Münster: „Don Carlo“

Premiere am 7. Oktober 2017

Verdi mit Schnittke-Verschnitt

Bei einer Aufführung von Giuseppe Verdi’s Oper „Don Carlo“ auf das Libretto von Joseph Méry und C. Du Locle nach Schillers „Don Karlos“ fragt der Opernbesucher als erstes, welche Fassung gespielt wird, ob fünf oder vier Akte, ob auf Französisch oder Italienisch. Obwohl für das Verständnis des Hauptkonflikts der bei Fontainebleau spielende erste Akt der fünfaktigen Fassung eigentlich unverzichtbar ist (z.Zt. in Braunschweig), wird heute meistens die vieraktige italienische (Mailänder-) Fassung (z.Zt.in Leipzig) aufgeführt, die auch für den Sänger der Titelpartie weniger anstrengend ist. Manchmal hat man den Eindruck, daß jedes Theater sich – natürlich unter Bewahrung der „Highlights“ – eine eigene Fassung zusammenbastelt.

In Münster hatten der neue GMD Golo Berg und der inszenierende Intendant Ulrich Peters einen zusätzlichen Einfall. Sie integrierten in die weiter gekürzte vieraktige italienische Fassung acht Sätze des Requiems von Alfred Schnittke, einer teilweisen Vertonung der katholischen lateinischen Totenmesse mit zusätzlichem kurzen Credo für Soli, Chor und Kammerensemble (Schlagzeug, Gitarren Tasteninstrumente, Trompete und Posaune) Dieses Requiem schrieb der 1998 verstorbene russisch-deutsche Komponist als Teil einer Bühnenmusik zu einer Aufführung des „Don Karlos“ von Schiller.. Auf diese Art der Verknüpfung von verschiedener Musik, die in zeitlichem Abstand von mehr als 100 Jahren entstanden und nur durch den Bezug auf Schillers „dramatisches Gedicht“ verbunden ist, soll, weil ganz ungewohnt, zuerst eingegangen werden.

So begann die Aufführung mit dem ersten Teil von Schnittkes Reqiem, eben dem „Requiem aerternam“ (ewige Ruhe). Da es sich nach einleitenden Glockentönen um ein grosses Crescendo und Decrescendo des Chors erinnernd an Gregorianik handelte, ersetzte es durchaus passend Verdis Gesang der Mönche an dieser Stelle. Im weiteren Verlauf begleiteten ein Wechsel zu irrealer blauer Beleuchtung und ein Erstarren der Handlung die Einfügungen durch Schnittkes Musik. Dabei wurde deren stilistische Bandbreite deutlich. So erinnerte das „Sanctus“, das nach der Verbannung der Gräfin d’Aremberg ertönte, wiederum an gregorianischen ‚Choral. An anderer Stelle klang es wie Orffs „Carmina burana“. Schnittkes mehrstimmiges „Dies irae“ (Tag es Zorns) mit starken Schlagzeug -Rhythmen erklang an Stelle des Schlusses des Autodafé. Ein ätherisches „Hostias“ folgte dem Duett zwischen König und Großinquisitor. Nach dem Tod Posas und hier auch der Gräfin Eboli folgte das kurze durch Trompete und Posaune charakterisierte „Credo“.

Die eigentliche Handlung spielte dann in einem Einheitsbühnenbild (Rifail Ajdarpasic), das ein düsteres Mausoleum mit je nach Handlung verschiebbaren Wänden darstellte. Darin sollten herbstlich-braune Blätter auf dem Boden und vom Bühnenhimmel herabfallend sowie kahle Baumstümpfe Sinnbild für morbide Dekadenz sein. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried paßten entfernt in die Zeit der Handlung, dabei sehr viel schwarz, Elisabeth dagegen in unschuldigem Weiß, die flandrischen Gesandten waren als Holländer zu erkennen. Dauernde Todesnähe sollte wohl auch ein häufig auf der Bühne zu sehender Sarg vermitteln, von dem man allerdings nicht wußte, wer darin ruhte oder ruhen sollte, vielleicht der König, nach seinem Tod „nell’avello dell Escurial“(In der Gruft des Escorial) .

Wie auch in Verdis Musik stellte Ulrich Peters das Schicksal König Philipps in den Mittelpunkt seiner Inszenierung – Herrscher mit Krone und grossem Schwert Macht demonstrierend, aber untertan seiner eigenen Staats- bzw. Kirchenraison, der er Liebe zu Sohn und Königin, körperliche Beziehung zur Gräfin Eboli und Freundschaft zu Posa opfern muß..Seine Ohnmacht versuchte er durch Gesten bei den Einschüben von Schnittkes Musik anzudeuten.

Wegen letzter hielt man wohl weitere Kürzungen für notwendig, was dem Verständnis nicht immer diente. Wenn z.B. im zweiten Akt nicht gezeigt wurde, wie die Königin und Eboli die Kleider tauschten, wurde die folgende Szene zwischen Carlos und Eboli unverständlich für jemanden, der die Handlung nicht ohnehin kannte. Das „Dies irae“ als Abschluß des Autodafés verschenkte zum grossen Teil die gewaltige Wirkung dieser Massenszene.

