Innsbruck: „Elektra“, Richard Strauss

Mit einer packenden und in allen Punkten stimmigen „Elektra“ verabschiedete sich Johannes Reitmeier nach seiner 11 Jahre währenden überaus erfolgreichen Intendanz vom Publikum des Tiroler Landestheaters. Was konnte ich nicht alles hier am Haus von ihm erleben: „Tannhäuser“, „Rienzi“, „Liliom“, „Genoveva“, „Die Passagierin“, und nun auch noch „Elektra“ von Richard Strauss. Und er hat sie genauso inszeniert wie alle seine anderen Opern am Innsbrucker LT – mit einer intensiven Konzentration auf die vom Komponisten intendierte Werkaussage und ihre Realisierung durch eine bis ins letzte Detail ausgearbeitete kenntnisreiche Personenregie direkt aus den Charakteren heraus und ihrer Konnotation in den Stücken. Das war neben dem prachtvollen Bühnenbild von Thomas Dörfler, den bestens abgestimmten Kostümen von Michael D. Zimmermann und der exzellenten und stets stimmungsbetonten Lichtregie von Ralph Kopp auch wieder Reitmeiers Erfolgskonzept für seine „Elektra“ an diesem Abend. Sie ließ das Parkett-Publikum, als er zum Schlussapplaus auf die Bühne kam, sich spontan von den Sitzen erheben. Das war wahre und echte Begeisterung! Endlich einmal kein so langweiliges und pseudo-spektakuläres Buh-Geschrei, wie es manche der sogenannten arrivierten Regisseure schätzen. Hier galt‘s der Kunst, der Realisierung einer „Elektra“, die dem Publikum mit einer hervorragenden Sängerschar die unglaublichen Untiefen und Katastrophen dieses Stücks und seiner verfluchten Vorzeit nahebringen wollte und dies auch vermochte.

© Birgit Gufler

GMD Lukas Beikircher war Reitmeier wie immer ein kongenialer Partner am Pult des ebenfalls voll motiviert und glanzvoll aufspielenden Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck. Es brachte eine vom Komponisten Richard Dünser von der Universal Edition in Auftrag gegebene strukturiert reduzierte Orchsterfassung von etwa 65 Musikern im Graben zur Uraufführung. Das allein ist schon eine kleine Sensation für viele kleinere Häuser, die die „Elektra“ spielen wollen, wegen des begrenzten Platzes im Orchestergraben aber nicht können. Denn die Originalbesetzung sind 111 Musiker. In der Dünser-Version entsteht keineswegs der Eindruck klanglicher Mängel. Die Musik klingt wie gewohnt, vor allem in den weiterhin stark besetzten Streichern. Man kann allerdings auch auf die im Orchester vorhandenen Wagner-Tuben und ein hervorragendes Bläserensemble zurückgreifen.

Die estnische Sopranistin Aile Asszonyi überwältigte nach ihrem Frankfurter Erfolg als Elektra mit einem hochdramatischen Sopran und großer Ausruckspalette, bei leuchtenden und lang gehaltenen Höhen sowie guter Tiefe. Hinzu kam ein überaus intensives Spiel der Atridentochter und ihrer kaum noch nachvollziehbaren Obsession zur Rache an der Ermordung ihres Vaters. Von Beginn an ist sie mit Grablichtern zu sehen, die sie in einem großen Raum, der wie ein mondäner Badesaal mit dunklen und goldfarbenen Fliesen bei gleichzeitig häufiger Neonbeleuchtung das eindrucksvolle Bühnenbild für den ganzen Abend abgibt, auf das vermeintliche Grab ihres Vaters stellt. Unterdessen schütten die zeternden Mägde mit blutverschmierten Schürzen ständig Eimer voller Blut in einen Abfluss, ein Zeugnis des ständigen Mordens von Opfertieren am Hofe. Abongile FumbaFotini AthanasakiFederica CassatiSusanna von der Burgund Annina Wachterals Mägde sind zwar äußerst aktiv, vermitteln aber nicht in allen Fällen stimmlichen Wohlklang. Hingegen überzeugt die Aufsehern von Jennifer Maines, die hier schon viel größere Rollen gesungen hat. Die Frequenz der blutigen Eimer-Entleerungen nimmt indessen vor Klytämnestras Erscheinen mit der Intensität der Musik signifikant zu – jetzt wird es ernst!

