, in der Aleko den Liebhaber seiner jungen Frau ersticht und sie gleich obendrein – und daraufhin von der Gemeinschaft ausgeschlossen wird. In „Francesca da Rimini“, zehn Jahre nach „Aleko“ uraufgeführt, überführt Lanciotto Malatesta seine Frau Francesca und seinen Bruder Paolo, die der Versuchung, Liebe und Verlangen im Jetzt nachzugeben, statt auf eine Vereinigung im Paradies zu warten, nicht mehr widerstehen können. Die Begegnung endet auch für diese beiden tödlich. Dazu hat Rachmaninow einen ausführlichen Prolog sowie einen Epilog komponiert, der Dante und den Geist Vergils in der Hölle umhergehen und die Quintessenz des Abends resümieren lässt: „Es gibt kein größeres Leid, als sich im Unglück an vergangenes Glück zu erinnern.“
Die Hölle, das ist also die Erinnerung – und so lässt Valentina Carrasco Pro- und Epilog der „Francesca“ gleich beide Operneinakter umarmen. Auf der pechschwarz glänzenden Bühne von Andrea Miglio, die zeitweise durch einen riesigen schwarzen Kubus ergänzt wird, schälen sich die Gestalten der Hölle aus ihrer Plastikummantelung, bleiben aber gesichtslose Hüllen und somit Platzhalter sowohl für Semfira und den jungen Zigeuner, als auch für Francesca und Paolo. Das hoffnungslos finstere Dunkel wird nur durch das sündig-rote Negligé, das beide Frauenfiguren tragen, das wie alle Kostüme von Barbara del Piano stammt und das sowohl auf der Bühne als auch in den gelungenen Videoeinspielungen von Julian Jetter und Frank Scheewe immer wieder auftaucht, unterbrochen; der erwähnte Kubus bricht nur in der intimen Szene zwischen Francesca und Paolo gleißend hell auf. Beide so ähnlichen Geschichten sind die Erinnerungen, die den Verdammten zur Qual werden und vor denen sie sich gerade im Moment ihres Unglücks nicht befreien können. Die Vermählung dieser beiden eigenständigen Werke zu einem großen Ganzen gelingt dem Produktionsteam vorzüglich, die starken Bilder hallen lange nach, was auch am ausgeklügelten Lichtkonzept liegt, für das Martin Witzel verantwortlich zeichnet.
Musikalisch unterscheiden sich beide Werke naturgemäß, handelt es sich doch beim „Aleko“ um die Komposition eines 19jährigen, während Rachmaninow fünf Jahre vor „Francesca da Rimini“ schon sein zweites Klavierkonzert vollendet hatte. Inhaltlich Bizets „Carmen“ nicht unähnlich, erinnert der Aufbau von „Aleko“ an Mascagnis „Cavalleria rusticana“ -nur eben mit russischer Seele. Er ist von ausufernden Instrumental- und intensiven Chorstellen durchzogen, ist eher Nummernoper als die reifere „Francesca, bei der sich die ariosen Stellen gleichsam aus dem klanglichen Stimmungsteppich erheben, den Rachmaninow seinem Werk ausbreitet. Die Gestaltung von solch unterschiedlichen Opern zu einer klanglichen Einheit stellt hohe Anforderungen an die musikalische Umsetzung – und das Künstlerpersonal meistert diese Aufgabe mit Bravour.
Allen voran bewältigt Jörg Sabrowski die Herausforderung, die beiden gehörnten Ehemänner zu verkörpern. Er legt den Aleko weicher an, zeigt eher die geschmeidige Seite seines warmen Baritons, während er als Lanciotto in einem Gänsehaut erzeugenden Monolog kraftvoll den desillusionierten, vor Eifersucht rasenden Feldherrn gibt. Die überwältigende Rossella Ragatzu zeigt umgekehrt als Semfira die selbstbewusste, von Konventionen emanzipierte Frau, während sie ihrem vollen und ausdrucksstarken Sopran als keusche Francesca eine unschuldige Klarheit beimischt. Yooni Baeks dunkel gefärbter Tenor ist durchaus höhensicher, vermag mich aber nicht anzurühren. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Koreaner unentwegt mit den Augen beim Dirigenten im Graben oder auf den Monitoren hängt – das kann nur einen unsicheren und wenig überzeugenden Eindruck hinterlassen. Im wahrsten Sinne tiefen Eindruck hingegen macht Chorsolistin Anka Perfanova mit ihren wenigen Sätzen als alte Zigeunerin. Da hätte ich gerne länger zugehört. Gleiches gilt für den italienischen Bass-Bariton Matteo Maria Ferretti, der als Vergils Schatten überzeugt. Und auch Timo Riihonen als Semfiras Vater wuchert mit der Tiefe seines ausdrucksvollen Basses, wechselt gekonnt zwischen Kraft und Gefühl und macht die Solistenriege im besten Wortsinne komplett.
Der Chor muss im „Aleko“ eher liedhaft-konventionell daherkommen, während er in der „Francesca“ mystisch, ja fast sphärisch klingt, wenn er die jammernden Seelen in der Hölle mimt. Lam Tran Dinh hat genau das herausgearbeitet und spornt die Damen und Herren zu Höchstleistungen an, die ebenso viel zu tun haben, wie die Mitwirkenden der Bewegungsstatisterie, die Weh und Leid der Lebenden ebenso überzeugend darstellen wie das der Toten. Göttlich! Daniel Carlberg hält im Graben die Fäden zusammen, bekommt zwar das wackelige Blech nicht immer in den Griff, präsentiert aber den „Aleko“ solide und die wesentlich schroffere „Francesca da Rimini“ mit höchster Expressivität und voller musikalischer Wucht.
Also gibt’s von mir eine uneingeschränkte Empfehlung. Lassen Sie sich diese Raritäten im Doppelpack nicht entgehen. Es lohnt sich!
Die Fotos stammen von Olaf Struck und zeigen teilweise die Alternativbesetzung.