Münster: „Die Csárdásfürstin“

Premiere 2. Dezember 2017

Glücklich ist, wer vergißt…

Regietheaterliche Konzepte wählten in letzter Zeit mehrfach teilweise oder ganz medizinische Einrichtungen als Spielorte. Beispielhaft für viele seien genannt Sanatorium (etwa „Rosenkavalier“ in Frankfurt), Hospital (etwa „Titus“ in Salzburg), psychotherapeutische Behandlung (etwa „Carmen“ in Aix-en_Provence) oder medizinisches Labor (Webers „Oberon“ in München).

Seit der provokativen Inszenierung von Peter Konwitschny in Dresden im Jahre 2000 wird in Emmerich Kálmán`s Operette „Die Csárdásfürstin“ auf einen Text von Leo Stein und Béla Jenbach der erste Weltkrieg auf der Bühne sichtbar, wohl wegen der Uraufführung im Jahre 1915 – „Zeit: Gegenwart“ heißt es im Libretto. Zudem lassen sich einige der populären Gesangsnummern als Verdrängung von Angst vor drohender Katastrophe interpretieren. Andere machten es ähnlich, wenn auch diskreter, wie vor einigen Jahren am Opernhaus Dortmund. (Dagegen vermied man am Theater Rostock, wo das Stück einen Tag vor Münster Premiere hatte, das Thema Krieg ganz.)

Beide genannten Regiekonzepte versuchte Mareike Zimmermann bei ihrer Inszenierung in Münster zusammenzuführen, indem sie die „Csárdásfürstin“ als Einheitsbühnenbild in einem während des ersten Weltkriegs zum Lazarett umfunktionierten prächtigen Theatersaal spielen ließ (Bühne Bernd Franke). Der stellte hier das frühere „Orpheum“, den Spielort des ersten Aktes dar.

Als Truppenbetreuerin durch die Kriegslazarette tingelnd traf Sylva Varescu am Klavier begleitet vom früheren Freund Feri im Jahre 1917 dort auf ihren alten Bekannten Graf Boni, der wegen eines Armbruchs sich im Lazarett aufhielt. So sang Sylva ihr Auftrittslied auf der Bühne des Theaters, die ersten Gesangsnummern mit den „Mädis vom Chantant“ erklangen dann im Lazarettsaal begleitet und getanzt vom Chor der Krankenschwestern und Verwundeten, letztere mit Krücken, Verbänden oder bettlägerig. (Choreografie Tomasz Zwozniak) Der Feststellung darin, die „Liebe nicht so tragisch“ zu nehmen, erinnerte ganz im Gegensatz dazu Sylva an ihre frühere „dumme Liebe“ zu Edwin. Als Rückblende spielte sich dann die folgende bekannte Handlung im zum Ballsaal verwandelten Lazarett ab unterbrochen von Szenen im ursprünglichen Lazarettsaal. Das wurde zum einen durch Wechsel der Beleuchtung erreicht, zum anderen durch schlagartiges Umklappen der Lazarettkleidung von Chor und Solisten in Ballkleider und Uniformen (Kostüme Isabel Graf). Edwin auf einem Holzpferd sitzend im Frack mit Blumenstrauss im Arm erschien der Sylva zuerst auf der Empore als eine Art „Phantom in der Operette“, bevor er dann im Laufe der Handlung seine bekannte Rolle als als wankelmütiger Liebender spielte.

Auf den Ausbruch des ersten Weltkriegs wurde dazwischen gleich doppelt und in Art der Holzhammer-Methode verwiesen, indem General von Rohnsdorff (Sprechrolle Dirk Schäfer) sowohl die erste Meldung vom Mord am Thronfolger und seiner Gattin in Sarajewo als auch das Manifest Kaiser Franz-Josephs „An meine Völker“ in voller Länge vorlas.

