Mönchengladbach: „Sweeney Todd“, Stephen Sondheim

Aktuell scheint Sweeney Todd fast so etwas wie das Musical der Saison zu sein, ist es doch in dieser Spielzeit an recht vielen Theatern im Lande zu sehen. Dabei galt Stephen Sondheim bei vielen lange Zeit als „Kassengift“, was sich zum Glück in den letzten Jahren geändert hat. Musikalisch sind seine Kompositionen durchaus anspruchsvoll, aber eben auch sehr gut. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich eines seiner bekanntesten Werke inzwischen einen festen Platz auf den deutschen Bühnen sichern konnte. Am 7. Juni fand im Theater Mönchengladbach die letzte Musiktheater-Premiere der Spielzeit 2024/25 des Niederrheinischen Gemeinschaftstheaters statt und auch hier sorgte der Musical-Thriller aus dem Jahr 1979 für einen gut gefüllten Theatersaal.

© Matthias Stutte

Auf der Homepage des Theaters ist unter der Überschrift „Kurze Inhaltsangabe für sehr Nervöse!” der folgende Text zu finden: Blindwütiger Barbier macht in (menschliche) Fleischpasteten, um sich an seinem Erzfeind Richter Turpin und allen, die ihm in die Quere kommen, zu rächen. Diese Zusammenfassung passt sehr gut, da sich der Regisseur Roland Hüve in seiner Inszenierung vor allem auf die Spirale der Gewalt konzentriert, die sich im Laufe des Abends immer schneller zu drehen scheint. Doch vorab noch ein paar ausführlichere Worte zur Geschichte: Der Barbier Benjamin Barker lebte einst glücklich mit seiner Frau Lucy und ihrer gemeinsamen Tochter Johanna in London. Allerdings hatte auch der mächtige und skrupellose Richter Turpin ein Auge auf Lucy geworfen. Er sorgte dafür, dass Barker unschuldig verurteilt und lebenslänglich nach Australien verbannt wurde. Nach fast 15 Jahren kehrt der Barbier, begleitet vom Seemann Anthony Hope, der ihn aus dem Meer gerettet hat, nach London zurück. Kurz nach seiner Ankunft erfährt er von der Bäckerin Mrs. Lovett, dass Turpin inzwischen Barkers Tochter Johanna in seine Obhut genommen hat und dass seine Frau sich nach sexuellen Übergriffen des Richters das Leben genommen hat. Unter dem Namen Sweeney Todd sinnt der Barbier auf Rache und eröffnet über Mrs. Lovetts Bäckerei seinen neuen Frisiersalon. Mrs. Lovett, die sich zu Benjamin Barker hingezogen fühlt, hilft ihm dabei nicht ganz uneigennützig. Die menschlichen Überreste aus Barkers Rachefeldzug werden zur neuen Zutat ihrer Fleischpasteten, die wegen ihres besonderen Geschmacks bald reißenden Absatz finden. Dass sich Anthony Hope zudem in Johanna verliebt hat, macht die Sache nicht einfacher. Und welche Rolle spielt eigentlich die Bettlerin, die immer wieder in der Fleet Street auftaucht, in der sich die Bäckerei und der Frisiersalon befinden?

© Matthias Stutte

Zu sehen ist in Mönchengladbach im Übrigen die gelungene deutsche Übersetzung von Wilfried Steiner und Roman Hinze, durch die sich die Handlung sehr gut nachvollziehen lässt. Regisseur Roland Hüve gelingt es, eine rundum stimmige Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die auf große Splattereffekte verzichtet und sich stattdessen stark auf die persönliche Leidensgeschichte der Titelfigur fokussiert. Deutlich wird dabei, wie diese von Rache getrieben immer tiefer in eine Gewaltspirale gerät. Blind vor Wut nutzt Barker sogar seinen Freund Anthony Hope und seine Tochter Johanna aus, um Richter Turpin in seinen Salon zu locken, wo es am Ende zu mehreren unheilvollen Begegnungen kommt. Die Zuschauer erleben in Mönchengladbach einen spannenden Theaterabend mit einer absolut überzeugenden Personenzeichnung. An dieser Stelle nun eine notwendige Spoiler-Warnung: Wer sich die Vorstellung unvoreingenommen anschauen möchte, sollte bis zum folgenden Absatz springen. Nicht unerwähnt bleiben darf nämlich die ganz wunderbare Darstellung der Bettlerin durch Susanne Seefing, hinter der sich die für tot gehaltene Lucy verbirgt. Dies wird im Laufe des Abends immer wieder so geschickt angedeutet, ohne zu viel zu verraten, dass es einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Wie sie immer wieder um den Laden schleicht, in dem sie einst wohnte, oder wie immer wieder Erinnerungen in ihrem verwirrten Zustand durchschimmern, ist einfach ganz hervorragend inszeniert und umgesetzt.

