Kiel: „Der Freischütz“, Carl Maria von Weber

© Olaf Struck

Schon zum Ende der vergangenen Spielzeit hatte diese Produktion in Kiel Premiere und ist in der laufenden Spielzeit als Wiederaufnahme zu sehen. Inszenierung und Bühne stammen vom französischen Regisseur Jean-Romain Vesperini, der mit diesem Werk sein Deutschland-Debüt gibt. Das Phantastische an diesem Stoff reizt den Franzosen sehr und entsprechend bietet er dem Publikum ein ständiges Wechselbad zwischen Realität und einem gruseligen Albtraum. Zu Beginn sieht man Max auf einem Tisch (dies könnte genauso gut eine Liege in der Psychiatrie oder sein Bett, in dem er seine Visionen durchlebt, sein). Gerade in der Zeit um Halloween passt diese Interpretation hervorragend und insgesamt habe ich eine Aufführung erlebt, in der traditionelle Sehgewohnheiten ebenso bedient werden, wie der Anspruch, mitreißendes zeitgemäßes Musiktheater zu erleben.

Statt auf ausgeprägten Aktionismus setzt Vesperini in Kiel auf stilisierte Bewegungen und große Gesten, die die plakativen und surreal überzeichneten Charaktere zum Besten geben. Dabei wird uns Zuschauern eine Gruselgeschichte in bester Horror-Manier erzählt, die durch die meist dunklen und optisch stets ansprechenden Videoinstallationen von Étienne Guiol und Wilfrid Haberey, und die sensible Lichtgestaltung von Christophe Chaupin hervorragend untermalt wird. So kommt das Regie-Team auf der Bühne mit nur drei Baumstämmen und wenigen Requisiten aus und muss dennoch keine Abstriche in puncto Opulenz machen. Die Kostüme von Alain Blanchot sind hingegen sehr aufwändig gestaltet und äußerst fantasievoll. Die Maske hat in dieser Produktion auch sehr viel zu tun, denn die die meisten Akteure auf der Bühne erwecken den Eindruck, sie seien gerade aus dem Zombie-Land oder der Geisterbahn entsprungen.

© Olaf Struck

Gesanglich überzeugen mich in dieser sehr gut besuchten und stark beklatschten Nachmittagsaufführung vor allem die hohen Stimmen. Allen voran Michael Müller-Kasztelan als Max, dessen jugendlicher Heldentenor stets präsent und nie forciert klingt. Dabei trumpft er nicht durch eine übertriebene Lautstärke auf, sondern überzeugt souverän durch klugen Einsatz seines vokalen Materials, mit dem er auch in großen Ensembleszenen stets präsent bleibt. Als Agathe sprang kurzfristig Adréana Kraschewski in die Produktion ein. Sie begeistert mit ihrem sehr schönen warm klingenden Sopran. Trotz ihres angenehm samtigen Klangs kann sie sich auch in dramatischen Momenten mühelos behaupten. Ebenfalls ein absoluter Pluspunkt dieser Besetzung ist Bryndís Guðjónsdóttir als Ännchen. Wie die zuvor genannten Protagonisten auch, überzeugt sie durch unforcierten Gesang, der stets über das Orchester strahlt. Darüber hinaus darf sie schauspielerisch etwas lebhafter agieren als Agathe, der eine recht statische Interpretation auferlegt wird.

Die übrigen Solisten haben es manchmal schwer, sich gegen die Musiker im Graben zu behaupten. Kaspar ist bei Matteo Maria Ferretti in guten Händen, jedoch wäre es manchmal schön, wenn das Dämonische in seiner Stimme noch mehr Durchschlagkraft hätte. Dies würde auch den vom Schnürboden herab erscheinenden Eremiten (Oleksandr Khralamov) aufwerten, die schauspielerisch keinerlei Möglichkeiten gegeben sind, zu punkten. Den Ottokar gibt Samuel Chan, Kilian wird von Konrad Furian gesungen. Junggeun Choi erleben wir als Kuno und Schauspieler Achim Buch spielt den Samiel.

© Olaf Struck

Homogen und optisch erfrischend singen und spielen Sophia Bamberg, Carolina Glander, Karlotta Godenir, Hilke Lohmann, Marie Florine Rickers, Lisann Rickert, Beke Schnack und Julie Thode die Brautjungfern. Der Opern- und Extrachor des Theaters Kiel in der Einstudierung von Gerald Krammer trägt signifikant zum vokalen Erfolg bei und das Philharmonische Orchester Kiel spielt konzentriert und mit einer gesunden, nicht ins Kitschige abgleitenden Portion Waldromantik unter der Leitung von Daniel Carlberg.

Unbedingt sehenswert.

Marc Rohde, 29. Oktober 2024


Der Freischütz
Carl Maria von Weber

Theater Kiel

Vorstellung am 28. Oktober 2024
Premiere am 8. Juni 2024

Regie: Jean-Romain Vesperini
Dirigat: Daniel Carlberg
Philharmonische Orchester Kiel