Kiel: „La Traviata“

Emotion pur!

Was ist schon alles über „La Traviata“ geschrieben worden, angeblich beliebteste Oper weltweit, als Schmachtfetzen verhöhnt,einziger intellektueller Tupfer bei „Pretty woman“, als Emotion pur geliebt. Fakt ist, dass Verdi ein berührendes Meisterwerk abgeliefert hat, dass für drei Hauptpersonen genug Gelegenheit gibt, sich voll einzubringen. Nun also im Opernhaus Kiel, eine „normale“ Repertoire- Aufführung, Premiere war im September 2012. Die Qualität eines Hauses zeigt sich ja nicht nur am Premierenabend, sondern vielmehr im alltäglichen Betrieb. Und welches Magazin, ausser dem „Opernfeund“, berichtet schon darüber?

Regie führte Uwe Schwarz, der die Produktion nach dem tragischen Tod von Thomas Wünsch übernahm. Zusammen mit dem Bühnenbildner Heiko Mönnich gelang eine perfekte Symbiose zwischen traditionell und modern. Oeffnet sich der Vorhang, sieht man ein komplettes Opernhaus mit Rängen, Parkett und Bühne, das aber schon sehr viel bessere Zeiten erlebt haben muss. Alles ist dunkel, morbide und angeschlagen. Ein toller Einfall ist die Tanzeinlage zur Ouvertüre (Sonia Dvorak und Sebastian Grundler), die perfekt zur Musik passt und schon etwas von Abschied und Tod suggeriert. Und die Leistung der Regie besteht darin, auch abgebrühte Opernvielseher und Nörgelkritiker so zu fesseln, dass man gespannt und ergriffen der Handlung folgt. Die Personenführung war sehr präzise und überlegt. Grossen Beitrag daran hat auch die ausgefeilte Lichtregie. Die Szene im 3. Akt, in der man durchs Fenster die Karnevalsmusik hört, habe ich noch nie so packend gesehen: die vorher trist- dunkle Bühne in grelles Rot getaucht, Violetta reglos auf dem nackten Boden, dazu die zwei Tänzer mit einer geradezu gespenstischen Einlage.

Nun wird natürlich auch gesungen, aber wie! Ekaterina Isachenko, dem Kieler Publikum als Gast in diversen Produktionen bekannt, lieferte sängerisch und schauspielerisch eine Glanzleistung ab. Wie sie es schaffte, diese Frau zwischen unbändiger Lebensgier und Krankheit dem Publikum nahe zu bringen, verdient Hochachtung. Hinzu kommt ihr erstklassig geführter Sopran, der jede Tücke der Partitur meisterte. Ihr „E strano“ geriet zu einem der Höhepunkte des Abends. Bei ihrer Sterbeszene, eingewickelt in den heruntergerissenen Bühnenvorhang, herrschte atemlose Stille im Opernhaus. Erst nach einer ergriffenen Pause brach der Beifall los.

Sorgen machte man sich im 1. Akt um Yoonki Baek, der den Alfredo sang. Allzu verhalten, geradezu verschüchtert begann er die Partie, was besonders dem Brindisi sehr schadete. Gerade diese Nummer muss doch bei der „Traviata“ sitzen. Ab dem 2. Akt hatte er sich gefangen und lieferte eine solide Leistung ab. Gleichwohl, sein Abend war es nicht.

Als Giorgio Germont ist Tomohiro Takada, Ensemblemitglied in Kiel, vorgesehen, doch er sang an diesem Abend den „Don Giovanni“ am Stadttheater Bremerhaven. Seine Rolle übernahm der italienische Bariton Elia Fabbian, den die Kieler noch in bester Erinnerung als Scarpia in der diesjährigen open-air „Tosca“ hatten.

Und enttäuschte sein Publikum nicht! Die Szene Violetta/ Giorgio im 2. Akt wurde so eiskalt von ihm dargestellt, dass man fast körperliches Unbehagen verspürte. Sein sattes Timbre, sein in allen Lagen perfekt sitzender Bariton begeisterte. Ein, und das ist nur positiv gemeint, Routinier, der die Rolle perfekt beherrscht.

Hervorgehoben werden muss, natürlich, der Kieler Opernchor, von Barbara Kler gewohnt hoch klassig einstudiert.

Die Kieler Philharmoniker wurden von Leo Siberski, dem 1. Kapellmeister im Haus an der Förde, klanggewaltig und einfühlsam geleitet. Grossartig, wie er es schaffte, auch in den sehr melodischen Momenten immer einen leicht morbiden Klang einzubringen, dabei aber auch mit dem nötigen Mut, die expressiven Passagen schmissig, mit dem richtigen Gefühl für Verdi, spielen zu lassen.

Ein rundum gelungener Abend, für den sich das Publikum im fast ausverkauften Opernhaus mit Ovationen für alle Beteiligten bedankte. Und ein erneuter Beweis für die Leistungsfähigkeit und hohe Qualität unserer „kleinen“ (Entschuldigung, Herr Karasek!) Häuser!

Claus Brandt
Bilder: Olaf Struck