Koblenz: „Der Freischütz“

Ein Bilderbogen im grauen Irgendwo mit bunten Kostümen

„Erste deutsche Nationaloper“ nannte man früher gern den Freischütz. Die Hauptrolle in diesem Werk wird immer noch dem deutschen Wald zugeschrieben, der durch die Partitur geistert: Romantik pur. Auch davon will man heute nicht mehr so viel wissen; „national“ passt nicht mehr, die „romantische“ Oper hat Richard Wagner auf dem Gewissen, besser gesagt: er hat sie letztlich museal gemacht, obwohl er ein großer Anhänger von Weber gewesen ist und Honig aus seiner Musik gesaugt hat. Den Freischütz kann man heute nicht mehre traditionell inszenieren, sagte der Regisseur Raik Knorscheidt, um auf seine eigenartige Freischütz-Regie in Würzburg vorzubereiten. Kann man nicht? Können vielleicht heute nur noch die allerbesten des Inszenierungsmetiers. Aber das Publikum erwartet im Blick auf die vielen potentiellen Peinlichkeiten einer weniger gekonnten konventionellen Regiearbeit eine solche auch gar nicht mehr.

In der Mitte: Evgeny Sevastyanov (Kuno); Statiaterie, Chor

Philipp Kochheim, als Oberspielleiter am Staatstheater Darmstadt einst vom Intendanten John Dew entsorgt, weil er dessen konventionell gewordene Sicht auf den Opernbetrieb nicht mittragen wollte, und inzwischen Operndirektor am Staatstheater Braunschweig, legt nun mit dem Freischütz seine dritte Regiearbeit am Theater Koblenz vor. Ganz sicher würde er keine grünen Jäger und keinen grünen Wald in Szene setzen. Aber dennoch wirkt seine Arbeit trotz anderer Farben (s.u.) bis in den zweiten Akt („Vorsaal mit Seiteneingängen im Forsthaus“) eher konventionell und nahe am Libretto (Ännchens Spinnrad ist eine Nähmaschine!) und weist kaum Reibungen mit dem Text auf, was nur teilweise daran liegt, dass die gesprochenen Dialoge stark eingekürzt und (ohne jeden Mehrwert) zum Teil umgetextet wurden. Auch einige ironisierende Verfremdungen können diesen Eindruck nicht beseitigen. Die Personencharakterisierung ist teilweise originell; es findet auch stets Bewegung auf der Bühne statt, aber insgesamt bleiben die Regieeinfälle eher flach. Kochheim gibt dem Samiel einen prologartigen Monolog zu Beginn, kleidet ihn in zitronengelb und umgibt ihn mit vier Nebenteufelchen, die hier und da die Szene aufmischen.

Wolfsschlucht: Statistin, Bart Driessen (Kaspar), Michael Zabanoff (Max)

Aber im ersten Bild des zweiten Akts gibt es dann doch einen Aufreger. Agathe legt sich auf ein Bett und hat vor ihrer Arie („Leise, leise“) zu einem weiteren eingefügten Samiel-Text einen Alptraum mit Maschinengewehrfeuer in einem heftigen Gewitter, schon ehe es heißt „Nur dort in der Berge Ferne, scheint ein Wetter aufzuziehn“. Agathe ist in dieser Inszenierung nicht das leidende Heimchen, sondern eine selbstbewusste eigenständige Frau. An Max‘ Lügen von einem in der Wolfsschlucht erlegten Hirsch glaubt sie zu keinem Moment. „Hau nur wieder ab“, scheint sie ihm zu sagen – und packt selbst ihren Koffer. In der Wolfsschlucht hat es einen Waldbrand gegeben. Verkohlte Baumreste (Bühne: Thomas Gruber) stehen auf der Bühne. An denen wird eine Frauengestalt, die Agathe ähnelt, festgebunden. Die sieben Freikugeln schneidet Kaspar ihr aus dem blutenden Leib. Ansonsten beherrschen große verschiebbare graue Wände das Bühnenbild: bloß kein Grün! Das könnte überall spielen. Im nächsten Bild wird die Peinlichkeit des Brautjungfern- „Bandwurms“ (Heinrich Heine) im Original vermieden, indem er sowohl dramaturgisch als auch musikalisch zu einer ebenso peinlichen Comedy-Szene umgestaltet wird. Es gibt keine Schachtel mit einer schwarzen Totenkrone; folgerichtig gibt es auch die „weißen Rosen des Eremiten“ nicht; der Rest der Handlung entbehrt damit eines wesentlichen logischen Elements (Dramaturgie: Christiane Schiemann) und wirkt klamaukig.

