In Amerika erweckt der Begriff „Follies“ sofort Assoziationen. Mit den „Ziegfeld Follies“, die zu den berühmtesten Broadway-Shows zählten, die es je gab, und mit „Follies“, die nichts anderes bedeuten als Verrücktheiten. In Österreich funktioniert dergleichen nicht, und wenn es in Wien zu Marischka-Zeiten auch große Shows nach amerikanischem Vorbild gegeben hat, so haben sich diese doch nicht in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Darum ist es keine besonders gute Idee, die „Follies“ des Stephen Sondheim in der Volksoper handlungsmäßig nach Wien zu versetzen. Broadway Show-Biz hätte dem Ganzen, das hier stellenweise recht spartanisch wirkt, besser getan als heimisches Flair, das nichts bringt.

Die Volksoper hatte mit Sondheim einige Erfolge – „Sie spinnen die Römer“, „Sweeny Todd“, „Into the Woods“ konnten sehr gefallen. Und natürlich ist auch „Follies“ von 1971, damals immerhin mit sieben Tony Awards ausgezeichnet, ein Qualitätswerk, wenn auch die richtigen „Ohrwürmer“ fehlen.
Jedenfalls ist die Geschichte von einigem Reiz – Stars in ihren Fünfzigern (man muss schließlich auch ältere Künstler mit guten Rollen versehen) kehren an ihr einstiges Haus zurück, bevor es abgerissen werden soll – in Erinnerung an ihre einstigen Triumphe.
Der Rückblick auf die Show-Szenen von einst kommt aber erst im zweiten Teil gegen Ende. Bis dahin wird viel Privates abgehandelt, nicht nur etwas unübersichtliches Wiedersehen der einstigen Kollegen (unübersichtlich bleibt es, weil es zu viele sind, von denen nicht jeder das Rampenlicht bekommt), sondern auch Privates.
Man merkt schnell, dass es um die beiden Paare Sally und Buddy sowie Phyllis und Ben geht, und wie das manchmal so ist im Leben, waren Sally und Ben einst ein Paar. Das lief, wie es so läuft, die Frauen lieben und wollen halten, die Männer lieben auf ihre Art auch, wollen aber nicht gehalten werden, bis sie prompt einer anderen Frau ins Netz gehen. Das hinterlässt ungute, unaufgearbeitete Gefühle, die auch bei einem Treffen dreißig Jahre danach schmerzlich aufbrechen können.

Dazu hat sich das Libretto die Verdoppelung der Figuren ausgedacht, die Oldies sehen sich selbst als ihr junges Ich – und das Publikum sieht dies auch und kennt sich nicht immer aus, muss das Who is Who erst zusammen klamüsern, weil die Regie von Martin G. Berger da zu wenig Ordnung ins Chaos bringt.
Im Übrigen läuft die Sache bis zur Pause ohne großen Schwung ab, es wird in einer Dekoration aus sich verändernden Bögen mit Lichterketten (Bühnenbild: Sarah-Katharina Karl) herumpalavert. Erst, wenn es im zweiten Teil zu den echten Show-Stückerln geht, kommt Schwung auf, kann die Choreographie (Marie Christin Zeisset) ihre Qualitäten ausspielen.
Die vom Libretto vorgegebene Melancholie liegt über den Paaren. Da ist Ruth Brauer-Kvam als Sally, klein, dunkelhaarig und ganz Gefühl, Liebe und Schmerz. Ihr gegenüber Bettina Mönch als Phyllis, groß, blond, messerscharf, keinem Streit aus dem Weg gehend. Drew Sarich als ihr Gatte Ben zeigt, elegant, dass auch coole Männer leiden können, und Peter Lesiak tut einem wirklich leid, wie er Gattin Sally umwirbt und dennoch das (richtige) Gefühl nicht loswird, dass er nicht ihre wahre Liebe ist…
Die jungen Ausgaben der Paare kommen nicht akzentuiert genug zur Geltung, und auch nicht die Follies Damen von einst, wenngleich sich damit Martina Dorak oder Ulrike Steinsky durchaus große Namen des Hauses finden. Aber unter all den Nebenrollen kommt nur Sona MacDonald als Carlotta wirklich zur Geltung – Schande über die Josefstadt, dass sie diese Schauspielerin nicht ununterbrochen beschäftigt, so dass sie für eine „eine Nummer-Rolle“ an die Volksoper ausweichen muss. Ihr „Überlebens“-Song, wenn man ihn so bezeichnen will, macht aber zur Pause großen Effekt.

Es ist schon vom Libretto und vom ganzen Werk, das auch musikalisch viele besinnliche Stellen aufweist (am Pult: Michael Papadopoulos) kein hemmungslos lustiges Musical. Aber manchmal hat man das Gefühl, es hätte weniger trüb ausfallen können. Vielleicht spielt sich der nötige Schwung im Lauf einer Vorstellungsserie noch ein.
Renate Wagner, 24. April 2025
Follies
Musical von Stephen Sondheim und James Goldman
Volksoper Wien
Premiere: 12. April 2025
Besucht wurde die Vorpremiere am 10. April 2025
Regie: Martin G. Berger
Dirigat: Michael Papadopoulos
Orchester der Volksoper Wien