© Matthias Stutte

Auch das Bühnen- und Kostümbild von Lena Brexendorf weiß zu überzeugen. Auf einer großen Drehbühne befindet sich das Geschäft von Mrs. Lovett, über dem sich der Barbiersalon befindet. Natürlich darf auch die Rutsche nicht fehlen, über die die Leichen von oben direkt in die Küche entsorgt werden. Bei der Premiere funktionierte diese allerdings erst beim zweiten Mord und sorgte entsprechend zuvor für einen kleinen heiteren Moment, der von den beteiligten Darstellern aber recht souverän gelöst wurde. So gab es hier auch einen ungeplanten Szenenapplaus, als die Konstruktion dann doch wie geplant funktionierte – auch das ist eben die Faszination des Live-Theaters. Auch die weiteren Schauplätze des Musicals werden durch die Drehbühne gut abgebildet. Die Kostüme sind stellenweise bewusst überzeichnet, aber stets an die Rolle angepasst. Besonders gelungen sind die blutverschmierten Gewänder des Opernchores, der sehr stimmgewaltig auftritt. Allerdings ist die Textverständlichkeit hier leider nicht immer gegeben, was auch daran liegen mag, dass der Chor bei diesem Stück oft gegen das Orchester ansingen muss. Die Niederrheinischen Sinfoniker spielen unter der Leitung von Sebastian Engel gewohnt stark.

Und dann wäre da noch die Besetzung jeder einzelnen Rolle, die diesen Abend zu einem echten Genuss für Musical-Fans macht. In der Titelrolle zeigt Johannes Schwärsky, dass er nicht nur als Rigoletto, Mephisto oder Fliegender Holländer eine gute Figur macht, sondern mit seinem starken Bass-Bariton auch im Musical-Genre zu überzeugen vermag. Seine starke Bühnenpräsenz verleiht dem dämonischen Barbier zudem die notwendige optische Wirkung. Mehr zu Hause im Bereich Musical ist dagegen Gabriela Kuhn. Sie war in Krefeld und Mönchengladbach bereits in zahlreichen großen Musicalproduktionen in wichtigen Rollen zu sehen und setzt auch die Rolle der Mrs. Lovett wieder ganz wunderbar um. Insbesondere die etwas komischeren Szenen liegen ihr dabei offenbar besonders gut. Nicht mehr am Niederrhein zu Hause ist leider James Park, wo er in der Spielzeit 2014/15 Mitglied im Opernstudio wurde und seitdem in über 15 Produktionen zu sehen war. Inzwischen spielte er bei den Vereinigten Bühnen Wien große Hauptrollen, unter anderem in Miss Saigon oder Rebecca, und ist an der Wiener Volksoper aktuell unter anderem als Chino in der West Side Story zu sehen. Für die Rolle des Anthony Hope kehrt er nun an den Niederrhein zurück und überzeugt das Publikum einmal mehr mit seinem klaren Tenor. Beim Schlussapplaus war ihm die Freude über die „Heimkehr“ deutlich anzusehen, und auch das Publikum freute sich, ihn mal wieder am Niederrhein zu sehen. Sehr stark ist auch Susanne Seefing in der Rolle der Bettlerin. Sie stattet diese Rolle mit großen Gesten aus und punktet hierbei mit einem sehr detaillierten Schauspiel und klarem Gesang. In den weiteren Rollen überzeugen Antonia Busse als Johanna Barker, Pascal Schürken als Tobias Ragg, Matthias Wippich als Richter Turpin, Markus Heinrich als Büttel Bamford und Arthur Meunier, der im ersten Akt den Hochstapler Adolfo Pirelli und im zweiten Akt den Leiter der Irrenanstalt Mr. Fogg spielt.

© Matthias Stutte

Mit Sweeney Todd ist dem Theater Krefeld-Mönchengladbach erneut eine sehenswerte Produktion gelungen. Das Musical, das von Sondheim selbst einmal als „schwarze Operette“ bezeichnet wurde und vom Aufbau und der Struktur her stark an eine Oper erinnert, ließ die knapp drei Stunden wie im Flug vergehen. Das Premierenpublikum erhob sich am Ende von den Sitzen und spendete allen an der Produktion Beteiligten lauten Beifall.

Markus Lamers, 8. Juni 2025


Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street
Musical von Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) und Hugh Wheeler (Buch)

Theater Mönchengladbach

Premiere: 7. Juni 2025

Inszenierung: Roland Hüve
Musikalische Leitung: Sebastian Engel
Niederrheinische Sinfoniker

Empfehlenswertes Interview mit dem Regisseur

Weitere Aufführungen: 10. Juni, 19. Juni. 21. Juni, 28. Juni, 4. Juli, 6. Juli und 9. Juli in Mönchengladbach sowie ab dem 1. Februar 2026 im Theater Krefeld