Regensburg: „Rigoletto“

Besuchte Aufführung: 2.11.2014 (Premiere: 25.10.2014)

Konventionalität im modernen Gewand

Die Neuproduktion von Verdis „Rigoletto“ am Theater Regensburg war die Reise insbesondere in musikalischer und gesanglicher Hinsicht wert. Hier hat sich wieder einmal gezeigt, dass kleine Theater sich nicht hinter den großen Opernhäusern zu verstecken brauchen. Und dass das Regensburger Theater zum großen Teil über erstklassige Sänger verfügt, hat man ja schon lange gewusst.

Seymur Karimov (Rigoletto), Angelika Hircsu (Gräfin von Ceprano), Kleindarsteller, Opernchor

Allein der Rigoletto von Seymur Karimov hätte den Besuch der Aufführung gelohnt. Dieser noch junge Sänger erwies sich in jeder Beziehung als Idealbesetzung für die schwierige Rolle, die ihm indes nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitete. Schon darstellerisch war er überzeugend. Zynismus, Hohn und Hass auf die Höflinge einerseits, die große Liebe zu seiner Tochter andererseits, hat er mit intensivem, gefühlsbetontem Spiel glaubhaft gemacht. Und stimmlich erbrachte er eine absolute Glanzleistung. Sein ungemein edel timbrierter, frischer und in jeder Lage hervorragend fokussierter heller Bariton bester südländischer Schulung war fast schon zu schön für diese Partie. Bei ihm weiß man wirklich nicht, wo man mit dem Schwärmen beginnen soll: bei dem hervorragenden appoggiare la voce, dem einfühlsamen Legato, seiner trefflichen Phrasierungskunst oder dem enormen Ausdrucksgehalt seines bis zu den Spitzentönen voll und rund klingenden Prachtbaritons? Alle diese Vorzüge ergaben ein brillantes Rollenportrait, von dem sich manch anderer Vertreter des Rigoletto ein Stück abschneiden könnte. Sein Wechsel an ein großes Haus dürfte angesichts seiner phantastischen stimmlichen Qualitäten nur noch eine Frage der Zeit sein.

Yinjia Gong (Duca), Seymur Karimov (Rigoletto)

Sehr für sich einzunehmen vermochte auch Yinjia Gong als Duca. Äußerlich gab er mit lockerem, behändem Spiel einen ewigen Glückspilz bei Frauen, der sich insgesamt als ausgesprochen lockerer Geselle erwies. Und stimmlich entsprach er seinem Part ebenfalls voll und ganz. Er verfügt über einen vorbildlich gestützten, ebenmäßigen und einen ansprechenden Squillo aufweisenden lyrischen Tenor, den er elegant und prägnant zu führen verstand. So ungestüm das von vielen Ritardandi gezierte „La donna è mobile“ klang, atmeten seine gegenüber Gilda geäußerten Liebesschwüre doch eine so überzeugende Emotionalität, dass es nicht weiter verwunderlich war, dass das Mädchen auf ihn hereinfiel. Leider erreichte Theodora Vargas Gilda das hohe Niveau der beiden anderen Protagonisten nicht ganz. Über weite Strecken sang sie mit gut durchgebildetem, sauber dahinfließendem Sopran durchaus passabel. In der Höhe ging sie aber schon mal vom Körper weg, was einen recht schrillen Klang nach sich zog. Hier wäre mehr stimmliche Anlehnung erforderlich gewesen. Zudem wirkte ihr Vortrag in dynamischer Hinsicht etwas eindimensional. Die für diese Rolle unbedingt erforderliche Pianokultur ist bei Frau Vargas nicht gerade hoch ausgebildet. Sie sang fast alles auf dem gleichen Level, wodurch sie der Gilda doch einiges schuldig blieb. Insbesondere bei ihrer herrlichen E-Dur-Arie „Caro nome“ hätte man sich von ihr mehr gefühlvolle Piani und Pianissimi gewünscht. In dieser Beziehung war beispielsweise vor einigen Jahren die junge Sopranistin Sofia Kallio am Landestheater Coburg viel überzeugender.