Die Titelpartie hatte die in Münster beliebte Henrike Jacob übernommen. Wenn auch weitgehend textunverständlich gesungen steigerte sie sich stimmlich im Laufe des Abends, traf sowohl hohe schnelle Töne, etwa beim „Teufelsweib“, als auch die tiefen Lagen der Partie, etwa im Duett mit Edwin beim langsamen Walzerlied in c-moll „Weißt du es noch“ das ein musikalischer Höhepunkt des Abends wurde. Seinen wankelmütigen Charakter – abends verlobt er sich mit Sylva, morgens folgt er elterlicher adeliger Forderung nach Heirat mit Komtesse Stasi, dann doch wieder Sylva dann wieder nicht -. macht Edwin normalerweise durch eine strahlende Tenorstimme wett. Das gelang Garrie Davislim nur in höherer Stimmlage.Auch er war weitgehend textunverständlich und man vermißte etwas operettentenoralen Schmelz. Alle Wünsche an eine Operettensängerin erfüllte Kathrin Filip,, als Komtesse Stasi. Gut aussehend, keck beweglich in Spiel und Stimme war sie sehr textverständlich. Das zeigte sie besonders im „Schwalbenduett“ mit Edwin im schnelleren Beginn als auch im Legato des langsamen Walzers, bewundernswert im leisen ppp „Sie zieht nach dem Süden hin“ Nicht ganz so textverständlich, aber mit gekonntem Wiener Akzent, war Erwin Belakowitsch“ als Graf Boni. Spielen mußte er den etwas degenerierten Adeligen passend zu seinen „Hits“ wie z.B. der „Chose“, die ohne Weiber nicht geht. Stimmlich sang er tongenau, die ihm zugemuteten teils läppischen Witzchen hätte man ihm ersparen können, etwa: Schtasi ist für manche verschieden von Stasi als Kurzform von Anastasia, oder, er hatte sich den Arm gebrochen.als er vom Pferd fiel, deshalb war er ja im Lazarett. Das Publikum lachte kaum als Reaktion darauf – „diskret komisch“ empfiehlt Kálmán einmal im Text! Gar nicht diskret sondern drastisch tanzten Stasi und er beim Walzer von „Mutzi und Putzi“ und „Mopsi mit dem Hopsi“

Mit grosser Stimme und textverständlich sang Gregor Dalal den Feri. Erwähnt sei besonders das fast schon verzweifelt klingende „Nimm Zigeuner deine Geige“ Vom folgenden für diese Inszenierung besonders wichtigen Marschlied „Jaj Mamám“sangen je eine Strophe auch Christoph Stegemann als Fürst Lippert-Weylersheim und Suzanne McLeod als sein Frau Anhilte- sonst fast nur Sprechrollen.

Trotz der Behinderungen durch Krücken, Verbände, stehend oder liegend, immer wieder tanzend und durch häufiges Kostümwenden sang der Opernchor einstudiert von Inna Batyuk die ihm anvertrauten populären Schlager präzise und schmissig.

Letzteres und der Erfolg des Abends waren wohl vor allem zu verdanken der musikalischen Leitung von Stefan Veselka. Vom Maestoso-Beginn des Vorspiels an gelangen ihm und dem Sinfonieorchester Münster die schmissigen, melancholischen auch pathetischen Klänge der genialen Musik Kálmáns begeisternd und mitreissend. Tempobeschleunigungen und Ritardandi wählte er passend, Walzer-, Marsch- und Csárdásrhythmen bis hin zum „Furioso Presto“ erklangen exakt. Von den vielen instrumentalen Soli erfreute gleich im Vorspiel und später das der Solovioline, vor dem Duett von Sylva und Edwin etwa das Solo des Cellos. Deutlich hörte man auch die in die Melodik eingefügten musikalischen Figuren von Flöten und Holzbläsern, Harfenglissandi und immer wieder die silbrig klingende Celesta.

Ein happy-end konnte es bei dieser Inszenierung nicht geben, Sylva wollte weiter durch die Lazarette tingeln, Edwin blieb wie bei seinem ersten Erscheinen als Phantom auf der Tribüne. Da konnte es musikalisch nicht mit den „tausend Englein singen“ enden, es mußte die „dumme Liebe“ weiter das Schicksal der Csárdásfürstin bestimmen.

Trotz trister Lazarett- und Weltuntergangsstimmung auf der Bühne gab es wohl vor allem wegen der genialen und eingängigen Musik im gut besuchten Haus Applaus für alle Mitwirkenden, er war allerdings mit den Worten eines berühmten Kritikers „endenwollend“

Sigi Brockmann 8.12.2017

Fotos (c) Oliver Berg