Besuchte Aufführung: 12.3. 2015 (Premiere: 27.3. 2015)
Eine leise Nachtmusik
Nein, „Caligula“ ist, zumindest am Theater Regensburg, keine Oper. „Caligula“ ist, wenn überhaupt, ein skandalträchtiger Film (übrigens nicht nur mit extrem nackten Mädchen und Männern, sondern auch mit einer interessanten Filmmusik). „Caligula“ ist das erste Drama Albert Camus‚, dessen Werke nur sehr selten veropert wurden. Es gibt eine Oper nach dem grandiosen Roman La Peste, und Im Januar 2015 hatte Detlev Glanerts „Caligula“ in Hannover Premiere (ausführliche Würdigung bei uns) – doch nicht davon soll hier die Rede sein.
Nein, „Caligula“ ist, unter der genauen Regie Charlotte Koppenhöfer s, mit Jacob Kelle r als jungenhaft-gefährlicher Kaiser, in Regensburg keine Oper, aber tatsächlich ein Werk des Musiktheaters, obwohl eher, wenn auch selten, gebrüllt und nie gesungen wird. Nicht, dass der Name des Komponisten schon auf dem Cover des (im übrigen gut gemachten) Programmhefts prangen würde. Wer jedoch an diesem 110 Minuten langen pausenlosen Abend genau hinhörte, wird bemerkt haben, dass die Musik einerseits scheinbar kaum bemerkbar ist und über ein paar kräftige Akzente kaum hinausgeht – aber, wenn nicht alles täuscht, fast pausenlos von der Tonspur kommt. Ja: irgendwann hat der sensible Hörer den Eindruck, dass die Musik selbst dann erklingt, wenn sie nicht erklingt. Mit einem Wort: hört man sie nicht, ist sie vermutlich nur so leise, dass man sie nur noch mit Katzenohren wahrzunehmen vermag. In diesem Sinne ist sie, sozusagen, rein existentialistisch: selbst dort, wo sie nicht zu existieren scheint.
Jan S.- Beyer spielt, liest man, als freiberuflicher Musiker Schlagzeug, Percussion und Keyboard. Er ist Komponist, Texter, Produzent und Remixer und Mitglied der ElektroPopPunk-Band „Testsieger“ („Veröffentlichungen im DIY-Bereich“, was immer das heißen mag). „Ab dem Jahr 2014 begann Jan S. Beyer eine Kooperation mit den in Chicago (USA) beheimateten Bands ‚Windbreaker‘ und ‚Afterburner‘ um Nicholas Read und Travis Thatcher die im analog-modularen Bereich experimentieren“. Vielleicht ist auch die Theatermusik, die er zu „Caligula“ geschrieben hat, analog-modular: „Wesentliches Merkmal analoger modularer Synthesizer ist die Spannungssteuerung einzelner Parameter eines Moduls. Die Steuerspannung (CV für engl. ‚Control Voltage‘) kann – beispielsweise von einem Keyboard oder einem Sequenzer erzeugt – auf den CV-Eingang des VCO (Voltage controlled oscillator) gelegt werden, wobei eine Änderung der Spannung eine Änderung der erzeugten Frequenz zur Folge hat“, liest der Rezensent, der’s genau wissen will, bei Wiki. Zumindest klingt der Sound des „Caligula“, so leise er auch an diesem spannenden Abend meistens klingt, wie eine Mischung aus Handmade- und Elektromusik. Richtig laut ist es nur im kurzen Vorspiel, das den Kritiker an Sequenzen des Tanztheaterabends „Dog“ erinnert, das er kürzlich im Staatstheater Kassel sah.
Da hotten ein paar wilde Männer noch einmal im Hardrock ab – bevor das grauenhafte Geschehen seinen Lauf nimmt. Apropos Spannung: so klassizistisch auch die Ausstattung des schönen Theaters aussieht, so barbarisch ist auch die realisierte Idee des Kaisers Caligula, die absurden Widersprüche der Welt durch die absolute „Freiheit“ seines totalen Tyrannenwillens zu beseitigen. Hier die Sphingen, Ranken und „edlen“ Männermasken an den Balkons – dort die willkürlich scheinenden, völlig irre auftretenden Taten des Kaisers, der, so Camus, „die Menschen leugnet“ und völlig amoralisch, nur versehen mit einer totalen abstrakten Idee, Blutbäder anrichten lässt.
Dann aber zirpt eine einsame Gitarre sehr leise vor sich hin. Je mehr Spannung auf der Bühne und zwischen den Figuren entsteht, desto leiser wird der Soundtrack. Einfache Arpeggios von einfachen Dreiklängen stehen scheinbar schräg zur finsteren Atmosphäre; für den Lärm sorgt Caligula selbst, der dem anfänglichen Bühnenkasten – das ist schwer symbolisch – systematisch abbaut. Ein Mezzoforte ist meist das Äußerste, was zwischen den leisen Passagen vermittelt, wenn Szenenübergänge gemacht werden müssen. Wenn sich die Verschwörer treffen, knarzt es noch leiser: ganz oben am Steg, aber vielleicht wird hier gerade analog modular synthesizert. Je weiter die Atmosphäre der unsicheren Handlung ausschwingt, desto kleiner klingen die Intervalle der einsamen Gitarre – und wenn die Klänge verstummen, sind sie vermutlich nur so leise, dass man sie mit normalen Ohren nicht mehr hören kann.
Caligula ist, moralisch gesehen, ein durchaus unentschiedenes Ideendrama – die Musik reagiert darauf, indem sie die spektakuläre Handlung und die Atmosphäre der Angst nicht plump kommentiert oder nachzeichnet, sondern ruhig unterstützt. Wir hören: Eine leise Nachtmusik. Dass die lächerliche, sekundenkurze „Tanzeinlage“ des Kaisers keine eigene „Ballettmusik“ provoziert, ist klar. Alles andere wäre auch absurd…
Wir hören ostinatohafte Klänge, und am Ende sehen wir Caligula selbst in der Maske des Todes: als Alice Cooper. Nun endlich muss auch die Musik verstummen. Dem Fanal des Finales, in dem der Kaiser endlich den Verschwörern zum Opfer fällt, geht eine lange Stille voran. Sie würde weniger eindrucksvoll klingen, hätten wir nicht zuvor, 90 Minuten lang, fast unausgesetzt, doch niemals als penetrante Sauce, die Begleitmusik zum psychisch-philosophischen Schauerspiel gehört.
Verachtet mir die Bühnenmusik nicht! Und ehrt mir ihre Komponisten.
Frank Piontek, 15.3. 2015
Fotos: Jochen Quast