am 9.12.2016
Premiere am 11.5.1937
Wie jedes Jahr um die Weihnachtszeit, ein zeitloses Erlebnis!
Sie gehört zu den wohl ältesten Inszenierungen, die man auf einer europäischen Opernbühne heute noch bewundern kann. Am 11. Mai 1937 feierte sie Premiere an der Ungarischen Staatsoper in Budapest. Die Inszenierung stammte von Kálmán Nádasdy (1904-80), die prächtigen, stimmungsgebenden Bühnenbilder kreierte Gusztáv Oláh (1901-56) und die dem 19. Jahrhundert verpflichteten Kostüme entwarf Tivadar Márk (1908-2003). Mehr als 880 Vorstellungen gab es seither. Die Kossuth-Preisträgerin (2004) und Ehrenbürgerin von Budapest (2014) Andrea Rost, die 1991 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper wurde und 1992 bei den Salzburger Festspielen in Janaceks „Aus einem Totenhaus“ debütiert hatte, ist auf den großen Opernbühnen der Welt zu Hause.
An diesem Abend begeisterte sie das Publikum als melancholische Mimi mit ihrem strahlenden lyrischen Sopran, der in allen Registern formvollendet erstrahlte. Ihre hohe Gesangskultur ist gekennzeichnet durch eine exzellente Stimmführung, bei der sich strahlende Lyrismen und schwebende Piani auf ganz natürliche Weise ergänzen. Dazu gesellt sich aber noch eine außergewöhnlich intensive Rollengestaltung, deren Innigkeit den Betrachter unmittelbar berührt. Der US-amerikanische Tenor Charles Castronovo, Sohn sizilianischer und ecuadorianischer Einwanderer, war an der Wiener Staatsoper bereits als Lenski, Alfredo Germont und Nemorino auf. Es besitzt einen eher baritonal gefärbten Tenor, mit dem er zwar alle Höhen tadellos meistert, aber dennoch nicht jenen Schmelz ausstrahlt, den man von anderen Interpreten des melancholischen Dichters Rodolfo gewohnt war. Durch seine intensive Rollengestaltung aber konnte er klangliche Schwächen geschickt kompensieren und dafür dankte ihm das Publikum am Ende der Vorstellung mit freundlichem Applaus.
Zoltán Nagy verlieh seinen gut geführten Bariton der Rolle des sanguinischen Musikers Schaunard. Bassist András Palerdi erhielt für das kurze Solo des phlegmatischen Philosophen Colline im vierten Akt wiederum verdienten Szenenapplaus. Csaba Szegedi polterte als cholerischer Maler Marcello mit seinem behäbigen Bariton, den er als Kabinettsstück in der Auseinandersetzung mit der resoluten Musette von Orsolya Hajnalka Rőser, einer Soubrette mit kleiner Stimme aber durchdringenden Spitzentöne in der Kehle, und im Falsett bei der kleinen Tanzeinlage „à musica vocale“ im vierten Akt zum Einsatz brachte. Den vertrottelten alten Galan Alcindoro gestaltete Tamás Szüle hingebungsvoll. In den kleineren Rollen bewährten sich wie gewohnt András Hábetler als Benoit und László Beöthy-Kiss als Spielwarenhändler Parpignol.
Der große Erfolg dieses Opernabends beruhte aber auch auf dem äußerst feinfühligen Dirigat des Rumänen Christian Badea am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper. Er hielt gekonnt die Balance zwischen jenen zarten, voller Lyrismen angereicherten Melodien Puccinis und dessen eher pastosen Passagen. Der Chor und Kinderchor waren für ihren Auftritt im zweiten Akt von Kálmán Strausz und Nikolett Hajzer bestens vorbereitet. Ich habe diese Produktion sicherlich schon dutzende Male in Budapest gesehen, aber immer wieder fasziniert mich, neben dem ausgelassenen fröhlichen zweiten Bild, die Winterlandschaft des dritten Bildes. Nachdem sich der Vorhang langsam geöffnet hat wird eine in Nebel getauchte Zollschranke sichtbar, hinter der sich eine mit alten Gaslaternen gesäumte winterliche Allee perspektivisch verkürzt nach dem Bühnenhintergrund zu verliert. Schneeflocken fallen vom Schnürboden herab und die Kälte dieser Szenerie bereitet das letale Ende Mimis im vierten Bild behutsam vor. Puccini aber stellt die Antipoden Leben und Tod im vierten Bild exemplarisch gegenüber.
Auf das ausgelassene Tanzen der vier Künstler à musica vocale und ihrem Scheinfechten samt kleinerer Rangelei folgt die Ernüchterung durch die Nachricht Musettas von Mimis schwerer Erkrankung. Im Kreis ihrer Freunde stirbt sie getröstet und ohne Furcht. Während der langen Generalpause entgleitet der Muff ihrer erkaltenden Hand und fällt zu Boden. Die Tränen Rodolfos, der Mimi noch einmal in seine Arme schließt, mischen sich da bereits in so manchen Seufzer und Schluchzer aus dem Publikum und äußerst langsam schließt sich der Vorhang. Erst nach einigen Sekunden der inneren Sammlung setzte dann der Applaus langsam ein und steigerte sich als die Solisten vor den Vorhang traten. Bravissimo!
Fotocredits: Péter Rákossy