Wien: „Die lustigen Weiber von Windsor“, Otto Nicolai

Jeder wird sich in tiefster Bewunderung vor Giuseppe Verdi verbeugen, nicht zuletzt dafür, wie er mit „Falstaff“ eine Opara buffa in olympische Höhen der Musik katapultiert hat. Das war 1893. Doch 44 Jahre davor gab es schon eine Vertonung von Shakespeares „The Merry Wives of Windsor“, und im Grunde ist Librettist Salomon Hermann Mosenthal schon so ähnlich verfahren wie Arrigo Boito später. Nur dass bei diesem Falstaff zwei Diener hat, Mrs. Quickly intrigiert und die Hauptfigur weit tiefer ausgeformt ist. Doch sonst ist die Falstaff-Version, die Otto Nicolai vertont hat, schon dramaturgisch sehr ähnlich, wobei Falstaff da sogar noch einen Auftritt in Frauenkleidern hat…

© Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Aber das Wunder ist Nicolais Musik, der die romantische deutsche Spieloper hier nicht nur mit keckem Humor, sondern oft auch geradezu magischer Poesie erfüllt hat. Auf seine Weise und in seinem Genre muss sich Nicolai vor Verdi nicht verstecken. Und man ist dankbar, dem Werk an der Volksoper wieder zu begegnen.

Lotte de Beer hat die Regie Nina Spijkers anvertraut, einer jungen Niederländerin, die bisher vor allem in ihrer Heimat tätig war. Sie trat unter dem ungeschriebenen Motto „Jux und Tollerei und Parodieren bis zum Umfallen“ am – oder, wie Frau Fluth singt: „Nun eilt herbei, Witz, heitre Laune, Die tollsten Schwänke, List und Übermut!“ Kurz, das Libretto selbst legitimiert die possenhafte Übersteigerung des szenischen Geschehens.

 Die Regisseurin hat es mit Hilfe der Kostüme (Jorine van Beek) rund um 1900 verlegt. Duw schnell verwandelbare Szenerie auf der Drehbühne (Rae Smith) bietet dies und das Solide (das Wohnzimmer bei Fluth, sehr bürgerliche Tapeten, das Wirtshaus), muss aber mitspielen, wo die Regisseurin unbedingt zeigen wollte, dass sie „unkonventionelle“ Ideen hat. Das passt am wenigsten in der ersten Szene – dass alle Herren in Windsor plötzlich malen und die Damen für ihr Geplaudere über Falstaff die Köpfe durch das klassische Nacktgemälde stecken, hat einfach nicht Hand und Fuß. Es müsste auch nicht sein, dass Falstaff sich während des Gesprächs mit Herrn Fluth aus dem Wirtshaus zu einem Pissoir begibt und dort sein Geschäft erledigt. Und die Badeanstalt ist auch so eine Sache – da hat der Tenor mit „Horch, die Lerche singt im Hain“ eine der schönsten deutschen Tenorarien zu singen, und wenn er das im Badeanzug von anno dazumal (mit Badegaube, die wie eine Duschhaube aussieht) tun muss, wirkt das schon ein bisschen kläglich. Zumal im Hintergrund possenhafte Wasser-Gymnastik vollführt wird und weidlich ablenkt. Und ist es wirklich nötig, dass Fenton und Anna per Fahrräder in die so poetisch gedachte Schlußszene strampeln (abgesehen davon, dass das Ganze hier viel zu dunkel geraten ist).

© Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Ja, und da ist dann noch der Holzhammer. Schon indem Frau Fluth singt: „Nichts sei zu arg, wenn’s dazu diene, die Männer ohn‘ Erbarmen zu bestrafen! Das ist ein Volk! – So schlecht sind sie, Dass man sie gar genug nicht quälen kann!“ Wenn das nicht selbstbewusste Frauen sind, die mit dem präpotenten Falstaff ebenso Schlitten fahren wie mit ihren Ehemännern! Bloß – dieses Maß an weiblichem Selbstverständnis reicht der Regisseurin nicht. Da muss noch etwas daraufgesetzt werden. Nach der Pause überlegt Frau Fluth plötzlich kleinlaut, wer sie denn wohl noch wäre, wenn sie sich wirklich scheiden ließe wie angekündigt? Das überzeugt Tochter Anna, auf jeden Fall als „nächste Generation“ weiterzugehen als die Mutter – und sie kleidet sich in einen weißen Hosenanzug (oder soll’s eine Art Männersmoking sein?). Glücklicherweise heiratet sie wenigstens noch ihren Fenton, wie es im Buch steht, aber sie und ihre Kolleginnen, auch in Hosen, entfalten jedenfalls ein großes Transparent, das „Wahlrecht“ fordert (was ja zur Epoche von 1900 durchaus passt). Aber muss man so billig belehrend sein?

Kurz, nicht alles überzeugt. Aber vieles doch, die schnelle Logistik der Aufführung, die gewitzte Pointierung und vor allem die darstellerisch sehr überzeugend geführte Besetzung. Da sind Anett Fritsch und die Schottin Stephanie Maitland (die gerade erst im „Fliegenden Holländer“ aufgefallen ist) so attraktiv, spielfreudig und stimmlich wendig, dass man sich die „lustigen Weiber“ nicht besser wünschen könnte. Zwei wahre Rübensüßchen im bürgerlichen Gewand.

© Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Was Martin Winkler betrifft, der die Generalprobe wegen Stimmproblemen abbrechen musste, dankte die Direktorin vor der Vorstellung für die Rettung der Premiere – entschuldigen musste sie ihn nicht, sein Falstaff war auch stimmlich vielleicht eine Spur heiser, aber voll da, und als Darsteller ein ganz sympathischer Schwerenöter. So tief zu gehen wie bei Verdi / Boito, eventuell auch Tragik anzuspielen, das ist in der Nicolai-Fassung nicht enthalten, zur wahren Charakterkomödie vertieft sich das Werk ja nicht.

Anna (Lauren Urquhart) und Fenton (JunHo You) wirkten über ihre Rollen stimmlich etwas hinausgewachsen, auch romantische deutsche Oper verlangt Dolcezza, und die gab es nicht. Dafür einen temperamentvollen Herrn Fluth (Daniel Schmutzhard), einen schönstimmigen Herrn Reich (Aaron Pendleton) und zwei veritable Komiker (Carsten Süss als Junker Spärlich und Alexander Fritze als Dr. Cajus).

Nicht so glücklich war man mit den Klängen, die Ben Glassberg dem Orchester entlockte, der filigrane Zauber der Musik entfaltete sich ebenso wenig wie ihre herrlich schwebende Elastizität, alles geriet ein wenig erdenschwer. Was das Publikum nicht davon abhielt, am Ende alle Beteiligten zu feiern.

Renate Wagner, 14. Mai 2023


Die lustigen Weiber von Windsor

Otto Nicolai

Premiere: 13. Mai 2023 

Volksoper Wien

Regie: Nina Spijkers

Dirigent: Ben Glassberg

Orchester der Volksoper

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