Gilda, Seymur Karimov (Rigoletto)

Ein solider, wenn auch nicht außergewöhnlicher Sparafucile war Mario Klein. Übertroffen wurde er von Vera Semieniuk, die einen profunden, erotisch eingefärbten Mezzosopran für die Maddalena mitbrachte, die sie auch überzeugend spielte. Ebenfalls mit tadellosem Mezzo-Material gab Christiana Knaus die Giovanna. Stephanos Tsirakoglous matter, stark im Hals sitzender Bass, der überhaupt keine vokale Autorität und Dämonie ausstrahlte, erwies sich für den Grafen von Monterone als Fehlbesetzung. Da war der Graf von Ceprano bei dem solide singenden Mikhail Kuldyaev schon besser aufgehoben. Und auch Angelika Hircsu holte rein vokal aus ihrer von der Regie aufgewerteten Gräfin Ceprano mit üppiger Tongebung viel heraus. Den beiden Höflingen Marullo und Borsa konnten Matthias Wölbitsch und Cameron Becker mit ihren flachen Stimmen rein gesanglich kein sonderliches Gewicht geben. Das gilt auch für Mert Öztaners Gerichtsdiener. Aus dem Pagen hatte die Regie eine Bedienstete der Ehefrau des Duca gemacht, die bei Andrea Dohnicht gut aufgehoben war. Beeindruckend präsentierte sich der von Alistair Lilley trefflich einstudierte Chor.

Nachdem er erst einen Tag zuvor einen phantastischen „Tristan“ dirigiert hatte – wir berichteten -, stand GMD Tetsuro Ban auch an diesem Abend wieder am Pult. Schnell wurde klar, dass auch das italienische Fach bei ihm in besten Händen ist. Sein Dirigat zeichnete sich durch prächtige Italianità, lang gesponnene Bögen und enorme Emotionalität aus. Die von ihm angeschlagenen Tempi waren recht ausgewogen und sängerfreundlich. Seine Intentionen wurden von dem prägnant und konzentriert aufspielenden Philharmonischen Orchester Regensburg versiert umgesetzt.

Seymur Karimov (Rigoletto), Opernchor

Bleibt noch die Inszenierung von Brigitte Fassbaender, die insgesamt nicht sonderlich zu befriedigen vermochte. Sie und ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Dorit Lievenbrück huldigten optisch der sog. Neuen Sachlichkeit. Sie siedeln die Handlung in einer metallenen Treppenformation an, die sich im dritten Akt dreht und dann die Behausung Sparafuciles und Maddalenas bildet. Dabei entsteht der Eindruck, die mörderischen Geschwister würden unter einer Brücke hausen. Ihr Hauptaugenmerk richtet die Regisseurin auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Obsessive in der Beziehung zwischen dem im herkömmlichen roten Narrengewand auftretenden Rigoletto und Gilda, der ein riesiger Plüsch-Teddybär als Ausdruck ihrer Kindlichkeit zugeordnet ist, wird von ihr einfühlsam herausgearbeitet. Auch nimmt Frau Fassbaender der Titelfigur ihren traditionellen Buckel und lässt tiefe Narben an dessen Stelle treten. Das wird offenkundig, wenn der glatzköpfige Narr zum zweiten Bild hin seinen Oberkörper entblößt. Ein guter Einfall war, dass der Duca im zweiten Akt vor den Photos seiner erst verführten, dann einfach weggeworfenen Verflossenen agiert, zu denen sich dann auch das Bild Gildas gesellt.

Yinjia Gong (Duca), Opernchor

Insgesamt ist der Regisseurin zu dem Stück aber nicht sonderlich viel Neues eingefallen. Ohne zu dem Subtext des Stückes in irgendeiner Form Stellung zu beziehen, inszenierte sie brav und bieder am Textbuch entlang, ohne dem Stück dabei eine tiefere Ausdeutung zu geben. Dabei ist der zeitgenössische Rahmen nur Fassade. Trotz des modernen Ambientes haben wir es hier mit einer ausgesprochen konventionellen, ziemlich belanglosen Regiearbeit zu tun, die zwar von durchaus schönen Bildern gesäumt war, dem neugierigen Intellekt aber rein gar nichts zu bieten hatte. Ein Gewinn für die Rezeptionsgeschichte ist diese Produktion wahrlich nicht.

Ludwig Steinbach, 3.11.2014
Die Bilder stammen von Martin Sigmund