Auch stimmlich war König Philipp, gesungen von Stephan Klemm, Mittelpunkt der Handlung. Mit mächtigem Bass konnte er Orchester und Chor übertönen, beherrschte scheinbar ohne Schwierigkeiten den grossen Stimmumfang der Partie, konnte der Stimme je nach Situation eine andere Klangfarbe geben und war zu einem zurückhaltendem p vor allem natürlich in der grossen Arie „Ella giammai m’amò“ fähig. Das folgende Duett mit dem Großinquisitor – ebenfalls mit mächtigem Baß Christoph Stegemann – wurde so zu einem musikalischen Höhepunkt, Allerdings war der Großinqusitor weder blind noch neunzigjährig, sondern schritt auch nicht als Miglied des Klerus kostümiert auf der Bühne hin und her, was die Wirkung der Rolle als nur seinem Fanatismus lebenden Greis minderte.

Nach dem König hat die faszinierendste Rolle Gräfin Eboli. Dies zeigte Monika Walerowicz schauspielerisch und sängerisch in allen Facetten. Triller und Koloraturen des „Schleierliedes“ sang sie treffsicher mit verführerischer Klangfarbe, leider gönnte man ihr nur eine Strophe davon. Bewundernswert gelang dann die grosse Szene über ihre Schönheit als „don fatale“ (verhängnisvolles Geschenk) mit den verzweifelten Ausbrüchen, dem bis in tiefe Tiefen „cantabile“ und fast schon zärtlich gesungenen „O mia regina“ (meine Königin) und dem wilden Entschluß zur Rettung von Carlos bis hin zum hohen b.

Den ebenso grossen Stimmumfang ihrer Partie beherrschte auch Kristi Anne Isene als Königin Elisabeth, wobei ihre Spitzentöne manchmal etwas gepreßt klangen, dafür gelangen die p- Legato – Bögen ihrer Romanze beim Abschied von der Gräfin d’Aremberg (auch nur eine Strophe) und der grossen Szene im letzten Akt „S´ancor se piange in cielo“ (Gibt es im Himmel Tränen) ganz ergreifend.

Ausdrucksvolle Legato-Bögen hörte man auch von Filippo Bettoschi in der Idealrolle des Rodrigo von Posa, vor allem in der ergreifenden Sterbeszene, übrigens der einzige Sänger einer grösseren Partie, der auch in der vorigen Spielzeit schon in Münster engagiert war. In der Titelpartie glänzte Garrie Davislim mit helltimbrierten bis zum Spitzentönen starkem Tenor, war aber auch zu zrückhaltendem p fähig.

Erfolgreich mit stilistisch so unterschiedlichen Aufgaben wie Verdi und Schnittke gebührt Opernhor und Extrachor in der Einstudierung von Inna Batyuk besondere Hochachtung. Chorsolisten übernahmen im Autodafé auch die Rollen von Mönchen und der flandrischen Gesandten. Nur beim letzteren und dem Aufstand des Volks stand der Chor auf der Bühne, sonst blieb er unsichtbar.

Die stilistischen Unterschiede zwischen Verdi und Schnittke machten Golo Berg und das Sinfonieorchester Münster deutlich. Souverän leitete Berg das musikalische Geschehen und ließ Verdis melodische Einfälle, harmonische Spannungen und farbenreiche wenn auch meist düstere Instrumentierung hörbar werden, als Beispiel etwa die Einleitung des letzten Aktes. Dafür sorgten auch die zahlreichen Orchestersoli, erwähnt seien als Beispiele das Englisch-Horn vor der Romanze der Elisabeth oder das Cello vor der grossen Arie des Königs.

In dieser Aufführung mußten auch Elisabeth und Carlos zum Schluß sterben, der König macht eine Geste, mit seinem Schwert den Großinquisitor zu töten, schreckt aber zurück und geht zu den Klängen des Requiems von Schnittke, mit der die Aufführung begann, gebrochen nach hinten ab. Allerdings war dies auch eine der wenigen eindringlich gespielten Szenen, sonst gab es wenig Aktion, mit althergebrachten Operngesten wurde.häufig an der Rampe stehend gesungen .

Das versuchte wohl auch das Premierenpublikum im gut verkauften Haus auszudrücken. Am meisten Applaus erhielten König Philipp und Gräfin Eboli, danach alle anderen etwa gleichmässig. Grossen Applaus gab es verdientermassen auch für den Dirigenten und das Orchester, während das Regieteam herbe Buhrufe ertragen mußte.

Sicherlich war die Einfügung des Requiems von Schnittke in Verdis Oper interessant, ob es eine Bereicherung der letzteren war, muß dem Geschmack des Besuchers überlassen bleiben.

Sigi Brockmann 8. Oktober 2017

Fotos (c) Oliver Berg