Susanna Pütters (Agathe); Hana Lee (Ännchen)

Im letzten Bild macht Kochheim eine Anleihe bei Konwitschny. Zu den Worten des Chors: „ist männlich Verlangen, erstarket die Glieder“erlegen die Jäger (hier nur) eine Maid und schleppen sie wie einen erlegten Hirsch fort. Zum guten Schluss nach der Wendung durch den Eremiten wie in einer alten seria versammelt man sich zum Jubelensemble an der Rampe, wobei sich die vier Teufelchen hindurchdrängen und das Gesungene durch ihr Mienenspiel in Frage stellen. Das wäre ein gelungener ironischer Schluss der Oper gewesen. Aber die Regie lässt Agathe zum Schluss noch siegestrunken ein Gewehr schwenken – ebenso überflüssig wie deplatziert. Gewehre allerdings wurden währen der Oper dauernd von jedem auf jeden gerichtet; aber nur einmal dramaturgisch originell, als Agathe es drohend auf den Fürsten richtet, der ihren geliebten Max verbannen will. Gesamteindruck der Regie: sehr durchwachsen. In dieser wenig kohärenten Inszenierung, die kein Grundkonzept erkennen lässt, stört dennoch nichts wirklich – bis auf die Geschmacklosigkeit des Kugelgießens. Mathilde Gebrot hat für Chor und Protagonisten einfallsreiche, hübsche Kostüme entworfen. Die Frauen in Fantasietracht in Rot bis Orange, die Männer, selbst die Jäger in Rot bis Braun, die Teufel in Gelb. Grün kommt lediglich bei den beiden Solistinnen vor: giftgrüne Unterwäsche.

Susanna Pütters (Agathe); Evgeny Sevastyanov (Kuno) Christoph Plessers (Ottokar)

Größere Kohärenz gab es bei den musikalischen Leistungen. Mit einer eher kleinen Besetzung von knapp vierzig Musikern hatte das Staatsorchester Rheinische Philharmonie im Graben Platz genommen; absolut genügend für den kleinen Theatersaal. Enrico Delamboye führte den Stab zu einem recht kantigen Dirigat, dem wohl manchmal die Geschmeidigkeit bei den Übergängen fehlte, das aber insgesamt durch Frische und Inspiration überzeugte. Besonders schön wurden die Färbungen der teilweise solistisch herausgehobenen Holzbläser gestaltet. Den Hörnerschall zu Beginn des dritten Akts hätte man indes besser einspielen sollen. Bei seiner Wiederholung zum Jägerchor gelang er etwas besser. Als Zwischenszenenmusik im dritten Akt wurden Teile aus der „Aufforderung zum Tanz“ gespielt. Musikalisch sehr schön und extra (an der falschen Stelle) beklatscht, aber warum: diese brillant heitere Musik vor dem düsteren Geschehen der letzten Szene. Den stärksten Eindruck an diesem Abend hinterließen Chor und Extrachor, bestens von Ulrich Zippelius einstudiert; auch bewegungsmäßig waren die Chöre gut gefordert; völlig Zu Recht erhielten sie Bravo-Rufe beim Schlussapplaus.

Jongmin Lim (Eremit); Christoph Plessers (Ottokar)

Auf der Bühne agierte ein solides Sängerensemble. Hana Lee gab ein quicklebendiges Ännchen technisch sauber, mit schlanker, beweglicher Stimme und bestätigte wieder einmal die gute Entwicklung, die sie am Theater Koblenz genommen hat. Susanna Pütters gefiel mit exquisiter Bühnenerscheinung als Agathe, die sie sauber mit ihrem klaren, gut geführten, kräftigen Sopran gestaltete; über die warme Grundierung dieser Rolle verfügt sie indes noch nicht, und sie ließ ihre Stimme nicht frei schwingen. Michael Zabanoff sang als Gast den Max. Er verfügt über ein sehr kräftiges, schön eingedunkeltes Tenormaterial, mit welchem er die Max-Arie mit dem Brustregister tadellos bewältigte. Mit hervorragender Bühnenpräsenz und großen schauspielerischen Können hatte Bart Driessen als Kaspar die besten Voraussetzungen für den Bösewicht, den er mit seinem kräftigen hellen Bass auch stimmlich überlegen gestalten konnte. Fast konnte man Sympathie für ihn empfinden. Marco Kilian (nomen est omen) gab einen stimmlich und darstellerisch beweglichen Kilian. Etwas hölzern wirkte Evgeny Sevastyanov als Förster Kuno, von derf Regie als Wendehals inszeniert; sein kräftiger sonorer Bass war deutlich muttersprachlich eingefärbt. Mit vollem, rundem Bariton gefiel Christoph Plessers als Fürst Ottokar. In zotteliger grauer Kutte trat zum Schluss Jongmin Lim als Eremit auf und begeisterte in dieser (leider) kleinen Rolle mit strömendem, mächtigem Bass. Für das ulkig inszenierte Quartett der Brautjungfern waren mit Michèle Silvestrini, Sieglinde Coudert, Eva Krumme und Suk Westerkamp (überwiegend Chorsolisten aus dem Koblenzer Opernchor) durchaus reizende Sopranstimmen aufgeboten. Alle Sänger boten eine gute Textverständlichkeit, so dass zu Recht auf die Übertitelung verzichtet werden konnte. In der aufgebohrten Sprechrolle des Samiel agierte Felix Meyer mit überwiegend hoher Lautstärke und nicht immer gut textverständlich. Die Darsteller der vier Nebenteufel sind im Programmheft nicht benamt. Wenn es sich um „normale“ Statisten gehandelt haben sollte, dann gebührt ihnen einen Sonderlob für ihre Bewegungen und vor allem den getanzten Walzer aus dem ersten Akt, womit die Regie eine Volksszene vermied.

Wie der herzliche, lang anhaltende Beifall aus dem sehr gut besuchten Haus bewies, kam die Aufführung beim Publikum an. Die fast dreistündige Vorstellung kommt vom 13.11.13 bis zum 20.02.14 noch acht Mal.

Manfred Langer, 14.10.13

Fotos: © Matthias Baus für das Theater Koblenz