© Birgit Gufler

KS Angela Denoke, die in Innsbruck die „Salome“ sehr gut inszenierte, war eine beeindruckende Klytämnestra mit starkem Auftritt, eine elegante Frau, die durchaus noch etwas vom Leben erwartet und offenbar mit dem aktiven Management des Palastes befasst is. In dem Moment aber, als ihr die Tochter als finale Lösung ihr eigenes Schicksal offenbart, wirkt sie wie ein flehendes Häufchen Elend. Stimmlich vermag sie der Rolle großen Farbenreichtum zu verleihen, mit einem dunkel schattierten Sopran in der Mittellage und stets hervorragenden Höhen. Begleitet wird sie von Dagmara Kołodziej-Gorczyczyńska als Vertraute und Qiong Wu als Schleppträgerin, beide in ihren bizarren Rollendarstellungen überzeugend.

Magdalena Hinterdobler debutierte als Chrysothemis glanzvoll, mit einem leuchtenden Sopran, gutem stimmlichem Ausdruck und ebenfalls einer facettenreichen und emotional engagierten Darstellung. Das wird eine große Rolle für sie werden! Florian Stern war ein beeindruckend linkisch agierender Aegisth mit einem kraftvollen Tenor. Und Andreas Mattersberger verkörperte den Orest auf eine wohl ziemlich unbekannte, aber nachvollziehbare Art and Weise. Reitmeier zeichnet ihn im Sinne einer komplexen Fmailienaufstellung als psychisch völlig verstörten Sohn und Bruder, der nicht als entschiedener Rächer seines Vaters kommt, sondern vom Pfleger, der hier eine sehr aktive Funktion einnimmt (Oliver Sailer) regelrecht in die Tat hineingeführt werden muss. Er muss ihm sogar die Hand zum finalen Dolchstoß führen. So entbehrt es auch nicht einer gewissen Logik, dass, als Chrysothemis for Freude tanzend Elektra und Orest zusammenführt, sie sich sein noch in der Hand befindliches Mordmesser in die Brust rammt und tot zusammenbricht. Umso verständlicher wird der finale Ruf der Schwester „Orest! Orest!“ Mattersberger singt und spielt diesen ungewohnten Orest äußerst emotional mit einem prägnanten Bass, der auch Richtung Bassbariton einsetzbar wäre. Ein Mann für größere Aufgaben! Sascha Zarrabi ist ein stimmlich guter junger und Stanislav Stambolov ein Ruhe ausstrahlender alter Diener.

© Birgit Gufler

Diese „Elektra“ wurde zu einem großen Abend am Tiroler Landestheater, vor allem wegen des begeisternden Dreigestirns Asszonyi, Denoke und Hinterdobler sowie der intensiven Linienzeichnung von Johannes Reitmeier und der musikalischen Interpretation von Lukas Beikircher. Manches spricht dafür, dass es für einige Zeit der letzte gewesen sein könnte. Denn wenn man das Saisonprogramm 2023/24 der neuen Direktion durchschaut, sieht man gerade mal fünf Opern mit „Die Liebe zu den drei Orangen“, „La Bohème“, „Le nozze di Figaro“, „Des Simplicissimus Simplicissimus Jugend“ und „Peter Pan – The dark Side“. Das sind nicht gerade alles Opern des Mainstreams, eigentlich nur zwei. In der Saison 2022/23 unter Reitmeier gab es noch neun Opern, davon immerhin acht des Mainstreams. Und das Haus verstand sich, nicht zuletzt schon unter seiner Vorgängerin Brigitte Fassbaender, immer auch als Opernhaus. Das scheint jetzt wesentlich anders zu werden. Unter dem Motto „Groß und Klein, für Jedermann und Jedefrau“ sieht man in der Programmvorschau allerhand weithin Unbekanntes in Tanz und Schauspiel, u.a. „Gi3F“ („Gott ist drei Frauen“), „Rotz und Wasser“ oder „Wenn Schnecken hausen“ als Junges Theater und einiges mehr in diesem Stil. Ob das neue Programm in Innsbruck Sparzwängen oder anderen Gesichtspunkten unterliegt, wäre interessant zu erfahren. Man hört aber, dass einiges für die zweite Annahme spricht. Vielleicht stellt es sich ja im Laufe der Saison noch detaillierter heraus. Wir wünschen gleichwohl viel Erfolg.

Klaus Billand, 3. Juli 2023


Elektra

Richard Strauss

Landestheater Innsbruck

Besuchte Vorstellung: 11. Juni 2023

Regie: Johannes Reitmeier

Dirigat: Lukas Beikircher

Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck