Münster: „Elektra“, Richard Strauss

Die Tragödie in einem Aufzuge „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal in der Vertonung von Richard Strauss beginnt bekanntlich mit einem Motiv entwickelt aus dem Namen Agamemnon. Dies in mächtigem Fortissimo gespielt vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Golo Berg ließ die vorher gezeigten Videos vom blumengießenden Richard Strauss vor Kriegskulisse (Lukas Rehm) vergessen, wie auch die gegenüber dieser Elektra weitgehend harmlose Vertonung von Ernst Krenek aus demselben Mythenkreis, die wir als letzte Opernpremiere in Münster erlebten. Auch weiterhin bis zum gewaltigen Schluss gelangen dem Orchester – bei musikalisch akzentuierten Höhepunkten – die harmonischen Reibungen durch polytonale Akkordfolgen. Auch die lautmalerischen Akzente, etwa bei Elektras Graben nach dem Beil oder der Klang der Ruten in den Szenen der Mägde, waren gut gesetzt.

(c) Martina Pipprich

Ganz gegenteilig klang wunderbar melodisch etwa die Begleitung zu Elektras Darstellung vom gewünschten Eheglück ihrer Schwester Chrysothemis.  Ruhig und erhaben tönten die Bläser beim Auftritt und der Erkennungsszene des Orests und dem sonoren Erkennungsmotiv.  Voll entfalten in Dynamik und instrumentaler Vielfalt konnte sich das Orchester in den Zwischenspielen, etwa vor dem Auftritt von Orest. Ihm und dem Dirigenten gebührt das größte Lob des Abends. Das Tempo entsprach wohl den Angaben von Strauss, der dies ja auf Deutsch, Italienisch und häufig als Metronomzahl angegeben hat. Gleichzeitig wurde die Lautstärke wenn passend so weit zurückgenommen, dass die Gesangssolisten nicht übertönt wurden. 

Rachel Nicholls als Elektra verfügte für die Partie der „allerhochdramatischsten Sängerin“, die Richard Strauss explizit fordert, nicht gerade über eine „Trompetenstimme“, blieb aber immer über dem gewaltigen Orchester hörbar. Dies gelang aber nur selten ohne großes Vibrato. Unglücklicherweise musste sie den ersten großen Monolog bis zum hohen c der „königlichen Siegestänze“ teils versteckt unter einem Stuhl, teils liegend singen. Bei dem großen Stimmumfang der Partie gelangen tiefe Töne, auch kantables Legato, etwa als sie ihrer Schwester Hilfe beim Eheglück versprach. Berührend gestaltete sie die Wiedererkennungszene mit ihrem Bruder Orest.

(c) Martina Pipprich

Hochdramatisch und ohne unangebrachtes Vibrato sang Margarita Vilsone ihre Schwester Chrysothemis. Ergreifend gelang ihr bei Darstellung der Freuden des erwünschten normalen Ehelebens die Vokalise auf „Weiberschicksal“. Ihr blieb auch genügend Stimmkraft für das Schlussduett mit Elektra, in dem beide Schwestern stimmlich gewaltig über das Orchester hinweg ihre Gefühle darstellen konnten.

Helena Köhne als Klytämnestra beherrschte die ganz tiefen Töne ihrer Partie, auch im Pianissimo, und konnte weitgehend textverständlich stimmlich ihre geistige Zerrüttung, ihre verzweifelte Suche nach Linderung ausdrücken. Ihr großes Solo war ein stimmlicher Höhepunkt des Abends. Johan Hyunbong Choi brachte mit wandlungsfähigem Bariton stimmlich die nötige Ergriffenheit zum Ausdruck beim Wiedersehen mit Elektra.

Die kurze Partie des Aegisth sang als Gast Aaron Cawley vom Staatstheater Wiesbaden.

Alle kleineren Partien waren adäquat besetzt, besonders erwähnt sei Robyn Allegra Parton als fünfte Magd, die als einzige Sympathie für Elektra ausdrückt und mit leuchtenden Spitzentönen brillierte.

Betreffend Bühne folgen Hofmannsthal und Strauss dem Vorbild des Sophokles, wo die dramatische Handlung sich hinter einer Fassade vollzieht und auf der Bühne davor in Monologen und Zwiegesprächen erzählt wird. Das konnte einem Regisseur wie Paul-Georg Dittrich nicht genügen – so erfand er unabhängig von der Musik eine übermäßig bebilderte, auch durch zu viele projizierte Texte von der eigentlichen Handlung ablenkende Zeitreise, die von der Entstehungszeit der „Elektra“ bis zum Beginn dieses Jahrhunderts führte.  Hintergrund war die Fassade des von den Nationalsozialisten in München erbauten Hauses der Deutschen Kunst, das mittels Drehbühne auf weitere Bilder, wie unter anderem dem in einem Opernhaus dirigierenden Richard Strauss oder das brennende Wohnmobil der NSU-Rechtsterroristen ausgedehnt wurde (Bühne und Lichtdesign Christoph Ernst). Detektivisch suchten zwischendurch Kommissar Thiel und Professor Börne wohl vergeblich nach dem Zusammenhang zwischen solchen Szenen und der Musik.

(c) Martina Pipprich

Auch die Kostüme (ebenfalls Christoph Ernst) bildeten diese Zeitreise ab. So trat Elektra nacheinander gekleidet in einem Jung-Mädels-Kleid, als SS-Blondine und schließlich mit großem Ball-Kleid auf; dies auch noch gerade, als sie Orest von ihrem elenden körperlichen Zustand erzählt. Zum Schluss wurde sie kostümiert als Beate Zschäpe, wohl um ihre Radikalisierung darzustellen, wobei Elektra ja eigentlich von Anfang an radikalisiert ist und Beate Zschäpe wohl keinen Vatermord rächen wollte.

Ganz unverständlich blieb die Darstellung von Klytämnestra und Aegisth als Angela Merkel und Putin-Freund Schröder, natürlich mit Zigarre. Unverändert blieb während des ganzen Stücks lediglich die Kostümierung der Mägde als jeweils schmarotzende Kakerlaken. Elektra nennt sie „Schmeißfliegen“ und „Gewürm“. Zu den abschließenden beiden Akkorden im dreifachen Forte reckte Elektra alias Zschäpe dann triumphierend das Beil in die Höhe.

Das Publikum im gut besetzten Parkett – wohl zum großen Teil Abonnenten – begann nach kurzer Pause mit zögerlichem Beifall, der sich neben den drei Hauptdarstellerinnen vor allem für den Dirigenten und sein Orchester steigerte.

Sigi Brockmann 28. Dezember 2022


Richard Strauss: „Elektra“

Theater Münster

27. Dezember 2022

Premiere 18. Dezember 2022

Regie: Paul-Georg Dittrich

Musikalische Leitung: Golo Berg

Sinfonieorchester Münster