Krefeld: „Die Lustigen Weiber von Windsor“

All you can Eat

Besuchte Vorstellung: 18.12.2013 (Premiere in Mönchengladbach 31.05.13, in Krefeld am 13.10.13)

España por favor: Vergnügliches aus einem spanischen Ferienhotel

Die deutsche Spieloper des Biedermeier mit seinen romantischen Bezügen ist heute dem Publikum nicht mehr so leicht zu vermitteln. Otto Nicolai wird heute als Gründer der Wiener Philharmoniker (1842) vielfach mehr Gewicht beigemessen denn als Komponist. Musikkritiker würdigen seine Mittelrolle zwischen der deutschen Musiktradition und dem italienischen Belcanto. Von seinem kompositorischen Schaffen finden heute nur noch seine Lustigen Weiber von Windsor Beachtung, die aber völlig zu Recht in der Aufführungsfrequenz weit hinter denen des von Verdi als Falstaff vertonten gleichen Stoffs zurückbleiben. Sicher liegt das zum Teil auch an der eklektischen Musik von Nicolai, aber vor allem am schwächeren Libretto von Salomon Hermann Mosenthal im Vergleich zu Arrigo Boitos Einrichtung des Stoffs für Giuseppe Verdi, der in seinem Alterswerk zudem zu einem für ihn ganz neuen Musikstil gefunden hat.

Frau Reich, Frau Fluth

Im Programmheft wird erwähnt, dass einer der Gründe des Theaters Mönchen-Gladbach/Krefeld zur Aufnahme der Oper in den Spielplan gewesen ist, dass man derzeit im Ensemble die geeigneten Interpreten bei der Hand habe. Das sei unbestritten (s.u.), aber es reicht wohl zur Begründung der Programmierung nicht aus. Denn Tatsache ist auch, dass das Regietheater bei der deutschen Spieloper zu wenige Ansatzpunkte zur Psychologisierung (d.h. allerdings häufig einfach nur Dekonstruktion) oder einer neuen Innensicht des Stoffs gefunden hat. Der Regisseur Andreas Baesler sucht diesen Ansatz gar nicht erst, sondern schafft, damit das Publikum sich nicht langweile, eine originelle Außensicht des Stücks. „Komisch-fantastische“ Oper in drei Akten nennt Nicolai sein Werk. das „Fantastische“ bleibt bei Baesler zwar auf der Strecke (Hernes Eiche wird nun eine Zimmerpalme, noch besser wäre ein Gummibaum gewesen…), aber mit dem Komisch-Komödiantischen kommt der Zuschauer voll auf seine Kosten.

Gruppenbild mit John Falstaff

Baesler verlegt die Handlung aus der Themsestadt Windsor in ein Hotel Windsor irgendwo nach Spanien in eine deutsche Urlaubskolonie, wobei der Name des Hotels ein Zugeständnis ans Libretto ist, denn Engländer zeigen sich von diesem Hotel nicht angezogen. Dafür aber ein Haufen von deutschen Pauschaltouristen einer nicht allzu weit zurückliegenden Gegenwart, die in Kleidung so bunt wie in ihrer Amüsierlust groß ist. Der zieht mit Getöse in das Hotel ein. Alle können auch schon ein paar Brocken Spanisch und wissen, dass man dem Personal herablassend auf die Schultern klopft. Falstaff, ein sich unwiderstehlich fühlender Endfünfziger, war schon vorher angereist; in der Lobby schläft er gerade seinen Rausch aus. Damit alles passt, haben der Regisseur und die Dramaturgin Ulrike Aistleitner eine neue Dialogfassung erarbeitet, die zusammen mit dem Bühnengeschehen dem aufgedrehten, aber dennoch etwas spießigen deutschen Urlaubsvolk einen gutmütig-ironischen Spiegel vorhält. Da braucht man sich kaum noch am Text zu reiben und kann eine vergnügliche und unterhaltsame Komödie in Szene setzen – Ähnlichkeiten zur Fortsetzungsreihe einer Fernseh-Soap sind rein zufällig.

