Zürich: Wagner / Strauss

Richard Wagner
Ouvertüre und Bacchanale aus TANNHÄUSER

Richard Strauss
VIE LETZTE LIEDER

Richard Wagner
SIEGFRIED-IDYLL

Richard Strauss
TOD UND VERKLÄRUNG

Ganz zart schimmert gegen Ende des Liedes Im Abendrot von Richard Strauss das Verklärungsmotiv aus seiner Tondichtung Tod und Verklärung im Hornsolo auf. Zwischen den beiden Kompositionen liegen beinahe 60 Jahre eines unglaublich reichhaltigen musikalischen Schaffens. Im Sterben liegend bekannte Richard Strauss gegenüber seiner ihn umsorgenden Schwiegertochter Alice: "Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben … Was ich jetzt erlebe, könnte ich alles komponieren – ich hab’es ja schon vor 60 Jahren geschrieben, es ist ganz richtig so (wie in Tod und Verklärung)." Genau das ist es, was uns auch heute noch so berührt an Strauss‘ Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod: Die Musik verströmt eine Tröstlichkeit die das Herz erwärmt, den "freien Flug" der Seele (Hesses Worte in Beim Schlafengehen) in ein goldenes Licht taucht. Dieses herbstlich-warme Licht strömte gestern Abend auch in den grossen Saal der Tonhalle Zürich während der bewegenden Wiedergabe der VIER LETZTEN LIEDER des Komponisten. Der Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller gelang es, den der Musik Strauss‘ und den Dichtungen Hesses und Eichendorffs innewohnenden Gehalt zum Leuchten zu bringen. Im ersten Lied Frühling lag vielleicht noch etwas viel Druck auf ihrer Stimme, doch bereits da zeigte sich ihre herausragende Qualität des blitzsauberen Tonansatzes in hohen Lagen. Im zweiten Lied September klang ihre bezaubernd schöne Stimme dann jedoch perfekt zentriert und mit der so passenden bronzenen Färbung. Himmlisch gelangen die langen Bögen im dritten Lied Beim Schlafengehen, wo sie die vom Konzertmeister des Tonhalle-Orchesters Zürich, Klaidi Sahatçi, ebenso wunderbar zart intonierte Melodie der Solovioline unendlich schön weitersponn und den erwähnten freien Flug der Seele evozierte. Im Abendrot schliesslich bestach Hanna-Elisabeth Müller mit Schönheit, gebotener Schlichtheit und Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und das Tonhalle-Orchester Zürich unter der so wunderbar mitatmenden und einfühlsamen Leitung durch Marek Janowski intonierte die ausgedehnten orchestralen Passagen mit der von Strauss so unnachahmlich schön konzipierten transparenten und berührenden klanglichen Pracht. Von diesen vier Liedern "die zum schönsten, zartesten und ergreifendsten gehören, das Strauss geschaffen hat" (Zitat des Strauss Freundes und Kenners Dr. Willi Schuh) kann man nie genug bekommen – und die Aufführung gestern Abend hat dies aufs Herrlichste bestätigt.

Umso schöner war es, dass man auch die Auseinandersetzung des jungen Richard Strauss mit dem Thema Tod an diesem Abend erleben durfte. Die Tondichtung TOD UND VERKLÄRUNG des 25jährigen Meisters zeigt seine gewaltige Meisterschaft in der Instrumentierung und der Handhabung des plastischen, transparenten Orchesterklangs. Diesem blieb das Tonhalle-Orchester Zürich unter dem ohne Partitur dirigierenden Maestro Marek Janowski nichts an Effekt und Tiefgründigkeit schuldig. Die unregelmässigen Herzschläge des Sterbenden, die Schmerzen des Todeskampfs, die vorbeihuschenden Reminiszenzen aus der Jugend und schliesslich die gloriose Verklärung mit dem zur Erhabenheit aufsteigenden Hauptthema des Künstlers wurden mit eindringlich tonmalerischer Wucht und Schönheit herausgearbeitet. Arpeggien der Harfen, bezaubernde Passagen der Flöten oder der Solovioline klangen nie zu süsslich und doch voll exquisiter Schönheit. Aber auch die schmerzhaften Dissonanzen rüttelten auf. Gebührend ausladend wurden die Gänsehaut-Kulminationen zum Klingen gebracht, die Akustik in der Tonhalle erträgt auch bestens ein voll zupackendes Riesenorchester, wie es Strauss so gerne einsetzte, denn auch die in orchesteraler Breite auftrumpfenden fortissimo-Passagen wirkten nie breiig oder lärmig.

Dem einen Richard wurde im Programm der andere Richard gegenübergestellt – Strauss gegen Wagner. Programmiert wurde quasi ein viersätziger Abend, mit zwei exaltierteren Ecksätzen (TANNHÄUSER-Ouvertüre und Bacchanale von Wagner und TOD UND VERKLÄRUNG von Strauss) und zwei intimeren Binnensätzen (VIER LETZTE LIEDER von Strauss und das SIEGFRIED-IDYLL von Wagner). Der renommierte Wagner-Kenner Marek Janowski dirigierte selbstverständlich auch das SIEGFRIED-IDYLL auswendig. Gespielt wurde natürlich die Orchesterfassung (für gross besetztes Orchester), welche dem eigentlich sehr intim gehaltenen Werk nur bedingt gerecht wird. Intensive Wirkung entfalteten vor allem die Motive, welche Wagner seiner gerade im Entstehen begriffenen Oper SIEGFRIED entlehnt hatte. Die flirrenden Streicher erfüllten das Waldweben mit stimmiger Atmosphäre, mit ruhiger Hand liess Janowski die tonmalerischen Gedanken Wagners zur Natur und zur Familie (das Tapsen seines gerade mal einjährigen Sohnes Siegfried ist deutlich zu hören) vorbeifliessen. Es ist meines Erachtens ein Stück, das in der originalen kammermusikalischen Fassung seinen Reiz haben kann, für das grosse Orchester jedoch irgendwie zu wenig Substanz hat. In seiner ruhigen, unaufgeregten und manchmal fast kindlichen Art und mit dem so unpathetisch sanften Verklingen (wunderschön ausgehorcht vom Tonhalle-Orchester Zürich) ist es ziemlich untypisch für Wagner. Cosima hatte vielleicht doch recht, dass sie sich gegen eine Veröffentlichung dieser (einzigen) sinfonischen Dichtung Wagners ausgesprochen hatte …

Richard Wagner vom Allerfeinsten wurde allerdings mit der den Konzertabend eröffnenden TANNHÄUSER-OUVERTÜRE und dem BACCHANALE geboten. Das Pilgermotiv von den Hörnern mit so wunderbar reinem Klang intoniert, von den Celli herrlich stömend aufgenommen, die unter die Haut gehenden, rasanten Violinfiguren beim ersten Crescendo des Hauptmotivs, die noch an das Vorbild Carl Maria von Webers angelehnten Jubelmotive der Ouvertüre und dann die weit in die Zukunft weisende "Ballett"-Musik des Bacchanales mit ihrer Chromatik, den scharfen, präzis gespielten Holzbläserpassagen und dem gleissenden Blech und dem origiastischen Schlagwerk verfehlten nicht ihre Wirkung, ebensowenig wie die sanft lockenden Venusrufe, die am Ende nochmals kurz dem Pilgermotiv weichen musten. Ein fulminanter Beginn war das in einen vor allem durch die Kompositionen von Strauss bewegenden Konzertabend.

Kaspar Sannemann, 10.12.21