Die Ruhe vor dem (Herne-)Sturm

Das passende prächtige und detailverliebte Bühnenbild dazu hat Harald B. Thor entworfen. Aus einer kleinen Hotelhalle mit Rezeption und Bar („Hernes Eiche“), einer Sitzgruppe und ein paar Zimmerpflanzen hat man durch eine Fensterflucht Ausblick nach hinten auf eine Terrasse neben dem Schwimmteich und ein paar bewaldete Hügel. Auf der zweiten Etage befindet sich die Zimmerflucht des Dreisternehotels im Geschmack der 70er Jahre. Zum Szenenwechsel wird seitlich eine Hotelzimmersuite hereingeschoben. Das Volk und die Darsteller tummeln sich in den bunten abwechslungsreichen Kostümen von Tanja Hofmann. Die Ehepaare Fluth und Reich, letzteres mit dem Töchterchen, der „holden Anna“, sind auch unter den Urlaubsgästen, die Verehrer Dr. Cajus und (Junker) Spärlich sind ebenfalls mitgereist. (Sir) John Falstaff ist nicht auf Geld aus, sondern eher auf sexuelles Vergnügen. Fenton ist der Tennislehrer des Etablissements und hat sich auch in die deutsche Touri-Tochter verliebt. Der notorische Wäschekorb ist ein rollbarer Wagen mit de Bettwäsche des Hotels. Mit diesem Konzept kann die Regie jederzeit mit aus dem Alltag gegriffenen zusätzliche Figuren die Handlung aufmischen. Es sind alle Zutaten für einen abwechslungsreichen Abend gegeben, in dem die Handlung völlig stimmig und mit vielen spritzigen Regieeinfällen ablaufen kann, Albernheiten nicht ausgeschlossen. Der Abend kulminiert in der fulminanten Szene bei der Herne-Eiche, die Baesler als spätabendliches Gästeamüsement (Ringelpietz mit Anfassen) und Wahl der Miss Hotel inszeniert. Wenn man selbst nie in Spanien Inklusiv-Urlaub macht, ist das besonders amüsant, wenn aber doch, dann kann es durch die gut beobachteten Szenen zu Wiederkennung kommen. Alles in allem eine sehr gelungene Regiearbeit! Das quirlige Bühnengeschehen entschädigt zudem für einige Längen in der Partitur; auf über drei Stunden Gesamtzeit kommt der Abend.

Anna Reich, Dr. Cajus, Herr Reich

Zur Tiefe neigt der Abend auch musikalisch nicht. Denn die Partitur des schon mit 39 Jahren verstorbenen Otto Nicolai, der ganz zu Recht als Wanderer zwischen den Welten der italienischen Belcanto-Oper und der deutschen Musik geführt wird, hat einen freundlich leichten Duktus, in welchen Nicolai, der im Hauptberuf Dirigent war, eine Reihe von Einflüssen verarbeitet hat: von den italienischen Belcantisten, von Beethoven, Weber und Mendelssohn. Interessant ist, dass diese Musik der guten Laune dem späteren (wesentlich einfacheren, aber ebenso inspirierten) Operettenstil von Johann Strauß schon ein Vierteljahrhundert vorausgreift. So vermittelten es jedenfalls die gut aufgelegten und schwungvoll aufspielenden Niederrheinischen Sinfoniker unter der Stabführung von Alexander Steinitz, erstem Kapellmeister am Theater Krefeld-Mönchengladbach. Die Ouvertüre klang noch ein wenig schwammig, aber im Verlauf kam das Dirigat inspiriert und griffiger daher und folgte den differenzierten Anforderungen der Partitur von romantischem Hornklang, pfiffigen Toneffekten und rasanten „Rossini“-Passagen. Klangschön und präzise agierte der von Maria Benyumura und Ursula Stigloher einstudierte Chor des Theaters.

Chor

Das neunköpfige Solistenensemble des Theaters bewegte sich durchweg auf geschlossen hohem Niveau, so dass sich Einzelkritiken fast erübrigen würden. Hervorzuheben bleibt aber Matthias Wippich als Falstaff, der weniger mit seiner Leibesfülle als mit seiner stattlichen hochgewachsenen Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich zog. Bauch war in Baeslers Lesart auch gar nicht angezeigt (anders als beim Verdi-Falstaff, wo dem Bauch eine der Hauptrollen zugedacht ist). Wippich begeisterte mit seinem Spiel und seinem bis in die Tiefe kräftigen runden Bass. Debra Hays gab eine schauspielerisch wie gesanglich sehr bewegliche Frau Fluth. Ihr leicht ansprechender Sopran glitzerte in der Höhe und überzeugte mit den leicht geführten Koloraturen. In der Rolle ihrer Freundin Frau Reich setzte Susanne Seefing ihren sehr gefälligen, schlanken und hellen Mezzo ein. Rafael Bruck polterte mit seinem kernigen Bariton überzeugend als der eifersüchtige Herr Fluth herum; die wesentlich kleinere Rolle des Herrn Reich gab Andrew Nolen mit festem kernigem Bassbariton. Vom Opernstudio Niederrhein stieß Andrey Nevyantsev als Fenton zum Ensemble und gefiel mit seinem gut geführten, bronzenen Tenormaterial, in einigen Höhen aber noch etwas bemüht klingend. Ebenfalls vom Opernstudio kommend sang Lisa Katerina Zimmermann die Anna Reich. Zwar gefiel ihr kräftiger dramatischer Ansatz stimmlich, der war aber nicht unbedingt rollentypisch. Die beiden komödiantischen Figuren waren mit Gereon Grundmanns Bass als Dr. Cajus und Markus Heinrichs hellem Tenor als Junker Spärlich adäquat vertreten.

Der Abend war nur mäßig besucht. Auffallend war die quasi Nicht-Anwesenheit jeglichen jungen Publikums. Der Beifall der Anwesenden für die gelungene Produktion war indes lang anhaltend und herzlich. Nun noch am 21.12.13, am 21. und 31.01.14 sowie am 14.02. und 11.03.14

Manfred Langer, 20.12.2013

Fotos: Matthias Stutte